MAGAZINE OF THE EAST GERMAN ACADEMY OF SCIENCES, VOLUMES 1/2/3 AND 4/5
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Document Number (FOIA) /ESDN (CREST):
CIA-RDP81-01043R002900200003-1
Release Decision:
RIPPUB
Original Classification:
C
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65
Document Creation Date:
December 23, 2016
Document Release Date:
May 28, 2014
Sequence Number:
3
Case Number:
Publication Date:
January 1, 1958
Content Type:
REPORT
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C-0-N-F-I-D-E-N-T-I-A-L
COUNTRY
East Germany
REPORT
SUBJECT
Magazine of the East German Academy of
DATE DISTR.
; fl$
Sciences, Volumes .71/2/3 and 415
NO. PAGES 1
REFERENCES
RD
DATE OF
INFO.
PLACE &
DATE ACQ
50X1-HUM
50X1-HUM
SOURCt hYALUAIIUDIJ AKE Ill.. 1111i ?
? WSW
Copies of the magazine published by the East German Academy of' Sciences, 50X1-HUM
MIttellungsblatt fuer die Mitarbeiter der Deutschen Ahad.emie der
Wissenschaften zu Berlin, Volume 1/77January, -. r March 1956)
and Vo1ume7/5 (April, May 1958)
The publication contains articles by members oi he Academy on various
scientific topics. 50X1-HUM
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C-0-N-F-I-D-E-N-T-I-A-L
50X1-HUM
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? FUR DIE MI,TARBE1TE4
DER DEUTSCHEN AKA2DEMIE DER!IVISSENSCHAFTEN
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Akademiemitglied
Prof. Dr. E. Correns
Akademiemitglied
Prof. Dr. H. H. Franck
Vizeprasident
Prof. Dr. H. Friihauf
K.-H. Schmidt ?
Prof. Dr. H. Philipps
Dr. G. Skeib
Dr. F. Ludwig
Dr. W. Girnus
Dr. J. Bunge
Prof. Dr. P. Kokkalis
Prof. Dr. R. Ritschl
Dr. 0. Selisko
Dr. J. Wiegmann
Prof. Dr. W. Fischer
Dr. F. Klein
Dr. 0. Wenig
Dr. G. Dunst
Dr. IC-H. Segel
Akademiemitglied
Prof. Dr. Th. Brugsch
Prof. Dr. W. Radig
Prof. Dr. E.-J. Giel3mann
Dr. G:Dunken
E. GeiBler
G. Henckel
G. L.
? G. Schumann
Akademiemitglied
Prof. Dr. P. A. ThieBen
Deutschland soli frei von Atomwaffen sein! 1
Verstarkung der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis
Die erzieherische Arbeit der Naticknalen Front 5
Wissenschaft und Produktion-
Das Parteiaktiv der Berliner Institute der Deutschen Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin
Einige Eindrilcke und Lehren der 3. Hochschulkonferenz der Sozialistischen
Einheitspartei Deutschlands '
Die Forschungsgemeinschaft
Der Wissenschaft und der verantwortungsbewuBten Anwendung ihrer Ergeb-
nisse kommt eine vorrangige Bedeutung zu
Mitteilungen
Vereinbarungen ilber die wissenschaftliche Zusammenarbeit mit uus-
landischen Akademien -
Akademie der Wissenschaften der UdSSR
Polnische Akademie der Wissenschaften
5
5
6
8
15
MITTEILUNGSBLATT
FOR DIE MITARBEITER
DER DEUTSCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN
4. Jahrgang Januar/Februar/Marz 1958
Heft 1/2/3
Deutschland soil frei von Atoinwaffen sein !
84 namhafte Gelehrte, die Mitglieder der Deutschen
Akudemie der Wissenschaf ten zu Berlin sind, haben
15 in folgender tiff entlicher Erkliirung zu Lebensfragen
16 der Wissenschaft und der Menschheit Stellung ge-
nommen:
Aus wissenschaftlicher und ethischer Verantwortung
bekunden wir unsere Meinung zu einem die Men-
schen zutiefst bertihrenden Problem:
Neue wissenschaftliche Erkenntnisse und eine neue
Stufe in der Beherrschung der Naturgesetze eroffnen
ungeahnte Moglichkeiten fur em n wtirdiges Leben
Die optimistische Begeisterung einer Renaissance
konnte die Menschheit ergreifen.
Statt dessen sind heute in der Welt Unruhe und Sorge
verbreitet.
Aus der Wissenschaft erwuchs die Moglichkeit der
Vernichtung der Menschheit. Die in der Welt be-
stehenden Spannungen bewirken Furcht statt Opti-
mismus.
Mit der Verantwortung fur diese Spannungen sind
heute zwar nicht die Wissenschaftler belastet, aber
die Folgen empflnden sic schwer. Sic dtirfen nicht
schweigen, ohne mitschuldig zu werden
Die Wissenschaft hat einen Entwicklungsstand er-
43 - reicht, der eine weltweite Kooperation erfordert.
Die Spannungen hindern die Kooperation.
Das sittliche BewuBtsein verpflichtet den Wissen-
schaftler, seine Erkenntnisse nur dem Wohle der
Menschheit dienstbar zu machen. Die Spannungen
bergen in sich die Gefahr des MiBbrauchs.
47 Daher wollen wir Wissenschaftler dazu beitragen,
48 die Bedrohlichkeit des bisherigen Zustandes zu min-
dern und zu beenden.
50 Es ist unbedingt notwenig. die Atomwaffenversuche
einzustellen und darnit eine sehr reale Gefahr ftir die
51 Menschheit zu beseitigen. Bei dem erreichten Stand
53 der Entwicklung erscheint dies moglich
54 Mitteleuropa und besonders Deutschland sind heute
55
em n Gebiet gefohrlicher Spannungen. Wir rntissen
alles daran setzen, eine gegenseitige Annaherung zu
fordern und eine friedliche Auseinandersetzung her-
beizuftihren.
Deutschland soil frei von Atomwaffen sem!
Damit schaffen wir ein gutes Beispiel ftir die ganze
Welt. GroBe Krafte und Mittel fur die allseitige
Forderung von Wissenschaft und Kultur werden
frei.
Dann wiirde sich auch die Gefahrdung einer Zu-
sammenarbeit der deutschen Wissenschaftler min-
Das Internationale Geophysikalische Jahr
Zusaminenarbeit am Satellitenprogramm 16
Erste Nordatlantik-Expedition mit der ?Lomonossow" 17
Aus der Arbeit der Institute_.
Die Sorge urn den wissenschaftlichen Nachwuchs 18
Perspektiven der Germanistik 21
Vorausbemerkungen zu einer historisch-kritischen Ausgabe der Schriften
Bertolt Brechts
Tagungs- und Reiseberichte
Jubildumskonferenzen ? -Herzoperationen ? Apparate
5. Arbeitstagung ?Spektroskopie" in Jena
Eine wissenschaftliche Tagung von weittragender Bedeutuug
Gemeinsame Tagung der britischen Clay Minerals Group und der Groupe
Francaise des Argiles
Jena ? Moskau ? Peking
Erforschung der Vergangenheit als Dienst an Gegenwart und Zukunft
Eindriicke von einer Bibliotheksreise nach Moskau, Leningrad und Kiew .
Ober eine epigraphische Reise nach Samos 1957
Die Stirnme des Volksvertreters
Meine Arbeit im Magistrat von GroB-Berlin
Miszellen
alle ihre Kenntnisse, Begabungen und Krafte fur die Gestaltung der
sozialistischen Demokratie einzusetzen
Als Gast auf dem V. Bu'ndestag des Kulturbundes zur demokratischen Er-
neuerung Deutschlands
?Kultur, Technik, Humanitat"
,Gelehrter und Pat-riot
Eine Beratung des Komitees zur Verhiltung des Krebses
Und wieder eine Jahreshauptversammlung
W. E. B. Dubois
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Nachrufe, Ehrungen und Ernennungen
Mitteilungen auslandischer Akademien
Nachrichten aus dem Prasidium
Nachrichten aus den Klassen
Aus der Arbeit der Akademie-Bibliothek
Der Schriftentausch der Akademie-Bibliothek ?
Telegramm an den Bonner Bundestag
Ansprache auf dem Marx-Engels-Platz in Berlin am 27. Marz 1958
50
58
60
60
Herausgeber: Vizepr5sident Prof. Dr. H. FrOhauf, Generalsekretar Prof. Dr. G..Rien5cker, Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Berlin
W8, Otto-Nuschke-St 22/23. Redaktion ? Ch-istine Stempel. Korrektor: H.-J. Muller. Verlag: Akademie-Verlag GmbH, Berlin W 8, Mohrenstr. 39,
Fernruf 20 03 80, Postscheckkonto Berlin 350 21, Das 5iitteilungsblatt erscheint unregelmaig und wird kostenlos an die Mitarbeiter der Akademie ab-
gegeben. Ein Vertrieb Ober den Buchhandel erfolgt nicht. Lizenz-Nr. ZLN 5 83. Gesamtherstellung: 1V/2/14 - VEB Werkdruck Grafenhainichen - 695.
Es wird gebeten, Beltr5ge, Vorschlage, Wfinsche und Kritiken an die Deutsche Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin, Berlin W8, Otto-Nuschke-str 22,23, Pressestelle, Fernruf 20 04 81, App. 387, zu richten.
dern. Diese Zusammenarbeit ist fill- die wissenschaft-
lichen Akademien Deutschlands von hoher Bedeu-
tung.
Prof. Dr. Arthur Baumgarten, Berlin
Prof. Dr. Friedrich Behrens, Berlin
Prof. Dr. Heinrich Bertsch, Berlin
Prof. Dr. Hans-Holm Bielfeldt, Berlin
Prof. Dr. Georg Bilkenroth, Berlin
Prof. Dr. Ludwig Binder, Dresden
Prof. Dr. Wilhelm Blaschke, Hamburg
Prof. Dr. Ernst Bloch, Leipzig
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Prof Dr. Carl von Eicken, Berlin
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Prof Dr. Hans Faltin, Dresden
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Prof. Dr. Friedrich Leutwein, Freiberg
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Prof Dr. Karl Lohmann, Berlin
Prof. Dr. Eduard Maurer, Berlin
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MITTEILUNGSBLATT
4. Jahrgang, Heft 1/2/3
Prof. Dr. Otto MeiBer, Berlin
Prof. Dr. Alfred Meusel, Berlin
Prof. Dr. Kurt Mothes, Halle
Prof. Dr. Johannes NeIles, Schkopau
Prof. Dr. Fritz Obenaus, Dresden
Prof. Fred Oelliner, Berlin
Prof. Dr. Walther Pauer, Dresden
Prof. Dr. Albrecht Peiper, Leipzig
Prof. Dr. Asmus Petersen, Rostock
Prof. Dr. Erich Rammler, Freiberg
Prof. Dr. Alfred Rieche, Berlin
Prof. Dr. Gunther Rienacker, Berlin
Prof. Dr. Heinz Rohrer, Insel Riems
Prof. Dr. Robert Rompe, Berlin
Prof. Dr. Walter Ruben, Berlin
Prof. Dr. Arno Schilller, Berlin
Prof. Dr. Kurt Schwabe, Dresden
VEB Textilkombinat Zittau
Weberei ? Bleicherei ? Farberei
Zittau, Karl-Marx-Platz 6
den 28.2.1958
An die
Deutsche Akademie der
Wissenschaf ten
Berlin
Sehr geehrte Herren Professoren!
Wir Arbeiter, Angestellte und Angeharige der In-
telligenz aus dem VEB Textilkombinat Zittau, haben
die offentliche Erklarung der 84 Wissenschaftler zu
Lebensfragen der Wissenschaft und der Menschheit
mit tiefer Sympathie aufgenommen.
Zur gleichen Zeit veraffentlichten 44 Universitats-
und Hochschulprofessoren der Bundesrepublik einen
Appell ftir die Schaffung einer atomwaffenfreien
Zone und gegen die Atomaufrtistung, der sich be-
sonders an die westdeutschen Gewerkschaf ten wendet
und sie zu gemeinsamen Aktionen aufruft.
Wir filhlen uns vollkommen solidarisch mit der in
Prof. Dr. Rudolf Seeliger, Greifswald
Prof. Dr. Arthur Simon, Dresden
Prof. Dr. Georg Spackeler, Freiberg
Prof. Dr. Kurt Schrader, Berlin
Prof. Dr. Robert Schrader, Leipzig
Prof. Dr. Wolfgang Steinitz, Berlin
Prof. Dr. Leo Stern, Halle
Prof. Dr. Erwin Stresemann, Berlin
Prof. Dr. Hans Stubbe, Gatersleben
Prof. Dr. Wilhelm Treibs, Leipzig
Prof. Dr. Peter Adolf ThieBen, Berlin
Prof. Dr. Erich Thilo, Berlin
Prof. Dr. Max Volmer, Potsdam,
P'rof. Dr. Adolf Watznauer, Karl-Marx-Stadt,
Prof. Dr. Eduard Winter, Berlin
Prof. Dr. Maxim Zetkin, Berlin
Prof. Dr. Friedrich Zucker, Jena.
Ost und West erhobenen Forderung nach der atom-
waffenfreien Zone vie sic der Plan des AuBen-
ministers der Volksrepublik Polen, Rapacki, vor-
sieht.
Wir stehen vollinhaltlich hinter dem Angebot unseres
Bundesvorstandes des FDGB an den DGB-Vorstand
auf gemeinsamen Kampf filr die Schaffung einer
atomwaffenfreien Zone in Mitteleuropa.
Wir sind tiberzeugt, daB die Aktionseinheit aller
Arbeiter, aller Bauern, aller Wissenschaftler, aller
friedliebenden Menschen, die Forderung verwirk-
lichen wird
?Deutschland soli frei von Atomwaffen sein".
In Verbundenheit mit Ihnen
200 Betriebsfunktionare
des VEB Textilkombinat Zittau
VEB Textilkombinat Zittau
Betriebsgewerkschaftsleitung
gez. Bretschneider gez. Schuster
gez. Knornschild
Kombinatsdirektor
Stellungnahme der Mitarbeiter des Instituts fiir Wirtschaftswissenschaften
zur atomwaffenfreien Zone
Auf einer Beratung Ober die vom Audenminister der
Volksrepublik Polen, Rapacki, gemachten Vorschlage
zur Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mittel-
europa sind wir zu folgender Auffassung gelangt:
Die Schaffung einer atomwaffenfreien Zone in Mittel-
europa entspricht den Wiinschen vieler Millionen
friedliebender Menschen In der Verwirklichung des
Rapacki-Planes sehen wir einen auBerordentlich
bedeutungsvollen Schritt zur Entspannung der inter-
nationalen Lage. Die Bildung einer atomwaffenfreien
Zone vermindert die unmittelbar drohende Gefahr
eines Atomkrieges in Europa und bildet zugleich die
beste Voraussetzung cigar, daB die Atom- und
Wasserstoffwaffen geachtet werden.
Mit der Weigerung der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland und der anderen imperialistischen Mach-
te, den Rapacki-Plan anzunehmen, sind wir auf Icei-
nen Fall einverstanden. Urn unseren Willen eindeutig
Ausdruck geben zu 'carmen, fordern wir die Durch-
ftihrung einer Volksbefragung, wie sic von unserem
Ministerprasidenten, Herrn Otto Grotewoia, filr ganz
Deutschland vorgeschlagen wurde. Die Imperialisten
sollen wissen, daB ihre Kriegspolitik auf einen immer
starker wachsenden Widerstand stoBt und daB das
deutsche Volk nicht gewillt ist, sich em n drittes Mal
ftir ihre Profitinteressen miBbrauchen zu lassen.
Wir stimmen einer von den Mitarbeitern der wirt-
schaftswissenschaftlichen Fakultat der Humboldt-
Universitat veraffentlichten Entschliel3ung zu, in der
es heiI3t:
?Wir konnen weder die Legitimation der Bundes-
regierung noch die des Bundestages anerkennen,
wenn sic ilber den Willen und die Lebensinteressen
des deuttchen Volkes hinweg an der Politik des
kalteir und der Vorbereitung des heif3en Krieges fest-
halten.
Die Entscheidung einer solchen Frage geh6rt vor
das Forum des gesamten Volkes."
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILUNGISBLATT
3
Gemeinsam mit den Angeh6rigen der wirtschafts-
wissenschaftlichen Fakultat der Humboldt-Universi-
tat rufen wir alle Wissenschaftler und Mitarbeiter
der Deutschen .Akademie der Wissenschaf ten auf:
?Fordert die Annahme des Rapacki-Planes!
Vereinigt Euch mit der Arbeiterklasse zu gemein-
samen Aktionen gegen die Atom- und Raketenriistung
der Bundesrepublik!"
gez. Kaiser gez. Seidel
Vertrauensmann Vertrauensm an n
d. Gew.Gr. 1/II d. Gew.Gr. 2/11
Institut fiir Slawistik
der Deutschen Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin
Angesichts der auBerordentlichen Gefahr, die emn
Krieg mit Massenvernichtungswaffen fiir die ge-
samte Menschheit bedeutet, stellen sich die Unter-
zeichner dieser Erklarung einmiltig hinter die Forde-
rung der Weltaffentlichkeit nach wirksamen Ab-
rilstungsmaBnahmen. Unter besonderer Berticksichti-
gung der Lage in Deutschland sehen die Unter-
zeichner in den Vorschlagen des Polnischen AuBen-
ministers Rapacki einen ersten erfolgversprechenden
Schritt zur allmahlichen Verminderung der Kriegs-
gefahr. Damit ist die Zustimmung zu alien Bemiihun-
gen nach einer Gipfelkonferenz und eine Stellung-
nahme gegen die Politik der Raketenbasen ver-
bunden.
gez. Akademiemitglied
Akademiemitglied
Dr. Bathe
Dr. Ziegengeist
Dr. Tetzner
Dr. Schall
Herr Gunther
Herr Hinze
Frau Werner
Frl. Sander
Frau Lorenz
Herr Riegel
Herr Rappich
Fri. Jonas
Prof. Dr. H.-H. Bielfeldt
Prof. Dr. E. Winter
Herr Lehmann
Herr GraBhoff
Fri. Eckert
Frau Hammer
Frau Schultze
Fri. Spindler
Fri. Stoss
Herr Bamborschke
Herr Grau
Fri. Flentje
Herr Pohrt
Verstarkung der Zusammenarbeit von Wissenschaft und Praxis
Die ersten Wochen dieses Jahres haben uns alle in
Atem gehalten. Grof3e gemeinsame Aufgaben, in die
die Plane und Ziele des einzelnen eingeschlossen
sind, harren der Losung. Es mehren sich die Stimmen
unci Taten derer, die ihre Erkenntnisse nur dem
Wohle der Menschheit dienst bar machen wollen und
die sich entschieden gegen die sehr reale Gefahr f?r
die Menschheit wehren, die alles daran setzen wollen,
die geflihrlichen politischen Spannungen zu mildern
und die gegenseitige Anntiherung zu fordern. Die
Erklarung von 84 namhaf ten Gelehrten ist em n Be-
weis dafiir.
Das vriechische Altertum pragte den Begriff des zoon
politikon .Tratrixdv), ? em n Begriff, dessen wirk-
lichen Inhalt uns unser, das neue Leben, demon-
striert.
Neu ist der Charaicter unseres Staates, neu das We-
sen der Arbeit des einzelnen in diesem Staat der
Arbeiter und Bauern. Neu ist die Atmosphiire am
Arbeitsplatz, in den Parteien und den anderen gesell-
schaftliclzen Organisationen.
Dem aufstrebenden Neuen im Kampf gegen das ab-
sterbende, hemmende Alte zum Siege zu verhel f en,
das ist unsere Aufgabe.
Die Deutsche Akademie der Wissenschaf ten zu Berlin,
und die Forschungsgemeinschaft der naturwissen-
schaftlichen, technischen und medizinischen Insti-
tute vereinigen in sich die verschiedensten Diszi-
plinen, und trotz aller Verschiedenheit gibt es die
vereinende gemeinsame Zielsetzung: die Arbeiter-
und-Bauern-Macht beim Aufbau des Sozialismus
nach besten Kraf ten zu unterstiitzen.
Fiihrende Personlichkeiten unseres Staates haben
gerade denen,' die Wissenschaft betreiben und fiir
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die Anwendung ihrer Ergebnisse verantwortlich sind,
wichtige Hinweise gegeben.
Der nachstehende Auszug aus dem Ref erat des
Ersten Stellvertreters des Vorsitzenden des Minister-
rates, Walter Ulbricht, auf der 32. Plenar-
sitzung der Volkskammer der Deutschen Demokra-
tischen Republik am 11. 2. 1958 wird unter diesem
Gesichtspunkt wiedergegeben.
Trotz groBer Erfolge, die wir auf diesem Gebiet be-
reits erzielt haben, sind in unserer Forschung und
Entwicklung noch prinzipielle Mangel zu verzeich-
nen. Sic liegen vor allem darin begriindet, daB die
Forschung und Entwicklung in der Vergangenheit
noch ungentigend im Zusammenhang mit den Be-
diirfnissen unserer Volkswirtschaft betrieben wurde
und daB die Ergebnisse der Forschung und Entwick-
lung unbefriedigend in die Produktion eingefiihrt
wurden. Die Grundfrage ist dabei die auf sozialisti-
sche Weise organisierte Zusammenarbeit von For-
schern, Wissenschaftlern, Konstrukteuren und Tech-
nologen.
Von seiten der Produktion und der staatlichen Or-
gane aber wurde die Aufgabenstellung der Forschung
und Entwicklung in viel zu geringem Umfange be-
stimmt. Obwohl im MinisterratsbeschluB fiber die
MaBnahmen zur Forderung des wissenschaftlich-
technischen Fortschritts in der Deutschen Demokra-
tischen Republik vom 21. Juli 1255 gefordert wird,
daB die Staatliche Plankommission Schwerpunkte
ftir die Hebung des Standes von Forschung und Ent-
wicklung festzulegen hat und die Ministerien und
Hauptverwaltungen entsprechende Hauptaufgaben
auf dem Gebiet der Forschung und Entwicklung be-
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MITTEILUNGSBLATT 4. Jahrgang, Heft 1/2/3
stimmen sollten, ist dieser Forderung in ungentigen-
dem Mane nachgekommen worden.
Die vielseitigen Interessen der Wissenschaftler und
Ingenieure in der Farschung und Entwicklung fiihr-
ten zu einer Zersplitterung der Krafte. Sie nahmcn
viel zuviel Einzelprobleme ohne Beziehunger unter-
einander und zu den Aufgaben der Volkswi. schaft
in Angriff. Das fiihrte dazu, daB die einzelnen
Wissenschaftler und Ingenieure immer mehr Themen
bearbeiten und der AbschluB der Arbeiten immer
mehr hinausgezogert wurde. Die Verbindung mit der
Produktion, insbesondere mit den Neuerern und Ra-
tionalisatoren, ist ungentigend, und der EinfluB auf
den technischen Fortschritt laBt zu wiinschen tibrig.
Die Betriebe drangen nicht die Forschungs- und Ent-
wicklungsstellen, ihre Ergebnisse zur Verfilgung zu
stellen, veil vor Aufnahme der Forschungs- und
Entwicklungsarbeiten keine Abstimmung zwischen
der Produktionssphare und der wissenschaftlichen
Sphare erfolgte. Gute Ergebnisse in der Forschung
linden in der Produktion und Industrie nur einen
v?llig ungentigenden Niederschlag und das yolks-
wirtschaftliche Ergebnis entspricht vielfach nicht
dein hohen Aufwand.
Die Ursachen daftir liegen meist nicht in der wissen-
schaftlichen Qualifikation, sondem in erster Linie in
der Organisation der Arbeit der Institute und in der
Abstimmung und Zusammenarbeit mit der Industrie.
In Berlin besteht zum Beispiel bei der Akademie der
Wissenschaf ten em n Institut fur Geratebau. Dieses
Institut entwickelte eine ganze Anzahl ausgezeich-
neter Instrumente, so zum Beispiel em n Quadranten-
Elektrometer, das mit dem Prilfzeichen S ausgezeich-
net wurde, em n Massenspektrometer, em n Kern-Re-
sonanzspektrometer u. a. Ira Forschungs- und Ent-
wicklungsplan des Instituts bestehen aber keine
Vorstellungen dartiber, welche Betriebe diese Er-
zeugnisse in die Produktion aufnehmen sollen. So
kommt es, daB seit einem dreiviertel Jahr vergeblich
versucht wird, den Quadranten-Elektrometer, zu dem
fast alle Werkzeuge vorhanden sind, in die Serien-
produktion zu tiberftihren. Ira Jahre 1958 wird dieses
Institut aber weiterc.. 33 Themen abschlieBen, deren
Produktion groBtenteils vom Ministerium filr All-
gemeinen Masehinenbau tibernommen werden mtiBte.
Ira Ministerium ftir Allgemeinen Maschinenbau ist
aber der Wert der abgeschlossenen und nicht in
die Produktion ilbergefiihrten Entwicklungen von
17,13 Millionen DM 1956 auf tlber 23 Millionen DM
1957 gestiegen, d. h., das Ministerium kann nicht
einmal seine eigenen Entwicklungen in die Produk-
tion ilberfiihren. Tinter diesen Umstanden konnen die
Wissenschaftler und Konstrukteure des Instituts ftir
Geratebau die Kosten ftir ihre Entwicklung nicht
realisieren, der volkswirtschaftliche Nutzen ihrer
Arbeit bleibt also aus, und f?r sie selbst ist der Zu-
stand auBerst unbefriedigend. Das ist die Folge einer
ungentigenden Abstimmung mit der Produktion. In
vielen anderen Instituten ist die Lage ahnlich.
Andererseits zeigt es sich, daB viele Betriebe allein
mit der Ltisung schwieriger konstruktiver und wis-
senschaftlicher Arbeiten nicht weiterkommen. Hier
ware die Unterstiltzung der hochqualifizierten Wis-
senschaftler und Konstrukteure aus den Instituten
erforderlich. So gibt es zum Beispiel bis jetzt noch
keine Regelung fiir Hoehdruckkesselanlagen, die voll
befriedigt. Die Industrie muB zur Losung dieser Auf-
gaben unbedingt die wissenschaftlichen Institute
heranziehen, und es ist erforderlich, Forschungs-
gemeinschaften zur Losung der wichtigsten Fragen
zu bilden. Ebenso sollen die wissenschaftlichen
Krafte der Institute herangezogen werden, um be-
reits produzierte Erzeugnisse wissenschaftlich zu
tiberarbeiten und auf den hochsten Stand der Tech-
nik zu bringen. So ist es z. B. nicht zu vertreten, daB
bei uns noch kein Thermostat filr Haushaltkilhl-
schranke produziert wird, der einwandfrei arbeitet.
Der unbefriedigende Zustand laBt sich schnell ver-
bessern, wenn energisch zu der bereits vorgeschla-
genen Vertragsforschung ilbergegangen wird. Da-
durch wird gewahrleistet, daB in erster Linic die
Themen -bearbeitet werden, die dringend benotigt
werden und deren Produktionsaufnahme ge-
sichert ist.
Urn den neuen groBen Aufgaben der Forschung und
Entwicklung gerecht zu werden, wurde bereits im
September vorigen Jahres der Forschungsrat der
Deutschen Demokratischen Republik gebildet. Er be-
ginnt mit der Bildung von Forschungsgemeinschaften
zur Bearbeitung komplexer Probleme, damit unnotige
Doppelarbeiten vermieden werden und die Teil-
arbeiten, die zur Losung dieser Probleme geleistet
werden mtissen, termingerecht und aufeinander ab-
gestimmt durchgefiihrt werden. Damit die Arbeiten
der wissenschaftlichen Institute den Bediirfnissen
der Volkswirtschaft entsprechen, ist das Prinzip der
Auftragserftillung eingeftihrt worden, nachdem Be-
triebe und staatliche Organe den Instituten Auftrage
zur LOsung von Forschungs- und Entwicklungsauf-
gaben erteilen. Ein weiterer Schritt der Forschungs-
tatigkeit soil darin bestehen, daB die neugebildeten
Vereinigungen Volkseigener Betriebe einen starken
EinfluB auf die Aufgabenstellung der Forschung und
Entwicklung nehmen. Deswegen ist es erforderlich,
daB in der Regel jeder VVB em n Institut als Leit-
institut zugeordnet wird, das die Forschungs- und
Entwicklungsstellen der Betriebe der VVB anleitet
und Verbindungen zu den iibrigen Forschungs- und
Entwicklungsstellen, die fur die Aufgaben des In-
dustriezweiges von Bedeutung sind, herstellt. Die
VVB sollen mit Unterstiltzung der Leitinstitute die
Auftragsforschung fiirdern. Sie sollen aber auch
durch die Herstellung des unmittelbaren Kontaktes
der Wissenschaftler in den Instituten, Akademien,
Universitaten und Hochschulen mit den Betrieben
daftir sorgen, daf3 die Forschungs- und Entwicklungs-
aufgaben, die zur Erftillung der Produktionsplane
gelost werden miissen, den Wissenschaftlern in alien
Zusarnmenhangen bekannt werden und daB anderer-
seits die Ergebnisse der Forschungs- und Entwick-
lungsarbeiten von den Betrieben unverztiglich und
in vollem Umfange nutzbar gemacht werden.
Die Bildung der Vereinigungen volkseigener Betriebe
und ihre Verantwortung ftir die Forschung und Ent-
wicklung soli auch em n wesentlicher Schritt ftir eine
bessere Auswertung und Anwendung der groBen Er-
fahrungen und Kenntnisse der Arbeiter und der
Funktionfire der Betriebe filr den wissenschaftlichen
Fortschritt, insbesondere fiir die EinfLihrung tech-
nischer Verbesserungen und neuer Produktions-
verfahren sein.
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILUNGSBLATT
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In ihrer 32. P/enarsitzung verabschiedete die Volks-
kammer der Deutschen Demokratischen Republik
einstimmig das Gesetz fiber die Vervollkommnung
und Vereinfachung des Staatsapparates in der Deut-
schen Demokratischen Republik.
In der Debatte sprachen u. a. die Herren Akademie-
mitglieder Prof. Dr. E.Corrensund Prof. Dr. H. H.
Franck.
Die erzieherische Arbeit der Nationalen Front
Die Entwicklung in unserer Republik hat tausend-
fach bewiesen, daB es richtig ist, wenn gerade die
Ausschtisse der Nationalen Front sich urn alles, was
in den Volksvertretungen behandelt und beschlossen
wird, standig kiimmern. Zum erstenmal wird jetzt
die Verantwortlichkeit der Ausschilsse fiir die in
ihrem jeweiligen Territorium zu losenden okono-
mischen, gesellschaftlichen und kulturellen Auf-
gaben feslgelegt. Das bedeutet, daB die Ausschtisse
von sich aus selbst die Initiative in starkerem MaBe
entwickeln, urn ihren Aufgaben in der erzieherischen
Arbeit gerecht zu werden.
Mehr Rechte ziehen auch neue und hohere Pflichten
nach sich. Das bedeutet, daB wir auch in den Aus-
schtissen der Nationalen Front einen neuen MaBstab
fur die Arbeit flnden miissen. Wir Widen nicht nur
feststellen, wieviele Menschen wir in unsere Ver-
sammlungen gefiihrt haben. Die Frage, die zu beant-
worten ist, mull vielmehr lauten: Wieviele Menschen
haben wir durch unsere Tatigkeit fur die aktive Mit-
arbeit beim Aufbau des Sozialismus gewonnen?
Die Verbesserungen, die das uns vorliegende Gesetz
anstrebt, bedingen, daB sie an der Wurzel unseres
politischen Lebens beginnen, bei unseren Parteien
und Massenorganisationen selbst. Eine hohere und
bessere Arbeit unserer Staats- und Wirtschafts-
funktionare kann nur herbeigefiihrt werden, wenn
wir yam Politischen her mehr Einflui3 auf sie neh-
men und wenn die Neigungen zum seelenlosen Ad-
ministrieren bei den politischen Parteien und bei den
Massenorganisationen auf unversohnliche Kritik
stollen.
Prof. Dr. Erich Correns
Akademiemitglied
Wissenschaft und Produktion
Inn Namen der Fraktion des Kulturbundes gibt das
Mitglied der Volkskammer Prof. Dr. Hans Heinrich
Franck die Zustimmung zu dem neuen Gesetz. Als
Prasident der Kammer der Technik spricht Prof.
Franck seine Freude dartiber aus, daB der 'Entwurf
des Gesetzes die Weiterentwicklung von Wissenschaft
und Technik berileksichtigte und zu einer wesentlich
starkeren Einbeziehung der Wissenschaftler und
Techniker in die Losung der wirtschaftlichen Auf-
gaben der Republik f?hren werde. Die Verlagerung
der wissenschaftlich-technischen Forschungstatigkeit
vom Ministerium in die Leitinstitute der Vereinigun-
gen Volkseigener Betriebe bedeute eine direkte Be-
schleunigung des Fortschritts auf diesem Gebiet. Es
sei sehr wesentlich, daB jetzt engere Beziehungen
zwischen der Wissenschaft und der Produktion her-
gestellt werden.
(eat.: ND, 12. 2. 1958)
Das Parteiaktiv der Berliner Institute der Deutschen AkaelPhile der Wissenschaften
zu Berlin
Das Parteiaktiv der Berliner Institute der Deutschen
Akademie der Wissenschaften zu Berlin nahm auf
seiner Beratung vom 18. 2. 1958 zu den Beschltissen
des 35. ZK-Plenums Stellung. Als Ergebnis dieser Be-
ratung geben die Genossen des Parteiaktivs den Be-
sehliissen des 35. ZK-Plenums die voile Zustimmung
und versiehern dem ZK und seinem Politburo mit dem
Genossen Walter Ulbricht an der Spitze, daB sie ein-
mtitig und gesehlossen hinter der Politik und den
Beschltissen unserer Parteifiihrung stehen.
Dabei sttitzen wir uns auf die nberzeugung von der
Richtigkeit der Politik unserer Partei, die sich in
der Praxis und insbesondere in der Durchftihrung
der Beschltisse seit dem 30. ZK-Plenum vielfach be-
statigt hat.
Wir verurteilen entschieden die fraktionelle Tatig-
keit der Gruppe Schirdewan, Wollweber und an-
derer. Unsere Antwort darauf ist der noch konse-
quentere Kampf gegen alle revisionistischen und
opportunistischen Erseheinungen und die Festigung
der Einheit und Geschlossenheit sowie die Erhohung
der Kampfkraft der Grundorganisationen. Dazu ist
die Verstarkung der Parteierziehungsarbeit, die
systematische Aneignung und bewuBte Ani.vendung
des Marxismus-Leninismus, insbesondere des dialek-
tischen Materialismus notwendig. Die Parteiorgani-
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MITTEILUNGSBLATT
4. Jahrgang, Heft 1/2/3
sationen an der Deutschen Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin haben die politisch-ideologische
und erzieherische Arbeit zusammen mit der Losung
der wissenschaftlichen Aufgaben zu ihrer wichtig-
sten politischen Aufgabe zu machen.
Der Marxismus-Leninismus, insbesondere der dialek-
tische Materialismus ist systematisch unter alien
Mitarbeitern zu verbreiten und es ist ihnen zu he!-
fen, sich im Selbststudium unsere Weltanschauung
anzueignen. Das ist die Voraussetzung, die Wissen-
schaft auf der philosophischen Grundlage des Mar-
xismus-Leninismus weiterzuentwickeln und zu be-
reichern und die biirgerliche durch die sozialistische
Ideologie zu ersetzen.
Die EiniluBnahme der Grundorganisationen auf den
Inhalt und die Leitung der wissenschaftlichen Arbeit
ist zu vergroBern und damit ihre fiihrende Rolle zu
erringen und zu festigen.
Die begonnene politische Orientierung und Arbeit
zur bewuBten Einbeziehung der Institutskollektive
in den sozialistischen Aufbau muB konsequenter fort-
gesetzt werden.
Im Bereich der Forschungsgemeinschaft und der ge-
sellschaftswissenschaftlichen Institute ist bis Mitte
April je eine Konferenz der Institutsdirektoren und
wissenschaftlichen Mitarbeiter durchzufiihren, die
sich in Auswertung der Anfang Mfirz stattflndenden
III. Hochschulkonferenz und mit den grundsfitzlichen
politisch-ideologischen und wissenschaftlich-organi-
satorischen Aufgaben zur Weiterentwicklung der
Forschungsgemeinschaft bzw. der gesellschafts-
wissenschaftlichen Institute beschaftigen sollen.
Diese Konferenz ist durch die verantwortlichen Ge-
nossen in den betreffenden Gremien, die Partei-
gruppe des Kuratoriums und die Aktivtagung der
Forschungsgemeinschaft bzw. durch die zwei Grund-
organisationen des gesellschaftswissenschaftlichen
Bereichs vorzubereiten.
Urn die Gewerkschaftsorganisationen in die Losung
der gesellschaftspolitischen Arbeiten mehr einzu-
beziehen, schlagen wir vor, bis April in beiden Be-
reichen je eine Gewerkschaftsaktivtagung durchzu-
Iiihren. Diese Tagungen sind parteirnaBig vorzu-
bereiten. Die Arbeit der Genossen in den Gewerk-
schaftsleitungen muB von den zustandigen Partei-
leitungen besser angeleitet, koordiniert und icon-
trolliert werden. Alle Genossen miissen aktive
Gewerkschaftsmitglieder sein und sich eng mit den
parteilosen Kollegen verbinden.
Einige Eindriicke und Lehren der 3. llochschulkonferenz
der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands
(28. 2. bis 2. 3. 1958)
Str. Als am SchluB der 3. Hochschulkonferenz die
Internationale erklang, war wohl keiner unter den
900 Delegierten, der nicht bei den Worten des
Kampfliedes der internationalen Arbeiterbewegung
?wir sind die stiirkste der Parteien" sptirte: in diesen
Worten kommt der Geist zum Ausdruck, der den
Beratungen dieser Konferenz zugrunde lag.
Den Problemen der weiteren sozialistischen Urn-
gestaltung unseres Hochschulwesens war das Referat
des Sekretars des ZK der SED, Prof Kurt Hager,
gewidmet. Ihnen galten auch die fiber 40 Diskus-
sionsbeitrage, die auf der Konferenz vorgetragen
wurden ? em n Mehrfaches an Wortmeldungen konnte
aus Zeitmangel nicht berticksichtigt werden flail diese
Probleme des grundlegenden Umschwunges im Inhalt
und in den Methoden der Forschung, Ausbildung und
Erziehung an Universitaten, Hochschulen und In-
stituten in einer solchen Atmosphare der Zuversicht
behandelt wurden, ist alles andere als eine bloBe
Stimmungsangelegenheit. Kritisch und optimistisch
zugleich war diese Konferenz eben deshalb, veil
sich die Delegierten kampferisch und offen zu dem
Entwicklungsprozel3 bekannten, den die Sozialistische
Einheitspartei Deutschlands in den letzten Jahren
durchlief, und dem die Beschlusse der 30. bis 35. Ple-
nartagungen des ZK der SED die Richtung wiesen.
Dieser EntwicklungsprozeB entspricht den Aufgaben,
die beim Aufbau des Sozialismus in der Deutschen De-
mokratischen Republik entstanden sind. Das Wachs-
turn an ideologischer Klarheit, marxistisch-leninisti-
scher Prinzipienfestigkeit und innerer Einheit befahi-
gen die Partei, die Arbeiterklasse und die mit ihr eng
verbundenen Werktatigen bei der L6sung dieser Auf-
gaben zu f?hren und damit nicht nur der Deutschen
Demokratischen Republik, sondern ganz Deutsch-
land den Weg zu weisen. Diese Geschlossenheit der
Auffassung zeigte sich bereits in der Vorbereitung
der Konferenz und gab ihren Beratungen das Ge-
prage. Jetzt kommt es darauf an, die einzelnen Auf-
gaben zu losen.
Der Aufbau des Sozialismus ? darauf vies auch
Prof. Hager in seinem Referat hin ? ist in erster
Linie eine Frage der Erziehung der Menschen. Den
gleichen Gedanken formulierte auch W. A. Kirillin,
Leiter der Delegation des ZK der KPdSU, in seiner
BegrtiBungsansprache. Er erklarte, daB es Aufgabe
der Wissenschaftler ist, nicht nur Kenntnisse zu ver-
mitteln, sondern zu erziehen.
Ftir den Aufbau des Sozialismus in der Deutschen
Demokratischen Republik ist die Forderung der Wis-
senschaft von entscheidenderBedeutung. Wissenschaft
und Technik gehen in unserer Republik einer neuen
Blilte entgegen Diejenigen aber, die Wissenschaft be-
treiben oder betreiben werden und ? es sei hier noch
einmal wiederholt ? fur die Anwendung ihrer Er-
gebnisse verantwortlich sind, konnen nur da erfolg-
reich lernen, wo veraltete, tiberholte Anschauungen,
Lehrmeinungen und Lehrmethoden kOmpferisch Ober-
wunden werden und zu neuen Erkenntnissen vor-
gedrungen wird. Deshalb ist die weitere sozialistische
Umgestaltung der Universitaten, Hochschulen und
Institute em n Erfordernis des Aufbaus des Sozialis-
mus, der sozialistischen Entwicklung. Mit der so-
zialistischen Umgestaltung der Bildungsstatten in
der Deutschen Demokratischen Republik kann auch
der Widerspruch zwischen dem raschen Aufschwung
der sozialistischen Praxis und dem Zurtickbleiben
der Universitaten und Hochschulen, an denen noch
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILUNGSBLATT
7
die Trennung der fachlichen Ausbildung von der
weltanschaulich-politischen Erziehung herrscht, iiber-
wunden werden. Das sozialistische Prinzip sieht For-
schung, Lehre, Erziehung und Praxis als eine Ein-
heit. Der 1. Sekretfir des ZK der SED, Walter Ul-
bricht, vies darauf hin, daB unter sozialistischer Urn-
gestaltung die planmfiBige Erziehung von wissen-
schaftlich-technischen Fachkraften verstanden wird,
die dem Arbeiter-und-Bauern-Staat treu ergeben
sind und sich in ihrer Arbeit von den groBen Ideen
des Sozialismus leiten lassen. ?Die sozialistische Um-
gestaltung" ? so erlauterte Prof. Kurt Hager ? ?ist
keine einmalige Aktion, sondern em n langwieriger
ProzeB der Erziehung und Umerziehung der Men-
schen, des standigen Meinungsstreites, der Verbesse-
rung der Organisation und Arbeitsweise in den
Parteiorganisationen, den leitenden staatlichen Or-
ganen, in der Forschung und im Studium". Deshalb
bezeichnete der Referent als die wichtigsten Auf-
gaben fur die sozialistische Umgestaltung der Hoch-
schulen und Universitaten:
1. Die Aneignung des dialektischen Materialismus
durch die Lehrkrafte und Studierenden auf der
Grundlage der Erfahrungen und Probleme des
sozialistischen Aufbaus in der Deutschen Demo-
kratischen Republik.
2. Die Anwendung sozialistischer Prinzipien in der
Forschung.
3. Die sozialistische Orientierung in Lehre, Ausbil-
dung und Erziehung.
4. Die Schaffung neuer Grundlagen ftir die. Auswahl
und die Zulassung zum Studium.
5. Die Sicherung einer einheitlichen unbilrokra-
tischen Leitung des Hochschulwesens.
Urn aber die Notwendigkeit der weiteren sozialisti-
schen Umgestaltung der Universitaten und Hoch-
schulen verstehen zu konnen, mull sich jeder Wissen-
schaftler und Studierende, jeder Mitarbeiter eines
Instituts oder einer Hochschulverwaltung em n klares
Bild Ober die sozialistische Perspektive der gesell-
schaftlichen Entwicklung erwerben.
Die Erweiterung vorhandener Kenntnisse und Er-
kenntnisse, die Gewinnung neuer Kenntnisse und Er-
kenntnisse, besonders das Studium des dialektischen
Materialismus, werden die Aufgaben Ibsen helfen
und die Perspektive unserer Entwicklung begreifen
lassen.
Es ist selbstverstandlich, daB sich die Diskussion auf
der 3. Hochschulkonferenz zuerst und vor allem urn
die weitere Entwicklung der Parteiorganisationen
an den Universitaten und Hochschulen zu mar-
xistisch-leninistischen Kampforganisationen bewegte.
Dieser Frozen kann nur dann erfolgreich vor sich
gehen, wenn revisionistische und opportunistische
Auffassungen, d. h Entstellungen der marxistisch-
leninistischen Theorie, unversohnlich bekampft und
iiberwunden werden
Dabei geht es nicht alien.' darum, sich mit den Auf-
fassungen einzelner Parteimitglieder auseinanderzu-
setzen, sondem das ideologische Niveau der gesam-
ten Partei zu erh?hen. Die Wege zu solchen Ausein-
andersetzungen konnen verschiedenartig sein. Der
Sekretar der Parteiorganisation der Humboldt-Uni-
versitat, H. Singer, berichtete, vie in verschiedenen
Grundeinheiten der Sozialistischen Einheitspartei
Deutschlands an der Universitat, so zum Beispiel bei
den Germanisten, Thesen zu aktuellen Problemen
der betreiTenden Wissenschaft erarbeitet und nach
einer Beratung zwischen den Mitgliedern offentlich
zur Diskussion gestellt wurden.
An diesem Beispiel zeigt sich auch bereits, vie die
theoretisch-ideologischen Auseinandersetzungen in
den Parteiorganisationen nicht Selbstzweck sind,
sondern der sozialistischen Umgestaltung der Uni-
versitaten, Hochschulen und Institute dienen. Sic
bringen eine breite Auseinandersetzung in den be-
treffenden Fachgebieten in Gang, in denen ja nicht
nur Mitglieder der SED, sondern auch zahlreiche
andere Wissenschaftler tatig sind. Auch dadurch wer-
den die Wissenschaftler und Studenten ftir die so-
zialistische Umgestaltung gewonnen werden.
In seinem SchluBwort bezeichnete Prof. Hager diesen
Fragenkomplex als das zweite Hauptproblem der
Diskussion. Er hob nachdrticklich und unmifiver-
stiindlich hervor, daB der Sozialismus keine Partei-
angelegenheit ist, sondern Sache aller, die nach einer
hoheren Gesellschaftsordnung streben. Der Sozialis-
mus ist auch nicht nur eine vortibergehende Sache,
sondern die Zukunft ganz Deutschlands. Die Dis-
kussionsbeitrage von zwei der parteilosen Gaste, die
an der Konferenz teilnahmen, namlich Prof. Werlie,
Greifswald, und Prof. Schroter, Humboldt-Univer-
sitat zu Berlin, bewiesen, daB die Zahl derjenigen Ge-
lehrten wachst, die diesen Auffassungen zustimmen.
Das Studium und die Aneignung des dialektischen
und historischen Materialismus ist von unmittelbarer
Bedeutung ftir bessere wissenschaftliche Ergebnisse
in 'jedem Fachgebiet. In diesem Zusammenhang sei
einer der interessantesten Diskussionsbeitrage er-
wahnt. Annemarie Podrabski, Halle, eine junge Land-
wirtschaftswissenschaftlerin, bewies an Beispielen
aus ihrem Fachgebiet die Richtigkeit dieser Feststel-
lung. Ihre fundierte Kritik an btirgerlichen und revi-
sionistischen Auffassungen einzelner Gelehrter lehrte
von neuem, daB auch jtingere Krafte des wissen-
schaftlichen Nachwuchses gewichtige Beitrage in
diesen Auseinandersetzungen liefern konnen.
Zahlreiche Diskussionsbeitrage beschaftigten sich mit
der Verbindung zwischen Wissenschaft und Produk-
tion als einer Voraussetzung der sozialistischen Urn-
gestaltung. ?Die Wissenschaft von heute ist die Pro-
duktion von morgen", sagte Franz Dahlem, stell-
vertretender Staatssekretar fur das Hoch- und Fach-
schulwesen Er erlauterte, clan Hochschulen und
Betriebe zusammenarbeiten miissen. damit einerseits
die Wissenschaftler die Bedilrfnisse des sozialisti-
schen Aufbaus kennenlernen, andererseits die Ten-
denz der Unterschatzung der Wissenschaft in den
Betrieben iiberwunden wird. So schlug Prof. Dr
H. Friihauf, Vizeprasident der Deutschen Akademie
der Wissenschaften zu Berlin und Vorsitzender der
Forschungsgemeinschaft der naturwissenschaftlichen,
technischen unci medizimschen Institute der DAW,
vor, Hochschullehrer in den neuen Vereinigungen
volkseigener Betriebe als Berater hinzuzuziehen
Die sozialistische Umgestaltung der Universitaten
und Hochschulen starkt die Deutsche Demokratische
Republik und tragt damit zu einer fortschrittlichen Ent-
wicklung ganz Deutschlands bei. Das war der dritte
Fragenkomplex der Diskussion. Die Existenz zweier
deutscher Staaten ist eine Tatsache, und nur durch
eine Konfoderation dieser beiden Staaten kann der
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MITTEILUNGSBLATT 4. Jahrgang, Heft 1/2/3
Weg zur Einheit Deutschlands geebnet werden.
Mit groBem Ernst wiesen der Referent und zahl-
reiche Diskussionsredner darauf hin, daB es daher
ftir die Wissenschaftler der Deutschen Demokra-
tischen Republik keine Verbindung zu den Vertretei n
imperialistischer Ideologien, auch wenn sic an Uni-
versitaten und Hochschulen tatig sind, geben darf.
Im Interesse der deutschen Wissenschaft und des
deutschen Volkes .liegt es, daB wir uns nicht mit
imperialistischen Kreisen in Westdeutschland, son-
dern mit denienigen, die auch in Westdeutschland
fill. den Frieden eintreten, verbunden Millen. Prof.
Hager erklarte, daB die sozialistische Umgestaltung
der Hochschulen nicht zur Folge haben wird, claf3
Vertretei unserer Republik sich von wissenschaft-
lichen Tagungen in Westdeutschland fernhaltei, wer-
den. Es ist viclmehr die Aufgabe eines Wissen-
schaftlers, der in der Deutschen Demokratischen
Republik arbeitet und als ihr Staatsburger einen
KongreB in einem anderen Staat besucht, diesen
seinen Stant dort zu vertrete.n. Auch damit wird die
sozialistische Umgestaltung der Hochschulen zur
Grundlage f Lir die Entwicklung eines fortschritt-
lichen llochschulwesens in ganz Deutschland werden.
Die PrObleme, die auf der 3. Hochschulkonferenz
der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands be-
handelt wurden, bertihren auch unmittelbar die
Tatigkeit und die weitere Perspektive der Institute
und Einrichtungen der Deutschen Akademie der
Wissenschaften zu Berlin.
Die Redaktion des Mitteilungsblattes beabsichtigt
daher,-eine Diskussion fiber die Aufgaben und die
Umgestaltung der Institute und Einrichtungen der
Deutschen Akademie der Wissenschaf ten zu Berlin
fiir den sozialistischen Aufbau zu eroffnen.
Die Parteiorganisationen der SED und die anderen
gesellschaftlichen Organisationen, die in unserem
Bereich tatig sind, die Leiter der Institute und Ein-
richtungen und ihre Mitarbeiter werden auf-
gefordert, sich an dieser Diskussion zu beteiligen.
Die Forschungsgemeinschaft
Der Wissenschaft und der verantwortungsbewuf3ten Anwendung ihrer Ergebnisse
kommt eine vorrangige Bedeutung zu
Der Vorsitzende der Forschungsgemeinschaft der
naturwissenschaftlichen, technischen und medizi-
nischen Institute der Deutschen Akademie der
Wissenschaf ten zu Berlin, Vizeprasident Prof. Dr.
H.Frilhauf, gab auf der 2. Konferenz der Direk-
toren der Institute der Forschungsgemeinschaft am
22. I. 1958 den Arbeitsbericht.
Nachstehend bringen wir diesen Bericht zur
Kenntnis:
Meine sehr verehrten Kolleginncn und Kollegen!
Gestatten Sie mir, daB ich unserer heutigen 2. Be-
ratung einige Worte vorausschicke, die aus dem
Munde eines der bedeutendsten Forscher und Ge-
lehrten, aus dem Munde von Frederic Joliot-Curie,
korrespondierendes Mitglied der Deutschen Aka-
demie der Wissenschaften zu Berlin, stammen:
?Mit jedem Tage erkennen immer mehr Menschen,
daf3 ihr Schicksal und ihr Fortschritt davon ab-
hdngen, wie jeder von ihnen denkt und handelt.
Sie fiihlen sich nicht mehr als machtlose Zeugen
eines von dem Willen und den Launen h?herer
Krafte in Gestalt privilegierter Minderheiten oder
Cotter, der Natur oder von Menschen bestimmten
Geschehens. Daf3 jeder sich seiner eigenen Verant-
wortung und demzufolge seines Einflusses auf den
Gang der Ereignisse bewuf3t gewOrden ist, scheint
das charakteristische Merkmal wahrer und unzer-
storbarer Zivilisation zu sem."
Ich habe meinen Ausfiihrungen diese Worte eines
groBen, eines erfahrenen und erfolgreichen, eines
mutigen Forschers vorangestellt, veil ich glaube,
daB sic in bemerkenswerter, in der dem Wissen-
schaftler eigenen klaren Sprache die Lage und die
Entwicklungsrichtung unserer Gesellschaft, in die
wir nun einmal gestellt sind, kennzeichnen.
Dieses Mare Bekenntnis eines groBen Forschers macht
eindringlich die in immer weiteren Kreisen der
gesamten Menschheit bewuBt oder manchmal auch
noch unbewuf3t sich durchsetzende Auffassung deut-
lich, daB in dem Ringen um eine wahre und un-
zerstorbare Zivilisation, urn die Worte Joliot-Curies
zu benutzen, der Wissenschaft und der verant-
wortungsbewuBten Anwendung ihrer Ergebnisse
eine vorrangige Bedeutung zukommt.
Es mull sich also ftir uns, die wir unsere Arbeit
und unser Leben der Wissenschaft und der Erfor-
schung der Gesetze der Natur verschrieben haben
mit dem klaren Ziel, die menschliche Gesellschaft
in Richtung auf diese wahre und unzerstorbare
Zivilisation welter zu entwickeln, die SchluBfolge-
rung ergeben, daB wir an der Seite derer stehen,
die diesem edlen Ziel zustreben; und es scheinen
mir Zweifel unzulassig, daB der wahrhaft wissen-
schaf tlich und somit auch folgerichtig denkende
Forscher und Gelehrte sich ftir den Frieden und
fur die Weiterentwicklung der Menschheit ent-
scheiden mull und nicht ftir die Zerstorung, ftir
den Irrglauben und fur den U."..?ergang der Mensch-
heit.
Wenn ich in unserer heutigen Beratung nunmehr
fiber die Aufgaben und Ober die Arbeit des Vor-
standes im hinter uns liegenden letzten halben Jahr
berichte,- so mochte ich Sie bitten, diese Arbeit
unter dem dargelegten Aspekt zu betrachten.
In seiner Arbeit muBte sich der Vorstand der For-
schungsgemeinschaft der naturwissenschaftlichcn,
technischen und medizinischen Institute der Deut-
schen Akademie der Wissenschaften zu Berlin zu-
nachst einmal mit einer Reihe von verwaltungs-
technischen Fragen befassen, die mit der Grtindung
der Forschungsgemeinschaft zusammenhingen.
4. Jahrgang, Heft 1/2f3 MITTEILUNGSBLATT
Der Vorstand sieht es als eine der wichtigsten Vor-
aussetzungen fur die folgerichtige Durchfilhrung
seiner Arbeit an, eine enge und lebendige Verbin-
dung zu unseren Instituten und Arbeitsstellen her-
beizuftihren. Urn die hierftir notwendigen Voratts-
setzungen zu schaffen, beschloB der Vorstand, die
einzelnen Vorstandsmitglieder f?r bestimmte Ein-
richtungen der Forschungsgemeinschaft speziell ver-
antwortlich zu machen. Danach ist
Prof. Dr. R. Rompe
fiir die physikalischen Institute,
Prof. Dr. K. Schr?der
fur die mathematischen und geophysikalischen
Institute,
Prof. Dr. E. Thilo
fur die chemischen Institute,
Prof. Dr. H. Gummel
fur die medizinisch-biologischen Institute
und Dr. H. Neels
filr die physikalisch-chemischen und geolo-
gischen Institute
verantwortlich. Es erschien auf3erdem zweckmaBig,
in den Verantwortungsbereich des Vorsitzenden des
Vorstandes der Forschungsgemeinschaft diejenigen
Institute einzubezichen, die durch ihre Grof3e, ihre
speziflsche Bedeutung oder besonderer Umstande
wegen auBerhalb eines durchschnittlichen Instituts-
rahmens liegen.
Es sind dies:
das Institut fur Technologie der Fasern,
das Institut filr Geratebau,
das Institut ftir Kulturpflanzenforschung
und das Institut ftir Dokumentation.
Diese Aufteilung hat sich gut bewahrt. Zahlreiche
Kollegen nahmen bereits die Moglichkeit wahr,
mit ihrem zustandigen Vorstandsmitglied tiber Pro-
bleme ihres Instituts zu sprechen. Leider war es
dem Vorstand wegen der Mille vorliegencler Grund-
satzfragen noch nicht moglich, Vorstandssitzungen
direkt in den einzelnen Instituten durchzuftihren.
Am 31. Oktober 1957 fand die zweite Sitzung des
Kuratoriums der Forschungsgemeinschaft statt, auf
der der Vorstand ebenfalls tiber seine bisherige
Tatigkeit berichtete. Auf dieser Sitzung wurden die
Geschaftsordnung des Kuratoriums verabschiedet,
die Berichte tiber den Investitionsplan 1958 und die
vorgesehenen Investitionen ftir das Jahr 1359 und
1960 entgegengenommen sowie Vorschlage und
grundsatzliche Richtlinien beraten Prof. Dr
R. Rompe unterrichtete das Kuratorium Ober den
Zentralen Plan Forschung und Technik
Das Kuratorium billigte diese Berichte und die bis-
herige Tatigkeit des Vorstandes.
Die Diskussionen und Beratungen im Kuratorium
sind eine groBe Hilfe ftir die Arbeit der Forschungs-
gemeinschaft. Sie tragen mit dazu bei, die Verbin-
dungen zu den produzierenden Betrieben, zu den
Ministerien, zu zentralen Institutionen und leiten-
den Personlichkeiten unserer Regierung zu ver-
bessern und zu festigen und das gegenseitige Ver-
standnis fur vorhandene und sich entwickelnde
Probleme zu fordern. So hat z. B. die Empfehlung
des Kuratoriums an die Staatliche Plankommission,
Mittel ftir das 2 m-Spiegel-Objekt in Tautenburg
bei Jena und das Institut ftir Regelungstechnik in
9
Dresden auBerhalb des urspriinglichen Planes bereit-
zustellen, dazu gefiihrt, daB die Investitionsmittel
der Akademie entsprechend erhoht wurden.
Der Vorstand beschaftigte sich auch mit dem Pro-
blem der Republikflucht, die in besonders krasser
Form bei Prof. Dr. H.-J. Born vorlag. Es ist Ihnen
bekannt, daB Prof. Dr. Born, als er vor einigen Jahren
aus der Sowjetunion zurtickkehrte, v?llig freiwillig
einen Vertrag mit der Akademie abschloB. Sie
wissen auch, daB eine Reihe seiner damaligen Kol-
legen ungehindert nach der Deutschen Bundesrepu-
blik gingen. Der Einzelvertrag des Herrn Prof. Born
war sehr 'loch dotiert und die Akademie gewahrte
Prof. Born jegliche Unterstiltzung ftir seine wissen-
schaftliche Tatigkeit. Sein Laboratorium war das
erste in der Deutschen Demokratischen Republik, in
dem in groBerem Umfang mit radioaktiven Isotopen
gearbeitet werden konnte. Ungeachtet dieser auBer-
gewiihnlichen Anerkennung und Forderung seiner
Arbeiten und seiner personlichen Wilnsche verlieB
Herr Born im November vorigen Jahres ohne Kiln-
digung, unter Verletzung seines Vertrages, seinen
Arbeitsplatz und lief3 seine Kollegen im Stich, um
mit seiner Familie illegal die Deutsche Demokra-
tische Republik zu verlassen.
Angesichts dieser, das Ansehen und die Ehre eines
Wissenschaftlers verletzenden Handlungsweise, be-
Het der Vorstand allgemein die Fragen des illegalen
Abgangs von Wissenschaftlern und Technikern und
beschlo13, hierfiber Aussprachen mit den Instituts-
direktoren und den Mitarbeitern durchzuftihren. Ihr
Ziel ist, derartig entehrende und degradierende
Handlungen zu vermeiden. An Herrn Born richtete
der Vorstand em n Schreiben, das im Mitteilungsblatt
Heft 11/12 1957 abgedruckt wurde.
Das Problem des illegalen Abgangs unserer Mit-
arbeiter ist sehr ernst. Unsere Regierung ivies nach-
driicklich und vielfach auf die politische Seite dieser
Angelegenheit hin. Die Frage ist einfach die, ob wir
Wissenschaftler fur den Frieden arbeiten wollen,
ftir das Wohl unseres Volkes, filr die Starkung und
das Ansehen unseres Staates, in dem der Wissen-
schaft und Hirer friedlichen Anwendung alle Moglich-
lceiten offenstehen oder filr den Tell Deutschlands,
in dem die Krafte, die unser Vaterland schon zwei-
mal in eine unermeBliche Katastrophe gefilhrt
haben, wieder an der Macht sind. Ich mull in diesem
Zusammenhang daran erinnern, daB unsere Regie-
rung auch die Beihilfe zum illegalen Verlassen un-
seres Staatsgebietes unter Strafe gestellt hat. Es ist
meine Pflicht, Sie aufzufordern, Ihren ganzen Ein-
fluf3 als aufrechte Wissenschaftler geltend zu ma-
chen. Es bedarf Ihrer Aufklarung und Mithilfe, alien
Mitarbeitern das Schandliche und Niedertrachtige
des Wegschleichens aus selbstilbernommenen Ver-
pflichtungen begreiflich zu machen.
Ich mochte an dieser Stelle mit eller Bestimmtheit
aber auch noch auf etwas anderes aufmerksam
machen. Wir sind der Meinung, daB kein Leiter
eines Instituts es zulassen kann und darf, daB in
Akademie-Einrichtungen Doktoranden arbeiten, von
denen es beinahe zum Tagesgesprach geworden ist,
daf3 sic nach AbschluB ihrer Promotion die Deutsche
Demokratische Republik fluchtartig verlassen wer-
den, vorher aber alle ihnen hier gebotene wissen-
schaftliche und materielle Hilfe ausgenutzt haben
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MITTEILUNGSBLATT 4. Jahrgang, Heft 1/2/3
Es ist unbedingt erforderlich, daB Institutsdirek-
toren und leitende Mitarbeiter auf Grund derartiger
Vorkommnisse mehr als bisher der Kaderpolitik
ihre Aufmerksamkeit schenken. Bei der Auswahl
ktinftiger Mitarbeiter durfen sie sich nicht nur von
ausgezeichneten fachlichen Leistungen leiten lassen,
sondern mtissen in starkerem Ma6e auch die poli-
tisch-moralische Haltung berticksichtigen.
Der Besuch von Tagungen und Kongressen zum
Beispiel in der Deutschen Bundesrepublik muf3 lcri-
tischer bewertet und ausgewertet werden. Auf der
Ausstellungstagung fur chemisches Apparatewesen
(ACHEMA) z. B. ist bekannt geworden, daB sic
von einer starken Abwerbettitigkeit charakterisiert
war.
Ich darf Sic nun fiber die weitere Behandlung des
Planes Forschung und Technik 1958 informieren.
Auf der ersten Direktorenkonferenz am 25. 7. 1957
hatte ich Sic davon in Kenntnis gesetzt, daB durch
eine Direktive der Regierung die ?Ordnung der Pla-
nung Forschung und Technik 1958" neu festgelegt
worden ist. An Hand dieser Direktive erklarte ich,
daB es kfinftig solche Forschungsarbeiten gibt, die
in einem Zentralen Plan der Deutsehen Demokra-
tischen Republik, dem sogenannten Z-Plan, zu-
sammengefaBt werden, und da6 die ilbrigen For-
schungsarbeiten in den Plan Forschung und Tech-
nik der Akademie, d. h. in den sogenannten ZO-
Plan, aufgenommen werden. Ich ftigte damals hinzu,
da6 die dritte Kategorie von Forschungsarbeiten,
die die Direktive vorgesehen hat, z. Z. der For-
schungsgemeinschaft in geringerem Umfang zufallen
wurde; hier handelt es sich urn Entwicklungs-
arbeiten, an deren Ergebnis nur einzelne Produk-
tionsbetriebe em n spezielles Interesse nehmen wer-
den.
Da die Direktive zu einem Zeitpunkt herausgegeben
wurde, in dem der Plan Forschung und Technik be-
reits fertig vorlag, bestand zum Zeitpunkt unserer
Beratung am 25. Juli vorigen Jahres noch nicht vollig
Klarheit dartiber, in welcher Form wir die Auswahl
der Themen fur den Z-Plan zu treffen hatten. Hierin
bedurfte es im Vorstand reiflicher tberlegung und
Beratung.
Urspriinglich waren wir der Meinung, da6 wir uns
im wesentlichen auf eine Oberprilfung der frilheren
sogenannten D-Themen unter dem Gesichtspunkt
beschranken sollten, inwieweit diese far den Z-Plan
in Frage kamen. Wir haben uns jedoch dann ent-
schlossen, den gesamten Plan Forschung und Tech-
nik 1958 daraufhin durchzuarbeiten, welche Themen
nach Meinung des Vorstandes ganz besonders yolks-
wirtschaftliche oder wissenschaftlich-technische Be-
deutung hatten. In der sehr kurzen uns zur Ver-
ftigung stehenden Zeit war das eine stark in An-
spruch nehmende und belastende Arbeit.
Die Herren Vorstandsmitglieder tiberprtiften die
Plane der von ihnen betreuten Institute und lichen
sich dabei von folgender Gliederung leiten, die nach
Meinung des Vorstandes die wichtigsten Problem-
kreise, die in der Forschungsgemeinschaft behandelt
werden, wiedergibt und die auch dem Forschungs-
rat der Deutschen Demokratischen Republik bekannt
gegeben wurden:
1. Kernphysik und Kernenergie,
2. Elektronik, Regelungs- und Steuerungs-
technik,
3. Physik und Chemie neuer Werkstoffe,
4. Arodynamik hochster Geschwindigkeiten,
Gasdynamik, Grenzschicht- und Turbu-
lenzprobleme,
5. Anwendung der Statistik in Wissenschaft
und Technik,
6. Grundlagen der Medizin: Krebsforschung,
Ernahrungsforschung, Pharmazie,
7. Kulturpflanzenforschung,
8. Lagerstat ten forschun g,
9. Grundstoffchemie,
10. Arbeitspsychologie
und 11. Geophysikalisches Jahr.
Auf Grund der Empfehlungen der einzelnen Mit-
glieder beschloB der Vorstand, 164 Themen von ins-
gesamt 684 Themen, die der Plan Forschung und
Technik der Forschungsgemeinschaft umfaBt, filr
den Zentralen Plan vorzuschlagen, wahrend also 520
Themen auf den ZO-Plan entflelen. Alle Themen,
die filr den Z-Plan vorgeschlagen wurden, lassen
sich einem der von mir obengenannten Dispositions-
punkte zuordnen.
Der Forschungsrat der Deutschen Demokratischen
Republik hat .sich unter dem Gesichtspunkt, daB nur
die vordringlichsten und zentralen Probleme in den
Z-Plan aufgenommen werden sollen, den Empfeh-
lungen des Vorstandes der Forschungsgemeinschaft
nicht in vollem Umfange angeschlossen; vielmehr
hat auf Grund einer Empfehlung des Forschungs-
rates der Stellvertreter des Vorsitzenden des Mi-
nisterrates, Herr Seibmann, nur 68 der 164 vor-
geschlagenen Themen ftir den Z-Plan bestatigt. So
waren dann die nicht bestatigten 96 anderen Themen
noch mit in den ZO-Plan aufzunehmen.
Von 27 frtiheren D-Themen, die vom Vorstand filr
den Z-Plan vorgeschlagen worden waren, fanden
nur 11 Themen die Bestatigung fur diesen Plan. Das
bedeutet offensichtlich, daf3 die Grundsatze, die fur
die Klassifizierung der Themen entsprechend ihrer
Bedeutung mafigeblich waren, verandert wurden.
Inzwischen ist Ihnen auch schriftlich bekannt-
gegeben worden, welche Themen Ihres Instituts in
den Z-Plan und welche in den ZO-Plan gehoren.
Bevor ich zu den Fragen tibergehe, die die Schaf-
fung der Voraussetzungen ftir die Durchf tihrung
des Planes Forschung und Technik 1958, also des
Kernstticks unserer Plane, betreffen, d. h Fragen des
Haushaltsplanes, des Arbeitskrafteplanes und der
Assistentenordnung, mochte ich mich noch speziell
an diejenigen Herren wenden, in deren Instituten
Z-Plane bearbeitet werden, und einige Worte dar-
ner sagen, welche besondere Verantwortung Ihnen,
meine Herren Kollegen, bei der Durchfiihrung der
im Z-Plan enthaltenen Themen obliegt.
Die auBerordentliche Bedeutung, die unser Staat
diesen Themen beimiBt, verpflichtet uns, ihre Be-
arbeitung selbstverstandlich besonders zu fordern
und standig zu tiberwachen. Ich bin sicher, daB in
Ktirze noch Richtlinien fiber die Berichterstattung
zu diesen Themen und fiber die Abrechnung der
ftir sic verbrauchten Haushaltsmittel vom For-
schungsrat der Deutschen Demokratischen Republik
herausgegeben werden Aber unabhangig davon mull
ich schon heute eindeutig darauf hinweisen, daf3
jedes Thema des ZO-Planes eher Sparsamkeitsmaf3-
nahmen unterworfen werden kann und soil als emn
Thema des Z-Planes. Falls sich bei der Bearbeitung
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILUNGSBLATT
11
der im Z-Plan enthaltenen Themen Schwierigkeiten
herausstellen, die im Institut selbst nicht behoben
werden k6nnen, bitte ich, den Vorstand davon
schnellstens in Kenntnis zu setzen, damit entweder
wir innerhalb der Forschungsgemeinschaft durch
Ausgleich zu helfen versuchen oder, falls dies nicht
moglich 1st, den Forschungsrat urn die erforderliche
Unterstiitzung ersuchen. Seien Sic sich bitte dar-
tiber im klaren, daB die Institute unserer For-
schungsgemeinschaft und die Arbeit jedes Instituts-
direktors am Ende dieses Jahres wesentlich danach
beurteilt werden wird, vie Sic die in dem Zentralen
Forschungsplan enthaltenen Themen bearbeitet und
gelost haben. Wollen Sic sich bitte diese Uberlegung
zu eigen machen und lassen Sic sich in Ihrer Arbeit
von ihr leiten.
Eng mit der Aufgabenstellung der Institute und der
Durchfuhrung der Arbeiten hangt selbstverstand-
lich die Finanzierung der Themen zusammen. In
den ersten Tagen dieses Monats wurde Ihnen der
Etat 1958 und die Gesamtzahl der Beschaftigten
durch das Wissenschaftliche Sekretariat der For-
schungsgemeinschaft mitgeteilt. Nattirlich wird hier-
fiber noch einiges von alien Beteiligten zu sagen sem.
Ich darf aber feststellen, daB es erstmalig moglich
war, Ihnen bereits zu Beginn des Jahres diese Zahlen
schriftlich in die Hand zu geben. Damit wurde recht-
zeitig die Moglichkeit geschaffen, Ma6nahmen zu
beraten, die dazu dienen, die uns iibertragenen Auf-
gaben mit den uns zur Verftigung stehenden Mitteln
clurchzufahren.
In diesem Zusammenhang ist es notwendig, zu-
nachst allgemein auf die Ziele des Staatshaushaltes
1958 einzugehen. Sic sind in der Direktive des Mi-
nisteriums der Finanzen fur die Aufstellung des
Staatshaushaltsplanes 1958 dargelegt. Bei meinen
Bemerkungen setze ich voraus, daB Ihnen das Ge-
setz fiber den zweiten Fiinfjahrplan zur Entwicklung
der Volkswirtschaft fur die Jahre 1956 bis 1360 vom
9. Januar 1958 bekannt ist; es ist als Sonderbeilage
in der Tagespresse, z. B. im ?Neuen Deutschland"
vom 10. 2. 1958 erschienen. Dort wird unter ? 9, der
sich besonders mit den Problemen Forschung und
Technik befaBt, folgendes wortlich ausgefiihrt:
?(1) Auf dem Gebiete der Forschung und Technik
ist die mit der Bildung des Forschungsrates der
Deutschen Demokratischen Republik begonnene
Neuorganisation der wissenschaftlich-techni-
schen Forschung und Entwicklung fortzusetzen.
Vom Forschungsrat ist unter Beteiligung der
zentralen Arbeitskreise fur Forschung und Tech-
nik die Intensivierung der Grundlagenforschung
und die breite Mitwirkung der Wissenschaftler
und Techniker an der Losung volkswirtschaf t-
licher Schwerpunktfragen zu organisieren. Da-
bei ist besonders die Forschungsarbeit der In-
stitute an den Universitaten und Hochschulen
auf diese Schwerpunkte zu orientieren und voll
auszunutzen Zur Bearbeitung komplexer Pro-
bleme sind vom Forschungsrat Forschungs-
gemeinschaften zu bilden, die ihre Aufgaben
vom Forschungsrat aus dem von ihm aufzu-
stellenden Perspektiven erhalten. Zur Verbesse-
rung der Verbindung zwischen der wissen-
schaftlich-technischen Forschung und Entwick-
lung mit der Produktion und zur Verbesserung
der Einffihrung der Forschungs- und Entwick-
lungsergebnisse in die Produktion ist das System
der Auftragsforschung auszubauen."
Hier sind die Richtlinien ftir die einzelnen Wissen-
schafts- und Produktionsgebiete gegeben. Dabei ist
der Grundgedanke von Bedeutung, daB die schnelle
Entwicklung auf alien Gebieten unserer Volkswirt-
schaft an den Staatshaushalt fiir das Jahr 1958 be-
sondere und gesteigerte Anforderungen in der Mo-
bilisierung und Bereitstellung staatlicher Finanz-
mittel stellt.
Hauptaufgaben des Staatshaushaltes 1958 sind:
1. alle Manahmen fordern und finanzieren, die
zu einer Steigerung der industriellen und land-
wirtschaftlichen Produktion und damit des
AuBenhandels f?hren,
2. die gegentiber 1957 weiter ansteigenden Investi-
tionen flnanzieren, wobei die Investitionen fiir
das Kohle- und Energieprogramm sowie far den
Wohnungsbau besonders bevorzugt werden,
3. die kulturellen, sozialen und gesundheitlichen
Leistungen weiter steigern, ohne daB hierzu zu-
satzliche Mittel bereitgestellt werden konnen,
4. alle Ma6nahmen zu untersttitzen, die zur Ver-
einfachung der Verwaltung und Verminderung
des Verwaltungsapparates fiihren.
Es kommt darauf an, durch Ausnutzung aller Be-
dingungen und Moglichkeiten neue Wege aufzu-
decken, urn unsere Mittel rationell einzusetzen. Auch
in den Instituten der Forschungsgemeinschaft gibt
es eine Mille unausgeschopfter Moglichkeiten, mit
den gleichen Mitteln wie im Vorjahr groBere Auf-
gaben zu erftillen. Selbstredend bedarf es dazu be-
sonderer Uberlegungen und besonderer Konzentra-
tion ftir die Durchffihrung der Arbeiten. Es wird
z. B. notwendig sem, die Themenzahl der Institute
zu tiberprOfen und gegebenenfalls nochmals zu fiber-
legen, auf welche Aufgaben sich die Forschung zu
konzentrieren hat und welche Aufgaben als nicht
vordringlich zurackzustellen sind.
Ich mochte mir an dieser Stelle die Freiheit nehmen,
auf Grund der Kenntnis eines mir vorliegenden
Protokolles des Direktoriums des Instituts ftir Me-
dizin und Biologie auf die in bezug auf das vor-
liegende Problem ausgezeichnete Leitungsarbeit
hinzuweisen.
Nachdem in einer Beratung des Direktoriums des
Instituts fur Medizin und Biologie zunachst die vor-
liegenden Zahlen des neuen Haushaltsplanes zur
Kenntnis genommen worden waren, wurde em n ins
einzelne gehender Plan ausgearbeitet, der festlegt,
vie notwendig gewordene Einsparungen auf die
verschiedenen Bereiche, z B. beziiglich des Lohn-
fonds, sachlich und insgesamt zu verteilen sind. Es
wurden interne MaBnahmen vorgeschlagen, die effek-
tive Einsparungen gewahrleisten. Diese MaBnahmen
bestim.men aber auch die Verantwortlichen.
Ich hoffe, daB mir das Direktorium es nicht allzu-
sehr verargt, wenn ich heute mitteile, daB ich dieses
Protokoll als Beispiel einer ausgezeichneten Arbeit
anlal3lich eines Besuches bei dem Stellvertretenden
Vorsitzenden des Ministerrates, Herrn Fritz Selb-
mann, vorgelegt habe und Herr Selbmann sich an
dieser Art zu arbeiten sehr interessiert zeigte.
Wie auch bereits in der Direktive der Deutschen
Akademie der Wissenschaften zu Berlin zum Haus-
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MITTEILUNGSBLATT 4. Jahrgang, Heft 1/2/3
haltsplan 1958 zum Ausdruck gebracht wurde, sind
die Institute und Einrichtungen der Akademie in
den vorangegangenen Jahren von der Regierung
unserer Republik in groBztigiger Weise untersttitzt
und mit den erforderlichen finanziellen Mitteln aus-
gestattet worden. Das beweist der Haushalt 1958
erneut, der far die Institutionen der Forschungs-
gemeinschaft
von 60,7 Mio DM auf 66,4 Mio DM
angestiegen ist.
Das gilt auch hinsichtlich des Lohnfonds, dessen
Summe
von 37,9 Mio DM auf 39,3 Mio DM
anwuchs.
Ich darf aber hier folgendes unmiBverstandlich aus-
sprechen, worauf auch in der erwahnten Direktive
bereits nachdrticklich hingewiesen wurde: Das Ziel
far das Jahr 1958 muB sein ? abgesehen von der
Notwendigkeit des Ausbaus spezieller neuer Ein-
richtungen ? den Mitarbeiterstab nicht zu er-
weitern, sondern die Krafte, die bisherigen Kapa-
zitaten noch besser zu konzentrieren und einzu-
setzen. Das Echo auf diesen Hinweis war allerdings
in der Summe gesehen enttauschend.
Der vorgesehenen Ist-Ausgabe des Lohnfonds von
37.9 Mio DM im Jahre 1957 standen Anforderungen
der Institute von 44,1 Mio DM gegenaber. Deshalb
kann ich feststellen, daB bei verschiedenen Insti-
tuten ernsthafte Uberprilfungen und eine bewuBte
Gestaltung der Lohnfonds im Sinne der staatlichen
Direktive nicht vorgenommen wurden.
Ihnen alien sind die Gesetze einer gesunden Volks-
wirtschaft bekannt, Sic wissen, daB einer Steigerung
des Lohnfonds auch eine Steigerung der Konsum-
gaterproduktion gegentiberstehen muB. Die Staat-
liche Plankommission hat streng darauf zu achten,
daB kein sich fiir die gesamte Volkswirtschaft schad-
lich auswirkender Kaufkraftaberhang entsteht. Des-
halb konnten auch die vielfach dargelegten Wiinsche
auf Erweiterung des Lohnfonds nicht voll bertick-
sichtigt werden. Bei der Verteilung des Lohnfonds
auf die einzelnen Institutionen muf3te die Haushalts-
abteilung von den Istausgaben des Jahres 1957 aus-
gehen. Dabei wurden unter Berticksichtigung der
Ausgaben des ganzen Jahres besonders die Aus-
gaben des Monats November zugrunde gelegt. Selbst-
verstandlich ist es bei dieser Methode in vereinzelten
Fallen moglich, daB geringftigig zu niedrige Betrage
genannt worden sind. Der gesamte Lohnfonds weist
jedoch eine Erhohung auf, so daB von den Instituten
keine allgemeinen Einschrankungen vorgenommen
zu werden brauchen; es konnen sogar kleine Er-
hohungen des Lohnfonds, vie sic sich z. B. aus einem
unterschiedlichen Krankenstand ergeben sowie aus
der dem Vorstand noch zur Verftigung stehenden,
wenn auch sehr bescheidenen Reserve, gedeckt wer-
den. Um aber die Qualitat der Arbeit zu heben, ohne
daB eine wesentliche Steigerung des Lohnfonds er-
folgt, sind eine Reihe wichtiger kaderpolitischer
MaBnahmen notwendig, die ich spater im einzelnen
begranden werde.
An dieser Stelle zeigte Prof. Dr. H. Frahauf
zum besseren Verstandnis der Situation Lichtbilder-
tabellen, aus denen zu ersehen war, dc46 sich die
einzelnen Akademieinstitute in den letzten Jahren
sprunghaft entwickelt haben. Al& Bezugszeit wtihlte
er das Jahr 1954, das vorletzte Jahr des ersten Fiinf-
3altrplanes, aus. Das Anschauungsmaterial vermit-
telt aber auch, daft der Etat der Akademie sick in
den letzten vier Jahren verdoppelt hatte, tvlihrend
die Zahl der Wissenschaftler nur urn den Faktor 1,6
anstieg.
Bei dieser Erltiuterung bemerkte Prof. Dr. Frah-
u f auflerdem, daft Angaben fiber die Zahl der Ver-
off entlichungen im Jahre 1957 bei Ausarbeitung seines
Berichtes noch nicht vorlagen. Deshalb, so fiigte er
hinzu, kann zum gegebenen Zeitpunkt nicht fiber-
sehen werden, ob mit der Steigerung des Haushaltes
midi eine entsprechende Steigerung der Anzahl der
Publikationen konform ging.
Dann setzte Prof. Dr.Frahauf seinen Bericht fort.
Es obliegt mir auch die Pflicht, auf die genaue Be-
achtung der Termine zu verweisen, die der Vor-
stand far die Einreichung der Institutsberichte fest-
setzt. Der Vorstand der Forschungsgemeinschaft ist
dem Stellvertreter des Vorsitzenden des Minister-
rates, Herrn Selbmann, gegenaber far die vollstan-
dige termingerechte Herreichung dieser Unterlagen
verantwortlich. Die fristgemaBe Ausarbeitung solch
wichtiger Arbeitsunterlagen, aus denen sich SchluB-
folgerungen far die weiteren Perspektiven der In-
stitute ergeben, unterstiltzt unsere Arbeit und un-
sere Bemahungen far die Weiterentwicklung und
Forderung unserer Unternehmungen wesentlich. Es
ist em n untragbarer Zustand, daB der Verwaltung
der Akademie heute noch der Bericht eines Instituts
filr das Jahr 1956 (!), eines Instituts, das heute zur
Forschungsgemeinschaft gehort, fehlt. Der von mil:
gegebene Uberblick beweist, daB die Entwicklung
in dieser Form nicht weitergehen kann, wenn es
nicht zu auBerordentlich storenden MiBverhaltnissen
zwischen den wissenschaftlichen Forschungseinrich-
tungen unseres Staates und der sic tragenden oko-
nomischen Basis kommen soil. Gemeinsam mtissen
wir far eine gesunde Relation Sorge tragen.
Wir haben erstmalig auch die Gesamt-Beschaftigten-
zahl bekanntgegeben. Die Akademie hat die Ge-
samtzahl der Beschaftigten seit Jahren als Haupt-
planzahl von der Staatlichen Plankommission er-
halten. Diese Zahl ist bekanntlich Bestandteil des
Arbeitskrafteplanes unserer Republik und wird, vie
auch der Gesamthaushalt, von der Volkskammer
unserer Republik bestatigt. Ich muB Sic davon
unterrichten, daB der Vorsitzende der Staatlichen
Plankommission in einem Schreiben vom Mai 1957
daran erinnerte, den Beschaftigtenstand des Jahres
1957 nicht mehr zu tiberschreiten, die Bruttolohn-
summe in den niedrigsten Grenzen zu halten und
Erhithungen gegentiber dem Vorjahr in jedem Falle
einzeln und stichhaltig zu begranden.
In diesem Zusammenhang ist es tiberdies notwendig,
darauf aufmerksam zu machen, daB bei der Beur-
teilung jener Lohnmittel, die gegen Ende eines
Jahres noch vorhanden sind, zu beachten, daB jede
Neueinstellung oder Hohergruppierung beispiels-
weise im letzten Quartal des vorhergegaogenen
Jahres far das neue Planjahr nattirlich eine Be-
lastung fiir 12 Monate bedeutet. Urn die uns ge-
nehmigte Zahl der Beschaftigten einhalten zu k?n-
nen, wurde in den vergangenen Jahren in der Aka-
demie eine Zentralkartei aufgebaut, mit deren Hilfe
eine Uberprtifung der Zahl der Gesamtbeschaftigten
erfolgte. Es hat sich leider herausgestellt, daB von
den einzelnen Kaderabteilungen der Institute die
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILUNGSBLATT
13
Meldungen an die Zentralkartei nur unvollstandig
erfolgten.
Stellen Sic sich vor, daB dieses Zahlenrnaterial als
Grundlage ftir Beratungen mit Staatsstellen dient
und als g?ltig far die Neufestlegung der Beschaf-
tigtenzahl anerkannt wird! Die Ihnen von uns Ober-
mittelten Zahlen sind mit Hilfe der oben erwahnten
Zentralkartei ausgearbeitet worden. Sic wurden
erstmalig in diesem Jahre auch den Raten der Be-
zirke mitgeteilt, damit diese innerhalb ihres Be-
reiches die Arbeitskrafteverteilung vornehmen, be-
urteilen und lenken konnen. Die Ihnen ilbermittel-
ten Zahlen differieren in einigen Fallen. Bestehende
Differenzen dart ich Sic bitten, uns sofort mitzu-
teilen!
Die Gesamtzahl der der Akademie zugebilligten
Arbeitskrafte ist nahezu erreicht, so daB sic nur
noch eine unwesentliche Steigerung erfahren kann.
Der Bedeutung dieser Zahlen gemal3 ist die Abteilung
Kader und Arbeit vom Vorstand beauftragt worden,
diese Gesamtzahl der Beschaftigten der Forschungs-
gemeinschaft standig genauestens zu kontrollieren
UnregelmaBige und ltickenhafte Berichterstattungen
massen dem Leiter des Wissenschaftlichen Sekre-
tariats der Forschungsgemeinschaft unverzaglich zur
Kenntnis gegeben werden. Dieses Verfahren erlaubt,
durch Ausgleich die uns zur Verftigung stehende
Gesamtzahl der Mitarbeiter voll auszuschopfen und
den Einrichtungen, die sich noch im Aufbau be-
linden, Erweiterungen zu gewahren. Aber auch in
diesen Fragen HO die Disziplin leider sehr zu wan-
schen abrig; einige Institute haben sich ilber die
ihnen gegebenen Planzahlen in der Vergangenheit ohne
Antrag und Genehmigung oftmals einfach hinweg-
gesetzt. Da sich dies insbesondere far die im Aufbau
befindlichen Institute hemmend auswirkt, muB un-
bedingt die notwendige Racksicht erwartet werden.
Ich bitte deshalb die Institutsdirektoren, ihre Ver-
waltungsleiter und Haushaltsbearbeiter zu exaki;er
und verantwortungsvoller Arbeit in der Fiihrung
der Verwaltungsgeschafte anzuhalten.
Bei den sachlichen Konten war es moglich, die
Wansche der Institute im groBen ganzen zu berack-
sichtigen
Es muB aber auch hier ausdracklich gesagt werden,
daB es volkwirtschaftlich nicht zu verantworten ist,
wenn Mittel gebunden werden, deren Verwendung
im laufenden Planjahr nicht zu erwarten ist. Das
gilt far die gesamte Akademie, ftir die Forschungs-
gemeinschaft und ftir jedes einzelne Institut. Wir
milssen uns immer vergegemvartigen, daB diese
Mittel far andere Aufgaben, vor allem zur Hebung
des Lebensstandards unserer Bevolkerung sinnvoller
verbraucht werden konnten. Die Haushaltsabteilung
der Forschungsgemeinschaft ist beauftragt, in stan-
digem Kontakt mit den Instituten zu stehen und
die Entwicklung der Institutshaushalte laufend zu
kontrollieren. Sic, meine Damen und Herren, konnen
die Haushaltsabteilungen wesentlich unterstatzen,
wenn Sic als Institutsdirektoren far eine stets spar-
same Verwendung aller Mittel Sorge tragen und
freiwerdende sofort der Haushaltsabteilung der For-
schungsgemeinschaft melden. Sic helfen dadurch
wiederum denjenigen Instituten, die durch unvor-
hergesehene Aufgaben oder sonstige Umstande zu-
satzliche Mittel benotigen Sicher wird es auch Falle
geben, in denen Ihnen aus ahnlichen Quellen ge-
ntitzt werden kann.
Angesichts der verhaltnismaBig unterschiedlichen
Zahlen des von uns geforderten Lohnfonds und den
von der Staatlichen Plankommission bereitgestellten
Mitteln hat der Vorstand auf Grund eingehender
Beratungen erwogen, ob es nicht von Vorteil ware,
in den Instituten und wissenschaftlichen Einrich-
tungen der Forschungsgemeinschaft wieder feste
Stellenplane einzufiihren.
Der Vorstand hatte sich deshalb mit dem Entwurf
eines entsprechenden, Ihnen vorliegenden, Be-
schlusses befaBt. Ich darf bitten, daB Sic vor einer
weiteren Beratung in der Diskussion zu dieser Frage
sprechen. Die Einrichtung von festen Stellenplanen
kann den Institutsdirektoren unter Umstanden die
Moglichkeit geben, mit den Lohnfonds sparsamer
umzugehen und die ben6tigten Fachkrafte besser
und zweckentsprechender einzusetzen. Der Vorstand
tibersieht aber auch keineswegs, daB mit der Ein-
fahrung von festen Stellenplanen Schwierigkeiten
verbunden sind. Urn eine starre und schematische
Regelung zu vermeiden, war in der Beratung vor-
geschlagen worden, daB bei Wissenschaftlern und
dem wissenschaftlich-technischen Betriebspersonal
bestimmte Besoldungsgruppen zusammengefaBt wer-
den und nur die Zahl der Beschaftigten innerhalb
dieser Besoldungsgruppen festgelegt werden. Far
das Verwaltungs- und Wartungspersonal sollte da-
gegen em n Stellenplan in der bisher ablichen Weise
erarbeitet werden. Hierzu darf ich ebenfalls Ihre
MeinungsauBerung erbitten.
Bei der Festlegung des Stellenpla2es konnte man
in zweifacher Weise vorgehen; Prof. Dr. G. Riendcker
teilte der erwahnten Beratung z. B. mit:
1. Es ist richtig, far vollausgebaute Institute, deren
Bestand an Wissenschaftlern die richtige Struk-
tur und altersmaBige Abstufung zeigt (sowohl
Lebensalter als auch Dienstalter) einen festen,
far mehrere Jahre verbindlichen Stellenplan
aufzustellen.
2. Far Institute, ftir die diese Voraussetzungen noch
nicht zutreffen, gabe es meines Erachtens zwei
Moglichkeiten:
a) einen Idealstellenplan aufzustellen, der nach
Stellenzahl und Einstufungsgruppen dem ent-
spricht, was in der Perspektive endgilltig er-
erreicht werden soil.
Urn aber in den Zwischenjahren nicht Mittel
unnotig zu blockieren, milf3te j?lich fest-
gelegt werden, zu wieviel Prozent eben dieser
Idealstellenplan in dem betreffenden Jahr in
Anspruch genommen werden darf und wird.
b) Von der Institutsleitung wird jeweils im
Herbst em n nur ftir das kommende Jahr gal-
tiger realer Stellenplan vorgelegt, dessen Be-
statigung selbstverstandlich durch den Vor-
stand vorgenommen wird. Er soll lediglich
die Zahlen der Stellen und Einstufungen ent-
halten, die in dem jeweils kommenden Jahre
flnanziell und. personell moglich und real sind.
Hr. Langenbeck und ich wandten diese Me-
thode seit vielen Jahren erfolgreich im In-
stitut far Katalyseforschung an. Wir halten
dies far eine sehr gute Losung."
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MITTEILUNGSBLATT 4. Jahrgang, Heft 1/2/3
Das Beratungsergebnis des Vorstandes entsprach etwa
dem Vorschlag von Hrn.Rienticker. Alle Korrekturen,
die dieser reale Stellenplan erfordert, sind im Herbst
eines jeden Jahres entsprechend zu begrilnden. Ich
darf auch Inerzu in der Diskussion mit Ihrer Stel-
lungnahme rechnen.
Vor jedem Institut steht nunmehr die dringende
Aufgabe, die gesamte Arbeitsproduktivitat zu stei-
gern, zu verbessern. Bei gleichem Aufwand mull emn
grOBerer Nutzeffekt erzielt werden. Unsere Aufmerk-
samkeit wird sich daher der inneren Situation
unserer Institute zuwenden. Die Forderung nach
Erhohung der wissenschaftlichen Leistungen ist nicht
mehr identisch mit der Forderung der Erweiterung
der Institute und der Erhohung Hirer Mitarbeiter-
zahl. Eine Erhohung mull vielmehr die Qualitat der
Arbeit erfahren sowie das Niveau der Koordinierung
verschiedener Arbeiten.
Der Reifegrad der in der Akademie vorhandenen
gesellschaftlichen Potenzen gestattet, kaderpolitische
MaBnahmen durchzufiihren, die diese Zielsetzung
rechtfertigen und die selbstverstandlich auch dem
ihnen vorliegenden Entwurf I zugrunde liegen. An
dieser Stelle darf ich auf eine Statistik von Dr.
F. Ludwig verweisen, die im Heft ano 1957 des Mit-
teilungsblattes fiir die Mitarbeiter der Deutschen
Akademie der Wissenschaften zu Berlin veroffent-
licht wurde. Ihr lallt sich entnehmen daB, nach Be-
soldungsgruppen gegliedert, folgende Verteilung der
wissenschaftlichen Mitarbeiter vorliegt:
Von 748 Naturwissenschaftlern waren
266 Assistenten
=
35,5
0/0
109 Oberassistenten
=
14,5
0/0
222 Wissensch. Mitarbeiter
=
30
'Vs
151 Leit. Mitarbeiter
=
20
?A
748
Von 397 Gesellschaftswissenschaftlern waren
266 Assistenten
=
67 O/0
45 Oberassistenten
=
11?/a
63 Wiss. Mitarbeiter
=
16?/o
23 Leit. Mitarbeiter
6?/a
397
Es ist sicher falsch, im Hinblick auf das bessere
Profil der naturwissenschaftlichen Institute gegen-
fiber den gesellschaftswissenschaftlichen Instituten
den Schluf3 zu ziehen, daB die wissenschaftliche
Qualifikation unserer Mitarbeiter befriedigend ware.
Der erhohte Anteil der Oberassistenten und der
leitenden wissenschaftlichen Mitarbeiter ist eine
Folge unserer bisherigen Gehaltspolitik und ent-
hebt uns nicht des Nachdenkens, in welcher Weise
die Qualifikation unserer Mitarbeiter zu betreiben
ist.
Der weitaus tiberwiegende Teil der Assistenten und
teilweise auch der Oberassistenten hat nicht promo-
viert, em n ernstes Signal ftir die verantwortlichen
wissenschaftlichen Einrichtungen. Es wird also not-
wendig sem, aus dem wissenschaftlichen Nachwuchs
diejenigen Krafte auszuwahlen und zu entwickeln,
deren Qualiflkation wirk/ich den Oberassistenten
' Entwurf ?Ober die Tatigheit der wissenschaftlichen Assistenten in
den in der Forschungsgemeinschaft zusammengeschlossrnm natur-
wissensehaftlichen, technischen und medizinischen Instituten der
Deutschen Ahademic der Wissenschaften zu Berlin". d. Red
oder wissenschaftlichen Abteilungsleiter kenn-
zeichnen. Die allgemeine Qualifikation unserer Kader
ist nur mt)glich, wenn em n stlindiger Ausleseprozef3
'or sich geht und das Leistungsprinzip streng-ge-
rechte Anwendung findet. Ftir die Forschungsarbeit
ungeeignete oder nicht mehr leistungsfahige Krafte
milssen durch befahigten Nachwuchs ersetzt werden.
Dariiit wird bei gleichbleibender Mitarbeiterzahl die
Leistungsfahigkeit der Institute ansteigen. Hier lie-
gen in den Instituten noch groBe Gebiete brach.
Es wird vorgeschlagen, filr die Absolventen der Uni-
versitaten und Hochschulen, die beabsichtigen, ihre
Arbeit in einem Institut der Deutschen Akademie
der Wissenschaften zu Berlin aufzunehmen, in der
Regel -ein einjahriges Forderungsverfahren einzu-
f?hren, vie es bereits seit dem Jahre 1955 ftir die
Hochschulabsolventen in den volkseigenen Betrieben
besteht.
Die Forderungsverfahren streben drei Ziele an: die
Moglichkeit, auf Grund einer beiderseits verantwort-
lichen Zusammenarbeit eine bessere Auswahl des
wissenschaftlichen Nachwuchses zu treffen, clas
wissenschaftliche Fundament der Absolventen vor-
zubereiten und den jungen wissenschaftlichen Nach-
wuchs im Sinne der bereits eingangs geschilderten
Zielsetzung zur gesellschaftlichen, zur moralisch-
politischen Verantwortung zu erziehen.
Wir sind uns einig in der Auffassung, daB der
junge Nachwuchs an unseren Instituten, filr die der
Staat betrachtliche Mittel bereit stellt, nicht in
jedem Fall diesen an sich selbstverstandlichen Forde-
rungen in vollem Umfang gerecht wird.
Dieses Forderungsverfahren setzt voraus, daB sich
die Institutsleiter und ihre Mitarbeiter mehr als bis-
her um den jungen wissenschaftlichen Nachwuchs
bemiihen. Diese Forderung ist bereits in dem Be-
schluB des Prasidiums vom 6. 9.1956 Ober die MaB-
nahmen zur Forderung der wissenschaftlichen Mit-
arbeiter an den Instituten und wissenschaftlichen
Einrichtungen der Deutschen Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin aufgestellt. In den Instituten
wird dieser BeschuB jedoch sehr unterschiedlich
erftillt. Das hohe Mall an Belastung der Instituts-
leiter macht es daher notwendig, in jedem Institut
einen Mitarbeiter mit den Aufgaben der Organisie-
rung der Weiterbildung zu betrauen. In einigen
Instituten ist das bereits geschehen, und es gibt der-
artige Beauftragte in den Instituten lily Gasent-
ladungsphysik, ftir Bodendynamik und Erdbeben-
forschung, ftir Medizin und Biologie, ftir Organische
Chemie u. a. Es darf aber keinen Zweifel darner
geben, daB letztlich hierftir der Institutsleiter die
voile Verantwortung tragt.
Die Formen der Weiterbildung innerhalb des Forth:-
rungsverfahrens und dartiber hinaus auch der
Assistenten und Oberassistenten mtissen in jedem
Institut, den Besonderheiten des Fachgebietes und
des Institutes angepaBt, entwickelt werden. Ledig-
lich die fremdsprachliche und philosophische Weiter-
bildung obliegt fur die gesamte Akademie dem Miro
fur wissenschaftliche Aspirantur.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben
Sic mir, meine Darstellungen noch einmal kurz zu
restimieren:
Die der Forschungsgemeinschaft zur Verftigung ste-
henden flnanziellen Mittel entsprechen nicht den
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILUNGSI3LATT
Wfinschen der Institute. Die dem Vorstand zur Ver-
ffigung stehende Reserve ist nicht ausreichend, urn
in der Regel den Haushalt der Institute zu erh?hen.
Daher milssen insbesondere die groBen Institute
MaBnahmen treffen, urn durch innere Veranderungen
und Rationalisierung ihrer gesamten Be.triebsarbeit
mit den zur Verftigung gestellten Mitteln auszu-
kommen.
In alien Instituten ist bei solchen Neudispositionen
zu erwagen, ob es nicht zweckmaBig und im Sinne
einer Unterstiltzung wichtiger Vorhaben notwendig
ist, unfruchtbare Arbeiten einzustellen oder viel-
leicht ganze Abteilungen aufzulosen. Es wird er-
forderlich sem, die gesamte Arbeitsthematik noch
einmal zu iiberpriffen und auf die filr das jeweilige
Institut speziflsche Arbeitsrichtung zu konzentrieren.
Dabei mull beachtet werden, daf3 die laufenden Ar-
beiten auch wirklich akademiewilrdige neue inter-
nationale Fortschritte versprechen und nicht nur
Nacharbeiten bzw. unwesentliche Erganzungen zu
bisher schon bekannten Erkenntnissen und Ergeb-
nissen hinzugeftigt werden.
Die Mitarbeiter miissen, in bezug auf ihre wissen-
schaftliche Produktivitat, von neuem ilberprtift und
beurteilt werden und bei einer ftir die Forschungs-
tatigkeit fehlenden Eignung an andere Zweige un-
serer Wirtschaft vermittelt werden.
Eine Oberprtifung mull auch das technische Hills-
personal und die gesamte Betriebstechnik, vor allem
der groBen Institute, erfahren, wobei wir es als
selbstverstandlich erachten, daB Routinearbeiten
von weniger hochbezahlten und weniger qualiflzier-
ten Mitarbeitern erledigt werden; es sollte das An-
liegen eines jeden Institutsangehorigen sem, das
Augenmerk auf sparsamsten Materialverbrauch zu
lenken und durch Austausch von Geraten inner-
halb der Abteilungen eine bessere Ausnutzung des
Geratebestandes zu erreichen. Ftir die Pflege und
15
Wartung der Gerate, besonders der kostspieligen
und wertvollen, sollten jeweils verantwortliche Mit-
arbeiter benannt werden.
Ich glaube nicht besonders betonen zu mfissen, daB
die vorgeschlagenen MaBnahmen im engsten Ein-
vernehmen mit den Gewerkschaften durchzufiihren
sind. Der Vorstand selbst wird seine BeschluB-
entwilrfe der Kommission Forschung und Lehre der
Gewerkschaft zuleiten und sic dort zur Diskussion
stellen.
Wir wollen, meine sehr verehrten Kolleginnen und
Kollegen, mit diesen Aussprachen erreichen, daB
auf breiter Grundlage nicht nur Verstandnis ftir
unsere MaBnahmen, die der Verbesserung der ge-
samten Arbeit der Institute unserer Forschungs-
gemeinschaft dienen, erzielt wird, sondern wir
wollen erreichen, daB Vorstand, Institutsdirektoren
und alle Mitarbeiter als em n groBes Kollektiv ge-
meinsam an der ehrenvollen Aufgabe beteiligt sind,
nicht schlechtweg Wissenschaft zu betreiben, son-
dern htihere und akademiewtirdige wissenschaftliche
Leistungen mit einem okonomisch vertretbaren Auf-
wand zu erzielen im Dienste unseres Arbeiter-und-
Bauern-Staates, der sich mit alien seinen Kraften
ftir den Fortschritt und ftir den Frieden einsetzt.
Gestatten Sic mir, daB ich zum SchluB meiner Aus-
fiihrungen nochmals den groBen Forscher und Ge-
lehrten Frederic Jollot-Curie zitiere, der seine Bot-
schaft an die Bundeskonferenz des Departements
Seine mit dem Satz beendete, dem auch wir uns
anschlieBen sollten:
?Wir Arbeiter, wir Bauern und wir Angehorige der
Intelligenz besitzen sehr grofie Fahigkeiten und
werden diese, dessen bin ich sicher, filr das Wohl
alter und fur den Frieden mit jenem schopferischen
Elan einsetzen, der es erreicht, &ill eine Nation
gliicklich und fiir die Welt von Nutzen ist."
Mitteilungen
Akademiemitglied Prof. Dr. H. Knoll, Direktor des
Instituts fur Mikrobiologie und experimentelle
Therapie, Jena, wurde zum Mitglied der BCG-
Kommission der Union Internationale contre la
Tuberculose gewahlt.
Das Staatssekretariat fiir Hochschulwesen teilt mit,
daB Dr. E. Kreappe, Institut ftir Mikrobiologie und
experimentell& Therapie, Jena, zum Professor mit
Lehrauftrag ftir das Fachgebiet Mikrochemie an der
Fakultat Mathematik und Naturwissenschaften der
TH Dresden ernannt wurde.
Vereinbarungen iiber die wissenschaftliche
Zusammenarbeit mit auslandischen Akademien
Akademie der Wissenschaften der UdSSR
Vom 27. bis 30 Januar 1958 fanden in Moskau Ver-
handlungen zwischen Delegationen der Deutschen
Akademie der Wissenschaften zu Berlin und der
Akademie der Wissenschaften der UdSSR statt.
Der deutschen Delegation gehorten an:
Akademiemitglied H. Falkenhagen,
R. Dewey, Stellvertreter des Generalsekretars,
K.-H. Schmidt, Leiter des Bilros ftir gesamt-
deutsche und Auslandsbeziehungen,
0. Blaffert, Hauptsachbearbeiterin fur Stidost-
europa im Bilro ftir gesamtdeutsche und Aus-
landsbeziehungen.
Die Delegation der Akademie der Wissenschaften
der UdSSR bestand aus:
Declassified in Part - Sanitized Copy Approved for Release ? 50-Yr 2014/05/28: CIA-RDP81-01043R002900200003-1
Declassified in Part - Sanitized Copy Approved for Release ? 50-Yr 2014/05/28: CIA-RDP81-01043R002900200003-1
16
NIITTEILUNGSBLATT
- - ----------
Akademiker K. W. Ostrowitjanow, Vizeprasident,
Korrespondierendes Mitglied M. I. Agoschkow,
Stellvertreter des Generalsekretars,
Akademiker N. N. Bogoljubow,
Korrespondierendes Mitglied N. M. Shaworonkow,
G. I. Rachmaninow, Stellvertretender Leiter des
Auslandsbiiros.
Nachdem in einer Plenarsitzung der Delegationen
am 27. Januar 1958 Grundprinzipien ffir die Durch-
fiihrung der wissenschaftlichen Zusammenarbeit und
den AbschluB einer entsprechenden Vereinbarung
festgelegt wurden, nahm eine gemischte Kommission
aus Mitgliedern beider Delegationen ihre Tatigkeit
auf. Der von dieser Kommission ausgearbeitete Ent-
wurf wurde von beiden Seiten genehmigt und die
auf dieser Grundlage erzielte Vereinbarung am
30. Januar 1958 in feierlicher Form durch Akademie-
mitglied H. Falkenhagen ftir das Prasidium der
Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
und durch Vizeprasident Ostrowitjanow fiir das
Prasidium der Akademie der Wissenschaf ten der
UdSSR unterzeichnet.
Die Unterzeichnung wurde vom Moskauer Rund-
funk und Fernsehfunk iibertragen.
Von besonderer Bedeutung ist, daB die vorliegende
Vereinbarung erstmals f?r einen Zeitraum von drei
Polnische Akademie
In der Zeit vom 1. bis 3. Februar 1958 schlossen
Delegationen der Deutschen Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin und der Polnischen Akademie
der Wissenschaften in Warschau eine dreijahrige
Vereinbarung iibler die wissenschaftliche Zusammen-
arbeit ab.
Nach eingehender Diskussion vorliegender Fragen
wurde auf der Grundlage des tbereinkommens fiber
die Grundsatze der wissenschaftlichen Zusammen-
arbeit beider Akademien vom 27. Januar 1956 die
Durchfiihrung der wissenschaftlichen Zusammen-
arbeit fur die Zeit vom 1. Januar 1958 bis 31. De-
zember 1960 festgelegt und eine entsprechende Ver-
einbarung durch den Generalsekretar der Deutschen
Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Akademie-
mitglied Prof. Dr. G. Riendcker, und den Vize-
prasidenten der Polnischen Akademie der Wissen-
4. Jahrgang, Heft 1/2/3
Jahren (1. Januar 1958 bis 31. Dezember 1960) ab-
geschlossen wurde.
Dadurch wird eine langfristige Planung der wissen-
schaftlichen Zusammenarbeit und eine kontinuier-
lichere Bearbeitung gemeinsamer Probleme erreicht.
Beide Akademien haben eine Reihe von Vorschlagen
air gemeinsame Forschungen ausgetauscht, die im
einzelnen bis zum 15. Marz 1958 bestimmt werden
sollen. Ferner wurden MaBnahmen zur Durchfiih-
rung direkter Verbindungen der wissenschaftlichen
Einrichtungen beider Seiten verabredet. Die Aka-
demie der Wissenschaften der UdSSR erklarte sich
bereit, die Aufnahme der Deutschen Akademie der
Wissenschaften zu Berlin in internationale wissen-
schaftliche Organisationen zu unterstiitzen. Beide
Partner werden erforderlichenfalls die Zusammen-
arbeit ihrer Vertreter in den internationalen Orga-
sationen und auf internationalen Tagungen gewahr-
leisten. Zur Durchfiihrung dieser Vereinbarung im
Jahre 1958 wurde in einem Protokoll festgelegt,
allein ffir dieses Jahr mindestens 55 Mitarbeiter
zum Studium und zu Gastvortragen in Einrichtungen
des Partners zu entsenden. Die Erhohung der Mit-
arbeiterzahl zu einem spateren Zeitpunkt wurde vor-
gesehen.
der Wissenschaften
schaf ten, Akademilcer J. Groszkowski, unter-
zeichnet.
Beide Akademien werden einander die notwendige
Untersttitzung ffir die Bearbeitung beiderseitig inter-
essierender Probleme auf wissenschaftlichem Gebiet
gewahren. Zuniichst wurden 16 Forschungsthemen
aus dem Gebiet der Gesellschaftswissenschaf ten, der
Chemie, Physik und Medizin festgelegt, die beide
Akademien gemeinsam bearbeiten werden. Beide
Seiten werden im Jahre 1958 35 Mitarbeitern des
Partners Moglichkeit zum Studium in wissenschaft-
lichen Einrichtungen bieten.
Karl-Heinz Schmidt
Leiter der Abteilung Eir gesamtdeutsche und
Auslandsbeziehungen
Das Internationale Geophysikalische Jahr 1957/58
Zusammenarbeit am
Der Sekretar des Nationalen Komitees ftir das Inter-
nationale Geophysikalische Jahr und Direktor des
Meteorologischen und Hydrologischen Dienstes der
Deutschen Demokratischen Republik, Prof. Dr.
H. Philipps, auBerte sich in einem ADN-Interview
zur Zusammenarbeit zwischen der Sowjetunion und
der Deutschen Demokratischen Republik am Satel-
litenprogramm. Gegenwartig seien es sieben Sta-
tionen, darunter das Astrophyskalische Observato-
rium Potsdam und die Sternwarte Sonneberg der
Akademie der Wissenschaften, die auf dem Gebiet
Satellitenprogramm
der Deutschen Demokratischen Republik mit der
Sowjetunion bei der exakten Festlegung der Bahn
der Satelliten zusammenwirken.
?60 kleine Spezialfernrohre wurden uns zu diesem
Zweck von unseren sowjetischen Kollegen zur Ver-
ffigung gestellt", berichtete Prof. Dr. Philipps ?Die
Beobachtungen erfolgen von all unseren Stationen
sowohl visuell als auch photographisch." Entspre-
chende Spezialkameras seien von den volkseigenen
Zeif3-Werken in Jena geliefert worden. ?Wenn die
berechnete Flugroute des Sputniks das Gebiet der
4 Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILUNGSBLATT
Deutschen Demokratischen Republik bertihrt, wer-
den aus Moskau vorher die Positionen mit genauen
Zeitangaben an die Hauptwetterdienststelle Potsdam
gegeben, von wo aus sic unter Ausnutzung der mo-
dernsten Nachrichtenmittel sofort an die sieben Sta-
tionen weitergeleitet werden."
17
Prof. Dr. Philipps betonte, die Zusammenarbeit mit
den sowjetischen Instituten bei diesem bedeutungs-
vollen Programm sei ausgezeichnet. Die gut organi-
sierte Zusammenarbeit zwischen beiden nationalen
Komitees sei von sowjetischen Wissenschaftlern
wiederholt besonders hervorgehoben worden.
Erste Nordatlantik-Expedition mit der ?Lomonossow"
In der Zeit vom 12. 11. bis 5. 12. 1957 Eihrte das
sowjetische Forschungsschiff ?Michail Lomonossow"
seine erste MeBfahrt im Nordatlantik durch. Ihr
werden mehrere Atlantikexpeditionen folgen, die von
diesem Schiff im Rahmen des Internationalen Geo-
physikalischen Jahres durchgefiihrt werden und die
sich fiber em n Gebiet von 60? nordlicher Breite bis
zu 5? sildlicher Breite erstrecken. Im Westen ist das
Arbeitsgebiet der ?Michell Lomonossow" durch den
30. Meridian westlicher Lange begrenzt.
Die Fahrtroute der ersten Reise fCthrte von Riga
aus nach Rostock, durch den Sund, das Kattegat,
an der stidnorwegischen 'Caste vorbei und zwischen
den Orkney- und Shetland-Inseln in den Atlantik
hinein. Den Hauptteil der Mef3fahrt bildete emn
Rechteck, das sich von den Hebriden und der nord-
irischen Ktiste bis nach Island erstreckte. Der nord-
lichste Punkt der Reise lag auf der Breite 63? 39'
Nord und der Lange 16? 25' West. der westlichste
Punkt auf der Breite 61? 46' Nord und der Lange
21? 30' West. Auf dieser Strecke wurden in Ab-
standen von ungefahr 30 Seemeilen regelmaBig
Driftstationen durchgefiihrt, auf denen em n umfang-
reiches komplexozeanographisches MeBprogramm
durchgefiihrt wurde.
Der Leiter der Expedition war Dr. A. A. Iwanow
vom Hydrophysikalischen Meeresinstitut der Aka-
demie der Wissenschaften der UdSSR. Als wissen-
schaftliche Berater waren an Bord: die Meeres-
geologin Prof. M. W. Klenowa, der Hydrobiologe
Prof. W. I. Jaschnow und der Hydrochemiker Prof.
B. Skopintzew. Das gesamte wissenschaftliche
Personal war in 11 Arbeitsgruppen eingeteilt, die
folgende Aufgaben hatten?
1. Meeresthermik
2. Welleiluntersuchungen
3. Meereshydrologie
4. Meeresmeteorologie und ? -aerologie
5. Meeresgeologie
6. Erdmagnetismus und elektrische Strome
7. Hydrochemie
8. Planktonforschung
9. Schiffsfestigkeit
10. Meteorologische Station
11. Warmehaushalt, Wellenmessungen, Gewitter-
peilungen.
Die 11. Arbeitsgruppe wurde von 6 deutschen
Expeditionsteilnehmern gebildet. Ihr gehorten an:
Dr. E. Bruns (Institut fiir Meereskunde, Warne-
miinde), Dr. H. Hinz peter (Meteorologisches Haupt-
observatorium Potsdam), Dipl.-Met. P. Hupfer (Uni-
versitat -Leipzig), die Ingenieure H. Wankowski und
H. Terp (Wissenschaftlich-Technisches Biiro fiir Ge-
ratebau, Berlin) und der Verfasser dieses Be-
richtes.
2
Die Arbeitsgruppe Meeresthermik befaf3te sich mit
Fragen des Warmehaushaltes. Hierzu wurden Mns-
sungen der Strahlungsbilanz im kurzwelligen und
Im gesamten Spektralbereich der atmospharischen
Strahlungsstrome, sowie Temperaturmessungen ober-
halb und unterhalb der Wasseroberflache durch-
geffihrt. Es wurde auch versucht, mit Halbleiter-
Temperaturfiihlern die turbulenten Schwankungen
der Wassertemperatur in den oberflachennahen
Schichten zu registrieren und hieraus Austausch-
koeffizienten zu bestimmen.
Zur Durchfiihrung von Wellenuntersuchungen wa-
ren Stereokameras mit einer mehrere Meter langen
Basis an Bard vorhanden. Ferner wurden die gleich-
falls photographisch arbeitenden Schlitzwellen-
messer nach Iwanow benutzt.
Von der Arbeitsgruppe Meereshydrologie wurden
auf den Driftstationen Temperatur-, Salzgehalts-
und Stromungsprofile bis in groBe Meerestiefen ver-
messen. Hierzu wurden die bewahrten Kippthermo-
meter und Wasserschopfer sowie Fliigelrad-Stro-
mungsmesser verwendet.- Es liefen auch Versuche
zur rein elektrischen Bestimmung der Stromungs-
geschwindigkeit.
Di den Aufgaben der Arbeitsgruppe Meeresmete-
orologie mid -aerologie gehorte das Studium der
atmospharischen Zirkulation fiber dem Nordatlantik.
Taglich wurden Radiosondenaufstiege unter Ver-
wendung des sowjetischen Radiotheodoliten ?Ma-
lachit" durchgeffihrt.
Von der Arbeitsgruppe Meeresgeologie wurden auf
den Driftstationen Proben des Meeresuntergrundes
mit Hilfe von SchlammstoBstangen und Greifern
an die Oberflache befordert. Mehrere Echolotaniagen
registrierten laufend das Profil des Meeresbodens
und lieferten die notwendigen Tiefenangaben.
Das Gebiet Erdmagnetismus und elektrische Strome
wurde auf dieser ersten Reise nur in beschrank tem
Umfange bearbeitet. Es wurden Versuche zur Mes-
sung elektrischer Strome in den oberflachennahen
Schichten des Meeres mit Hilfe spezieller Elektroden
durchgefiihrt.
Der Arbeitsgruppe Hydrochemie blag dfe laufende
Analyse der auf den Stationen entnommenen Wasser-
proben.
Die Gruppe Planktonforschung benutzte zur Ent-
nahme von Planktonproben Perlonnetze, die auf
den MeBstationen mit Hilfe von Tiefseewinden ,in
die jeweiligen Mef3tiefen versenkt und anschlieBend
langsam wieder an die Oberflache gezogen wurden.
Im Laboratorium zur Untersuchung der Schiff
estigkeit wurden mit Hilfe elektrischer Verfahren
die Verbiegungen. des Schiffskorpers registriert.
Ferner wurden die Amplituden des Stampfwinkels
(Drehbewegung urn eine horizontale Achse senk-
recht zur Schiffslangsachse) und des Rollwinkels
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(Drehbewegung urn die Schiffslangsachse) ge-
messen. -
Die meteorologische Station fiihrte einen regel-
maBigen Beobachtungsdienst zu den tiblichen synop-
tischen Terminen in Abstanden von 3 Stunden
durch. Einmal taglich wurde eine Wetterkarte ge-
zeichnet.
Die deutsche Arbeitsgruppe Itihrte em n komplexes
Beobachtungsprogramm durch. Zu diesem gehorten
Messungen der Strahlungsbilanz im kurzwelligen
und im gesamten Spektralbereich, Messungen von
Temperatur- und Dampfdruckgradienten zwischen
Wasseroberflache und 6 Meter Halle, Wellenmessun-
gen mit Hilfe eines vom Wissenschaftlich-Tech-
nischen Brim ftir .Geratebau entwickelten Hochsee-
wellenschreibers und Gewitterpeilungen. Zur Ge-
witterpeilung diente em n Kathodenstrahlpeiler mit
Photoregistriereinrichtung, der zu denselben Ter-
minen in Betrieb gesetzt wurde, an denen emn
gleicher Peiler am Meteorologischen Hauptobser-
vatorium in Potsdam arbeitete.
Die Fahrt verlief ohne wesentliche Zwischenfalle
unter zumeist giinstigen Wetterbedingungen. In der
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MITTEILUNG$.BLATT 4. Jahrgang, Heft 1/2/3
Nordsee wurden Windstarken urn 4, im Seegebiet
zwischen England und Island auch Windstarken bis
11" gemessen. Der Fortgang der Arbeiten wurde hier-
durch nicht wesentlich behindert. Insgesamt wurden
51 MeBstationen durchgeftihrt. Neben der Gewin-
nung Beobachtungsmaterials war
eine der Hauptaufgaben dieser nur einen Monat
dauernden Fahrt die Einarbeitung des wissenschaft-
lichen Personals fiir die nachstfolgenden groBeren
Expeditionen und die Sammlung praktischer Er-
fahrungen mit Geraten und speziellen MeBmethoden.
Die zweite Reise der ?Michail Lomonossow" beginnt
Anfang Februar 1958. Sic wird sich Ober einen Zeit-
raum von vier Monaten erstrecken und bis in das
Seegebiet vor der nordwestafrikanischen Kiiste auf
50 stidlicher Breite f?hren. Wieder werden sich
sechs deutsche Teilnehmer an Bord des Schiffes be-
linden.
Dr. Giinter Skeib
Meteorologischer und Hydrologischer Dienst der
Delitschen Demokratischen Republik in Potsdam,
Leiter des Meteorologischen Hauptobservatoriums
Aus der Arbeit der Institute
Die Sorge urn den wissenschaftlichen Nachwuchs
Die Erkenntnis, daB wirtschaftliche Leistung, Hine
des Lebensstandards, abet.' auch politisches Gewicht
eines Staates in entscheidendem MaBe vom Stand
der Wissenschaft und Technik, in der Perspektive
gesehen von der Ausbildung des wissenschaftlichen
Nachwuchses abhangt, ist heute Gemeingut in alien
hochindustrialisierten Landern geworden. Fiir die
Beurteilung der Kraft und Leistungsfahigkeit einer
Nation sind Zahl und Qualitat des wissenschaftlichen
Nachwuchses nicht weniger Gradmesser als etwa
der Umfang der Produktion oder die militarische
Starke.
Seitdem die sowjetische Wissenschaft und Technik
durch die Entsendung der Erdtrabanten ihre 'Ober-
legenheit, unwidersprochen zumindest auf bestimm-
ten Forschungsgebieten, bewiesen hat, ist die Frage
nach den Ursachen dieser wissenschaftlichen nber-
rundung in der westlichen Welt nicht zur Ruhe ge-
kommen. Als entscheidender Faktor daftir wird
immer wieder die mehrfach h6here Zahl von Hoch-
und Fachschulabsolventen in der Sowjetunion an-
gefiihrt, die dort seit Jahren der Wissenschaft und
Technik zugefiihrt werden und die em n auch in be-
zug auf den Stand ihrer Ausbildung in den kapi-
talistischen Landern unerreichtes Kraftereservoir
darstellen.
Damit ist ohne Zweifel eine wesentliche Ursache
der tiberlegenen Entwicidung der Sowjetunion er-
kannt, wenn auch keineswegs die einzige oder gar
entscheidende. 1956 verlieBen in der Sowjetunion
71 000 Absolventen die Technischen Hochschulen,
in den Vereinigten Staaten dagegen nur 25 000. Nach
der sowjetischen Planung werden 1960 dreimal so-
viel Ingenieure ausgebildet wie in den USA, sieben-
mal soviel wie in GroBbritannien und sechsmal so-
viel wie im tibrigen Westeuropa.
(Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 28. Dez. 1957)
Die Diskussion dieser Frage hat in den kapitalisti-
schen Landern angesichts ihrer unverkennbar poli-
tischen Seite einen gereizten, zuweilen sogar hek-
tischen Ton angenommen. Ganz Amerika spricht
von seinen Schulen, Fach- und Hochschulen, stellt
fest, daB der wissenschaftliche Nachwuchs viel zu
diinn gesat ist, und ist entsetzt ilbee den Zustand
seiner Bildungsstatten.
Der Prasident der Handelskammer von Los Angeles,
Dr. A. O. Beckmann, gibt an, daB die Zahl der zwi-
schen 1950 und 1954 erworbenen Ingenieurdiplome
in den USA von 52 732 auf 22 236, die Zahl der
Diplome ilber em n beendetes naturwissenschaftliches
Studium im gleichen Zeitraum von 61 000 auf 31 368
fiel ? trotz erhohter BeVolkerungsziffer und steigen-
den Bedarfs.
Em n Hochschulinstitut befragte kiirzlich die Schiller
h?herer Lehranstalten, ob sic sich nach Schulab-
schluB dem wissenschaftlichen Studium zuwenden
wiirden. Die Antwort lautete bei 45 0/o, daB ihre
Schulausbildung ftir em n Studium unzureichend sei,
30 0/0 erklarten, daB der wissenschaftliche Beruf nicht
genuk Geld einbringe, 25 0/0 fanden Wissenschaftler
zu sonderbar und hielten sic z. T. auch ftir ?schlechte
und gefahrliche Subjekte" (Frankfurter Rundschau
vom 15. 11.1957).
Prasident Eisenhower rief in seiner groBen Rund-
funkansprache Ober das amerikanische Raketen-
programm am 7. November aus: ?Wir brauchen mehr
Einsteins und mehr Steinmetzes", wobei notwendig
-ist- zu bemerken, daf3 Steinmetz em n auf Grund des
Bismarckschen Sozialistengesetzes aus Breslau emi-
grierter Deutscher war, der als Begriinder der mo-
dernen Elektrotechnik gilt und an der Grtindung
des Elektrokonzerns ?General Electric" beteiligt
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILUNGSBLATT
war. Offenbar meinte Eisenhower damit jedoch nicht,
daB er beabsichtige, seine Wissenschaftler auch in
Zukunft aus Deutschland zu beziehen, sondern
wollte dem wissenschaftlicbm Nachwuchs mit diesen
groBen Namen Leitbilder geben.
Die amerikanische Kritik beginnt an der Grund-
schulausbildung, die, wie zugegeben wird, allgemein
klaglich ist. DaB Schiller nach drei- bis vierjah-
rigem Unterricht noch nicht lesen konnen, ist eine
welt verbrei tete Erscheinung, selbst Universitats-
professoren klagen noch Ober mangelhafte Lese-
fahigkeit ihrer Studenten in der Muttersprache.
Die unablassige Experimentiersucht in den Schulen,
das Bemilhen ?Lernen als Spiel" zu gestalten, die
zu lernenden Buchstaben des Alphabets durch
Tausende von Wortbildern zu ersetzen, das Einmal-
eins durch Zahlenpyramiden, ohne hausliche Schul-
arbei ten auszukommen, auf Unterrichtsfacher wie
Grammatik, Rechtschreibung und Arithmetik zu
verzichten, sind wesentliche Ursachen ftir den Tief-
stand des Schulwesens.
(Rheinischer Merkur vom 4. 1. 1957, ?Warum kann
Jonny nicht lesen?")
Statt der nach unserer Vorstellung selbstverstand-
lichen Fertigkeit im Lesen, Rechnen und Schreiben
lernen amerikanische Schulkinder beispielsweise
Regeln des Straf3enverkehrs oder die Leitung von
Sitzungen. Es gibt Studenten, die niemals eine
Fremdsprache gelernt haben, aber ausgezeichnete
?Examen" ablegen in FuBball, Baseball, Autowaschen,
Hotelfiihrung trail ?guteni Einkauf", die els %foil-
wertige Unterrichtsfacher gelten. 82 ?/o aller ameri-
kanischen Jugendlichen besuchen zwar eine Ober-
schule, ihr Niveau erreicht jedoch vielfach nicht das
Ziel unserer Grundschule.
Wahrend die Schulen in tiberwiegendem MaBe von
der offentlichen Hand erhalten werden, sind von
den Hochschulen zwei Drittel private Unternehmen,
meist von den Religionsgemeinschaften und Sekten
gegriindet. Der Student bezahlt fur den Besuch ein-
schlieBlich Kost und Logis j?lich 200.0 Dollar, in
den staatlichen 1500 Dollar. Der Student ist hier
Kunde, und wenn sich em n AuBenstehender dartiber
wundert, daB der Student trotz mangelhafter Lei-
stungen in das nachste Semester versetzt wird, er-
halt er zur Antwort ,,He pays for it", ?Daftir bezahlt
er ja" (?Der Tag" vom 5.1. 1958, ?Der Student be-
zahlt und spielt").
Im Gegensatz zu den Schulen gibt es unter den
amerikanischen Hochschulen Anstalten von hohem
Niveau, z. B. Harvard, Columbia, Princeton, Yale,
die samtlich private Grtindungen sind, jedoch den
staatlichen tiberlegene. Wenn in einem Volke, das
Wissen und Bildung an sich nicht besonders schatzt,
der gute Industriezeichner em n Mehrfaches verdient
von dem Gehalt eines Mathematikprofessors, so ist
es nur zu verstandlich, daB die amerikanische Ju-
gend nicht dem wissenschaftlichen Beruf zustrebt.
Da das durchschnittliche Jahresgehalt eines ameri-
kanischen Schullehrers unter dem Einkommen der
meisten Industriearbeiter liegt, fehlen, wie die
?National Education Association" berechnet hat;
227 500 ausgebildete Lehrer, d. h. jede 5. Stelle ist
unbesetzt. Daran wird auch die Studie nichts andern,
die das Unterrichtsministerium in Washington fiber
das sowjetische Erziehungswesen hat schreiben las-
sen und die nunmehr eifrig erortert wird. DaB mittel-
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und westeuropaische Schulen den amerikanischen
tiberlegen sind, ist der Durchschnittsamerikaner seit
langem gewohnt zuzugeben, daB er die Uberlegen-
heit der sowjetischen Schulen anerkennen mull, be-
reitet ihm sichtlich Unbehagen (,,Rheinischer Mer-
kur" Nr. 1/58 ?Amerika erschrickt Ober seine
Schulen").
Die Deutsche Bundesrepublik, die heute unter den
Industrielandern der Welt den 3. Platz einnimmt,
sieht in bezug auf den wissenschaftlichen Nachwuchs
ernste Gefahren heranreifen. Nach einer von den
Siemens-Schuckert-Werken angestellten, sehr fun-
dierten und 1956 veroffentlichten Untersuchung be-
lauft sich der jahrliche Bedarf an Absolventen von
Technischen Hochschulen und Ingenieurschulen auf
18 500. Zur VerfOgung stehen jedoch nur 13 500, jede
dritte oder vierte Stelle kann also nicht besetzt
werden. Ahnlich ist die Lage auf anderen natur-
wissenschaftlichen Fachgebieten. Die Kritik an den
Ursachen und die Losungsvorschlage sind mannig-
faltig und widerspruchsvoll, einig nur in der Forde-
rung, daB die Regierung der Bundesrepublik grofiere
Mittel fiir die Heranbildung des wissenschaftlichen
Nachwuchses zur Vernigung stellen mull.
Auf der zur ?Mobilisierung der geistigen Krafte air
die zweite industrielle Revolution" von der SPD
im Dezember 1957 in D?sseldorf durchgeftihrten
Konferenz berichtete der NOrnberger Professor
Moller Ober die Ergebnisse einer Untersuchung, die
er in Schleswig-Holstein durchfiihrte. Vun je
100 Kindern, we ais uneingeschrankt oberschulfahig
gelten konnten, aber dennoch die Volksschule be-
suchten, stammten ?4 aus der Oberschicht, 25 aus
den Mittelschichten und 66 aus der Grundschicht".
Abgesehen von der den Klassencharakter dieses
Schulwesens schamhaft verbergenden Ausdrucks-
weise, war nicht festzustellen, ob die SPD aus dieser
Erkenntnis irgendwelche praktischen Folgerungen
zog.
Demgegenilber vertritt die ?Frankfurter Allgemeine
Zeitung" (28. Dezember 1957) den Standpunkt, daB
die nationalen Begabungsreserven in der Bundes-
republik ausgeschopft seien und dal3 das Jahr-
hundert der Industrialisierung die technischen Be-
gabungen absorbiert habe, so daB andere Wege zur
Deckung des vorhandenen Defizits an Wissenschaft-
lern und Technikern beschritten werden mtiBten.
Um den im vergangenen Jahre von der Studenten-
schaft Westdetitschlands und einem Tell ihrer Pro-
fessoren erbittert geftihrten Kampf urn Bereitstel-
lung von Stipendien durch die Regierung, um die
vom Broterwerb absorbierten Krafte dem Studium
zu widmen, ist es ruhig geworden. Nachdem bislang
170/o der Studenten Voll- oder Teilstipendien er-
halten hatten, einschlieBlich der Unterstiitzungen
aus privaten Stiftungen, hat die Bundesregierung
33 Millionen Mark zur Verftigung gestellt. Da diese
Summe zum groBen Tell nur als Darlehn an hohe
Semester vergeben wird und die Gewahrung an
Priifungen gebunden ist, wird sic von den Studenten
trotz offizieller Aufforderungen nicht in vollem Urn-
fang in Anspruch genommen.
Die in der Offentlichkeit diskutierten und beklagten
Folgen sind eine viel zu sehmale, ausschlieBlich auf
den Berufszweck gerichtete Ausbildung, schlechte
Examensergebnisse und em n zahlenmaBig ungenti-
gender Nachwuchs. In der Bundesrepublik studieren
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MITTEILUNG SBLATT 4. Jahrgang, Heft 1/2/3
0,21 0/0 der Bevolkerung gegentiber 0,45 ?fir in der
Deutschen Demokratischen Republik und 1,85 0/o in
der Sowjetunion. Ungeachtet seines Standpunktes,
daB die FOrderung der Wissenschaft in erster Linie
Sache des Staates ist, hat der ?Bundesverband der
Deutschen Industrie" kiirzlich zur Unterstiltzung des
wissenschaftlichen Nachwuchses auf den Hoch-
schulen den ?Gesprfichskreis Wissenschaft-Wirt-
schrift" gegaindet, da ?man sich jetzt auch in der
Industrie darilber klar sel, daB von privater Seite
mehr als bisher fOr die Wissenschaft getan werden
milsse".
In der Entwicklung eines ausreichenden und gut
ausgebildeten wissenschaftlichen Nachwuchses gibt
es auch in der Deutschen Demokratischen Republik
eine Reihe ungeloster Fragen, die allerdings ganz
anderer Natur sind als in den Liindern der kapi-
talistischen Gesellschaftsordnung. Der Aufstieg del
Begabungen aus der Grund- Ober die Oberschule zur
Hochsehule ist durch die demokratische Schulreform
gesichert. An der Arbeit unserer Grund- und Ober-
schulen gibt es Kritiken, die im allgemeinen aber
nicht auf der Linie einer unzureichenden Wissens-
vermittlung liegen, sondern eller den Vorwurf einer
stofflichen Uberlastung auf Kosten der Vertiefung
der Probleme erithalten. Das Bemiihen urn eine
polytechnische Erziehung in den Grundschulen und
das entschiedene Obergewicht des mathematisch-
naturwissenschaftlichen Zweiges der Oberschule
schaffen em n groBes Reservoir ausreichend aus-
gebildeter Abiturienten ftir die nntilmiccancehnft-
lich-technischen Studiengebiete.
Im gegenwartigen Stand der Entwicklung der wissen-
schaftlichen Ausbildung an unseren Hochschulen
sind zwei Aufgaben zu Risen, die eng miteinander
verschmolzen und nicht voneinander zu trennen
sind: die Entwicklung des sozialistischen BewuBt-
seins als unabdingbare Voraussetzung filr die mit
unserem Arbeiter-und-Bauern-Staat verbundene
junge Intelligenz und die wissenschaftliche Forde-
rung dieses Nachwuchses zu h6chster Leistungs-
fahigkeit durch eine sorgffiltige Auslese und durch
zweckmfiBige Methoden der wissenschfiftlichen Aus-
und Weiterbildung auch Ober das Hochschul-
studium hinaus in den Betrieben und in den Lehr-
und Forschungsinstituten. In dem Komplex der sich
daraus ergebenden Probleme hat das Verhaltnis von
theoretischer Ausbildung und praktischer Arbeit eine
besondere Bedeutung. Die im Februar 1958 statt-
fIndende Hochschulkonferenz der SED dient vor
allem der Klarung solcher entscheidender Fragen.
Mit der seit 1951 im Bereich der Universitaten und
Hochschulen bestehenden wissenschaftlichen Aspi-
rantur war die L6sung dieser Aufgaben nur zum
Teil moglich. Besonders erftillte sic im Bereich der
naturwissenschaftlich-technischen Facher nicht die
in sic gesetzten Erwartungen. Daher verlagert sich
das Schwergewicht bei der Entwicklung des wissen-
schaftlichen Nachwuchses in zunehmendem Mae
auf die in Deutschland traclitionelle Form der
Assistentur. Die im Bereich der Universitaten und
Hochschulen tatigen etwa 6000 Assistenten und
Oberassistenten stellen neben den 1350 wissenschaft-
lichen Aspiranten das bedeutendste Reservoir ftir
den wissenschaftlichen Nachwuchs dar.
Die vom Staatssekretariat ftir Hochschulwesen er-
lassene, seit dem 1. Januar 1958 wirksame Assistenten-
ordnung schafft die Voraussetzungen fur die Ent-
wicklung dieses wissenschaftlichen Nachwuchses auf
breiter Grundlage. Die grundsatzliche Beschrfinkung
der Assistentenzeit auf vier Jahre sichert eine stun-
dige gesunde Fluktuation und damit die Aufnahme
der befahigtsten Absolventen jedes Jahrgangs in
den ProzeB der wissenschaftlichen Forderung auf
diesem Wege. Die sehr elastisch gestaltete Entwick-
lung darilber hinaus ermoglicht den Verbleib der
bewahrten Krfifte in der wissenschaftlichen Arbeit
und ihre Weiterbildung. Eine auf Grund der Ein-
stellungsbedingungen zu treffende Auswahl, hohe
Forderungen in der wissenschaftlichen Arbeit, an
politischer Mitarbeit und erzieherischer Tiltigkeit
im Sinne der sozialistischen Umgestaltung unserer
Hochschulen werden den Typ des Hochschullehrers
entwickeln helfen, in dem strenge und hohen An-
spalchen gentigende Wissenschaftlichkeit sich mit
tiefer Verbundenheit mit unserem Arbeiter-und-
Bauern-Staat vereinigen, in dessen Arbeit, Lehre
und Erziehung wieder zur Einheit verschmolzen
sind.
In den Forschungsinstituten der Deutschen Aka-
demie der Wissenschaften zu Berlin konzentrieren
sich die Teile des wissenschaftlichen Nachwuchses,
die sich der reinen Forschungsarbeit widmen. Die
Tatsache, daB mehr als 600 Assistenten in diesen
Instituten tatig sind ? d. h. 50 bis 60 0/0 der wissen-
schaftlichen Mitarbeiterschaft ? zwingt dazu, auch
hier der Entwicklung des Nachwuchses starke Auf-
merksarnkcit zu schenken.
Den hohen Ansprtichen unserer Forschungsinstitute
an ihre Mitarbeiter geniigen nur die besten Hoch-
schulabsolventen. Ihre Eignung erweist sich in letzter
Instanz erst in ihrer wissenschaftlichen Entwicklung
am Arbeitsplatz selbst. So unterliegt der junge As-
sistent einer standigen wissenschaftlichen Betreu-
ung, Bewahrungsprobe und Kontrolle. Dieser per-
manente Ausbildungs- und AusleseprozeB verlangt
von den leitenden Mitarbeitern der Institute ein
hohes Mali an verantwortlicher Erziehungsarbeit.
Diese Arbeit ist keineswegs auf die im engeren
Sinne fachliche F6rderung beschrankt. Wissen-
schaftliche Arbeit ist heute planmfiBige Arbeit, und
sic ist vor allem Gemeinschaftsarbeit. Die Erziehung
dazu ftihrt den Assistenten notwendig in die Sphare
gesellschaftlicher Verantwortung. Und diese Seite
der Erziehung, die zur Erkenntnis gesellschaftlicher
Verantwortung und zur bewuBten Mitarbeit am
Aufbau des Sozialismus fiihren soli, gibt alien anderen
Bemlihungen ihren letzten Sinn.
Diese und andere Fragen der wissenschaftlichen
Nachwuchsforderung stehen auf unserer Tagesord-
nung. Ihre Losung ist zwingend, veil sic aufs engste
mit den Aufgaben unserer Volkswirtschaftsplfine und
dem Aufbau des Sozialismus tiberhaupt verknilpft
sind. Sic konnen gelost werden, weil sich unsere
junge Intelligenz in den wissenschaftlichen Insti-
tuten, in den Laboratorien unserer Betriebe und auf
unseren Hoch- und Fachschulen befindet.
Dr. Fritz Ludwig
Wissenschaftlicher Referent an der Deutschen
Akademie der Wissenschaften zu Berlin
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILUNGSBLATT
21
Perspektiven der Germanistik
Wir drucken den Aufsatz von Dr. W. Girnus in
unserem 1Vlitteilungsblatt nach, wail wir der Auf-
fassung sind, daJJ er in den Diskussionen des In-
stituts fiir deutsche Sprache und Literatur eine
Rolle spielt.
d. Red.
Die Germanistik als die Wissenschaft von deutscher
Sprache und Literatur ist em n Teil der sogenannten
Geisteswissenschaften ? Philosophie, Geschichte,
Asthetik, Kunstgeschichte, Literaturwissenschaft
usw. ?, die sich mit Gegenstfinden vornehmlich
ideologischer Natur befassen. Gemessen an den histo-
rischen Aufgaben und verglichen mit dem Entwick-
lungsstand der Naturwissenschaften sind die meisten
Geisteswissenschaften zurtickgeblieben. Ihr Produk-
tivitfitsgrad ist niedrig, quantitativ und qualitativ
DaB die Quantitat der Veroffentlichungen allein nicht
den Gradmesser produktiver Wissenschaft darstellt,
claftir bietet Westdeutschland em n warnendes Beispiel.
Gedruckt wird dort viel, aber von wissenschaftlicher
Zielstrebigkeit auf dem Gebiet der Germanistik kann
nicht die Bede sem; im Gegenteil: Es herrscht ein
wahrhaft vorsintflutliches Tohuwabohu der unwahr-
scheinlichsten Lehrmeinungen. Abgesehen von der
Arbeit einiger ttichtiger Philologen machen sich der
prinzipienloseste Eklektizismus, vornehm als ?fiber
alien Einseitigkeiten stehend" aufgeputzt. absurdester
Irrationalismus und in erschreckendem AusmaB ge-
lehrtes Geschwfitz breit ? jiingstes Beispiel ist
R. Brinkmanns Buch iiber den Realismus des
19. Jahrhunderts.
Der vor zwei Jahren verstorbene Bonner Ordinarius
Ernst Robert Curtius sah sich aus diesem Grunde
zu der Feststellung veranlaBt? ?Die moderne Lite-
raturwissenschaft ist em n Phantom." Wir Oberlassen
es den Bewunderern chaotischer Zustande, diesen
Mengel an wissenschaftlichem Orientierungsvermogen
fur em n Symptom von Meinungsfreiheit zu halten.
Die Krise der Germanistik in Westdeutschland hat
gewiB auch eine materielle Seite: Von dem in Bonn
wieder voll rehabilitierten preuBisch-deutschen Korn-
millstiefel kann man schlechterdings keinen Respekt
vor der geistigen Leistung der Nation erwarten. Aber
primar handelt es sich bei dieser geistigen Wirrnis
urn eine ideologische Krise, urn die Unfahigkeit, auf
dem Boden bourgeoiser Vorstellungen einen einheit-
lichen wissenschaftlichen Standpunkt zu gewinnen.
Die Geisteswissenschaften besitzen in der westlichen
Welt keine fundierte theoretische Grundlage; sic sind
dunkel und dienen der geistigen Verdunkelung.
Die Wiedergeburt der deutschen Germanistik im
Geiste ihrer groBen Schopfer unter den Bedingungen
unseres sozialistischen Zeitalters ist daher niemals
von der Bundesrepublik zu erwarten. Urn so groBer
ist die Verantwortung der germanistischen Wissen-
schaft in der Deutschen Demokratischen Republ'ic.
Sic ist verpflichtet, die groBen philologischen Tra-
ditionen der Gebrtider Grimm auf h?herer Ebene
fortzufiihren.
Die Tradition der deutschen Literaturwissenschaft
ist gespalten. Hochst selten nur waren amtlich be-
stallte Universitatslehrer revolutionfire Bahnbrecher
deutscher Literaturdeutung. An der Spitze stehen
?
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hier vielmehr Namen vie Lessing, Herder, Gervinus,
Heine, Marx, Engels, Mehring. Die universitatsamt-
liche Literaturwissenschaft hat sich in Deutschland'
allzu hating der Reaktion und deren militaristischer
Blut-und-Boden-Mystik ausgeliefert. Es gentigt, Na-
men vie Josef Nadler, Ernst Bertram, Julius Peter-
sen, Heinz Kindermann, Franz Koch, Hermann Pongs
oder Herbert Cysarz zu nennen. Die Tradition der
Wolfgang Menzel und Josef Nadler .ist ftir uns un-
annehmbar.
Hat nun aber die Germanistik an den Universitaten
der Deutschen Demokratischen Republik die Erwar-
tungen, die die Arbeiter-und-Bauern-Macht in sic
zu setzen berechtigt ist, im Sinne der fortschrittlichen
Traditionen der deutschen Geistesgeschichte erfullt?
Wir sprechen nicht von anerkennenswerten Benin-
hungen einzelner, die vorhanden sind, sondern von
der Germanistik als Ganzem.
Leider muB man unter diesem Gesichtspunkt die
Frage verneinen. Es ist noch nicht einmal em n grund-
legendes Werk Ober diese Tradition und Ober die
marxistische Entwicklungslinie in der deutschen
Literaturwissenschaft in Angriff genommen. Mate-
rielle Schwierigkeiten vie in Westdeutschland gibt
es bei uns ftir diese Arbeit nicht. Folglich sind die
Ursachen fur den unbefriedigenden Zustand aus-
schliel3lich in der schlechten ideologischen Fuhrung
dieser Wissenschaft und der ungentigenden ideologi-
schen Reife des Nachwuchses zu suchen.
Der schltissige Beweis ftir die Richtigkeit dieser Fest-
stellung ist die Tatsache, daB bis zum heutigen Tag
noch kein ausgearbeiteter Perspektivplan fur die in-
haltliche Entwicklung der germanistischen Wissen-
schaft vorliegt. Auch Handbilcher und literatur-
wissenschaftliche Nachschlagewerke, die unseren
Bedildnissen entsprechen, existieren nicht. Wissen-
schaftler und Studenten benutzen f?r diese Zwecke
ausschlieBlich westliche Erzeugnis9e. In der Ein-
stellung vieler Studenten zur Literatur, insbesondere
zum sozialistischen Realismus, sowie in Thematik
und Inhalt von Doktorarbeiten offenbart sich haufig
der Geist muffigen SpieBertums: Nur nicht Partei
nehmen, nur nicht sich binden!
Feststellen, dell die Hauptursache dieses Versagens
in der ungentigenden Reife des BewuBtseins liegt,
bedeutet aber nichts anderes, als daB die Stagnation
in der Germanistik darin ihren tieferen Grund hat,
daB der dialektische und historische Materialismus
noch nicht entschlossen und systematisch zur aus-
schliefilichen Grundlage dieser wichtigen Disziplin
geworden ist. Dabei mull man betonen, daB es sich
urn den systematischen Aufbau dieser Wissenschaft
auf der genannten Grundlage handelt. Das feuilleto-
nistische Kokettieren mit Brocken der marxistischen
Terminologie, vie das bei manchen Literaturwissen-
schaftlern tiblich ist. hat mit der Anwendung mar-
xistisch-leninistischer Prinzipien in der Wissenschaft
nichts zu tun.
Ich hore bereits den Einwand: Aber haben wir nicht
rund em n Jahrzehnt den dialektischen und histo-
rischen Materialismus an unseren Universitaten ge-
lehrt? Richtig! Aber was ist damit schon gesagt?
Lehren und Anwenden sind zwei ganz verschiedene
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MITTEILUNGSBLATT
4. Jahrgang, Heft 1/2/3
Dinge. Der dialektische und historische Materialis-
mus wird nur in dem MaBe zur ReaMat, in dem er
unmittelbar auf die Praxis angewandt wird, in
diesem Falle also auf die wissenschaftliche Arbeit
des Germanisten, in seinem Studium, in seiner
Diplomarbeit, in seiner Doktorarbeit, in seinen Ver-
offentlichungen und ganz allgemein in seinem Ver-
halten zu den Fragen der Literatur. Das Nachbeten
auswendig gelernter Formeln hat mit dem dialek-
tischen und historischen Materialismus tiberhaupt
nichts zu tun.
Es geni3gt auch keineswegs, sich nur mit den An-
fangsgainden des dialektischen und historischen Ma-
terialismus zu befassen, vie das im gesellschafts-
wissenschaftlichen Grundstudium geschieht. Wenn es
seinerzeit eipige Leute gab, die vor einem Jahr pro-
vokatorisch die Forderung stellten, das gesellschaftS-
wissenschaftliche Grundstudium abzuschaffen, so be-
weist im Gegenteil das Auftauchen dieser Forderung,
daB an unseren Universitaten noch viel zuwenig
dialektischer und historischer Materialismus ge-
trieben wird. Notwendig ist vielmehr, daB der Stu-
dent, der wissenschaftliche Nachwuchs und unsere
Hochschullehrer der Germanistik sich vom ersten bis
zum letzten Tage ihrer wissenschaftlichen Laufbahn
grandlich mit dem dialektischen und historischen
Materialismus und seiner Anwendung auf ihr Fach-
gebiet beschaftigen.
Ein Germanist, der nicht das philosophische Werk
von Marx, Engels und Lenin beherrscht, ist auf3er-
stande, selbstandig die Germanistik auf marxistisch-
leninistischer Grundlage weiterzuentwickeln. Semi-
nare Ober Marx' und Engels' Stellung zur deutschen
Literatur, tiber Lenins philosophischen NachlaB usw.
sollten fortan auch zum Grundbestand des germa-
nistischen Studiums der hoheren Semester gehoren.
Ein Germanist, der nicht in der Lage ist, den.dialek-
tischen und historischen Materialismus auf seinFach
schopferisch anzuwenden, ist kein Marxist. Das ist
jetzt die Kernfrage: die Anwendung des dialektischen
und historischen Materialismus auf das eigene
Fach.
Der Einwand, daB es doch auch darauf ankomme,
zugleich ?wissenschaftlich exakt" und ?philologisch
einwandfrei" zu arbeiten, zeugt von Naivitat. Die
Meisterung des dialektischen und historischen Mate-
rialismus schlief3t philologische Akribie und histo-
risch-kritische Gewissenhaftigkeit nicht aus; im
Gegenteil: Er schliat alle wissenschaftlichen Er-
rungenschaften em, aber er laBt ihre Trennung nicht
zu! Ideologische, kiinstlerische, sprachliche und text-
kritische Wertung bilden far ihn eine unlosbare
Einheit.
Jetzt kann man einen lebhaften Meinungsstreit ilber
die Frage f?hren, wie die deutsche Germanistik auf
der Grundlage des dialektischen Materialismus
weiterzuentwickeln ist. Dieses Problem bietet un-
erschopflichen Stoff far fruchtbare Auseinander-
setzungen. Es gilt, die Grundfragen der Methodologie
der Literaturwissenschaften zu klaren und im Zu-
sammenhang mit der Asthetik so prazise Begriffs-
bildungen zu erarbeiten, vie sic z. B. die Physik oder
die marxistische okonomie schon seit langem be-
sitzen. Die Scheu vieler Geisteswissenschaftler vor
klarer Begriffsbestimmung ist em n Zeichen des Zu-
rtickbleibens dieser Wissenschaften. Auch das Pro-
blem der Periodenbildung in der deutschen Literatur-
geschichte ist zu klaren, die Frage der Entwicklung
des Realismus in der deutschen Literatur und seiner
13esonderheiten usw.
Vor allem aber stellt sich den Instituten far deutsche
Sprache und Literatur an unseren Hochschulen die
Aufgabe, zu Mittelpunkten der schopferischen Aus-
einandersetzung Ober den sozialistischen Realismus
zu werden. Germanisten der Humboldt-Universitat
haben em n gutes Beispiel gegeben, indem sie Thesen
Ober den sozialistischen Realismus formulierten, die
einen Ansatz fiir die Aussprache ilber diese Pro-
blematik bieten. Starker als bisher sollte man dazu
abergehen, das Werk einzelner sozialistischer Dich-
ter, vie z. B. Brecht, Seghers, Bredel, einer ausfiihr-
lichen wissenschaftlichen Untersuchung zu unter-
ziehen. Die kritische Auseinandersetzung mit den
fehlerhaften Auffassungen des ungarischen Lite-
raturphilosophen Georg Lukacs mtiBte eigentlich
eine Selbstverstandlichkeit sem.
Vonig fehlen Symposien und Kolloquien Ober Einzel-
fragen, vie z. B. ethische Probleme in der neueren
deutschen Literatur, Ober den Klassencharakter der
Dichtung, tiber das Wesen der Dekadenz in der Lite-
ratur, tiber die literarischen Auffassungen Franz
Mehrings usf. An solchen Aussprachen warden
sicherlich Wissenschaftler von internationalem Rang
aus den sozialistischen Landern gem teilnehmen.
Der Wissenschaftliche Beirat far Germanistik wird
im Zusammenhang mit der Aufstellung eines Per-
spektivplans auch die Studienplane daraufhin Ober-
prtifen mtissen, ob die bestehende Proportion des
Studiums zwischen mittelalterlicher und neuerer
Literatur unseren heutigen Bedarfnissen noch ent-
spricht. In Deutschland herrscht seit den Tagen der
Romantik eine tlberbetonung des Mittelalters im
Studium der Philosophic, der Geschichte, der Kunst-
geschichte und der Literatur. Wir schatzen Walther
von der Vogelweide und Wolfram von Eschenbach
auf3erordentlich, aber man kann nicht tibersehen. daB
ihre Sprache nicht mehr die unsrige ist; die religios-
klerikale Gedanken- und Gefahlswelt des Mittel-
alters vollends gehoren ins Museum vie Ketten-
panzer und Lanze. Die Neuzeit beginnt in Kunst
und Literatur dort, wo die Emanzipation des Men-
schen aus den Fesseln religii3ser Vorstellungen ein-
setzt. In der Deutschen Demokratischen Republik hat
das Mittelalter endgaltig ausgespielt, und die Welt-
anschauung unseres Jahrhunderts ist der dialektische
Materialismus. Eine Germanistik, die sich nicht auf
dieser Grundlage konstituiert, hat keine Zukunft.
Fahigkeit und Bereitschaft, diesen Entwicklungs-
prozef3 der Wissenschaften nach Kraften zu fordern,
gehoren fortan zum Merkmal des seriosen Fach-
wissenschaftlers.
Es wird gelegentlich eingewandt, bei einer so ent-
schiedenen Zielsetzung bleibe doch kaum noch Raum
fiir den Meinungsstreit,Dieser Einwand geht von bour-
geoisen Vorurteilen aber das Wesen des Meinungs-
streites aus. Meinungsstreit ohne Sinn und Ziel ist
wertlos. Das Ziel unseres wissenschaftlichen Mei-
nungsstreites ist bedingt durch die objektiven histo-
rischen Gesetze, die die Entwicklung unserer Ord-
nung bestimmcn. Es wird weiter eingewandt, in
diesem Meinungsstreit milBten auch falsche, ab-
weichende, mithin unmarxistische Meinungen zu
Worte kommen, sonst sei es kein echter Meinungs-
streit. Das stimmt. Aber ebenso besteht das Recht,
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILUNGSBLATT
23
Revisionismus als Revisionismus, Versohnlertum als
Versohnlertum und Dekadenz als Dekadenz ,zu be-
zeichnen.
Wer der Meinung ist, daB em n Vorwurf ihn zu Un-
recht treffe, besitzt die Moglichkeit, ihn zu wider-
legen, falls er es vermag. Bei manchen jedoch hat
man den Eindruck, als ob sic wohl das Recht far
sich in Anspruch nehmen, ihre Meinung anderen
gegenaber fret auszusprechen, sofort aber in eine Art
Schweigestreik treten, wenn andere das gleiche
Becht ihnen gegenaber geltend machen. Es ist wohl
recht und billig, festzustellen, daB es in der Deut-
schen Demokratischen Republik kein personliches
Monopol filr die wissenschaftliche Wahrheit gibt,
weder ftir Lehrstuhlinhaber, noch far Staatssekre-
tare, noch far FDJ-Sekretare oder sonst jemand.
Bei uns bestehen alle Voraussetzungen far einen
uneingeschrankten Meinungsstreit auf wissenschaf t-
licher Grundlage. Das schlieSt den rticksichtslosen
Entzug der Publikationsfreiheit far die em, die be-
wuBt darauf ausgehen, den dialektischen und histo-
rischen Materialismus, die h6chste und umfassendste
wissenschaftliche Denkweise, in welcher Form immer
zu diskreditieren. Aus dem gleichen Grunde !carmen
wir auch nicht zulassen, daB reaktionares Ge-
dankengut aus der Bundesrepublik bei uns ein-
geschleppt wird. Hingegen miissen wir mit allem
Nachdruck dahin w.irken, daB alle Wissenschaftler
der Deutschen Demokratischen Republik, die an
Tagungen in Westdeutschland teilnehmen, sich auch
In der Sitzung des Prtisidiums am 21. November 1957
trug Vizeprtisident Prof. Dr. W. Steinitz im Na-
men vonFrauHelene Weigel die Bitte vor, eine
historisch-kritische Ausgabe der Werke Bertolt
Brechts durch die Deutsche Akademie der Wissen-
schaf ten zu Berlin und die Deutsche Akademie der
Kiinste zu veransta/ten.
in wissenschaftlicher Hinsicht als bewuBte Repra-
sentanten unseres Staates verhalten. Ideologie kann
kein Gegenstand far Kompensationsgeschafte sem.
Bei der sozialistischen Umgestaltung der Geistes-
wissenschaften handelt es sich urn em n hartes Bingen
zwischen bargerlicher und sozialistischer Ideologie.
Es geht darum, welche Ideen herrschen sollen und
welche ilberwunden werden massen. Sollen die so-
zialistischen Ideen siegen, so gilt es auch an den
Universitaten, Hochschulen und Instituten unter der
Fahrung der Partei der Arbeiterklasse alle Krafte
politisch, ideologisch und organisatorisch zusammen-
zuschlieflen, urn diesen Kampf vor der ganzen fort-
schrittlichen Welt in Ehren zu bestehen. Der Lei-
stungseffekt der Arbeit unserer Germanisten wird
ftir viele Menschen in der Welt em n Gradmesser da-
ftir sem, welches System das leistungsfahigere ist,
das sozialistische oder das kapitalistische; auch die
Germanistik kann nur dann zu einem bedeutsamen
geistigen Faktor des Fortschritts werden, wenn sic
vorbehaltlos der Sache der Arbeiterklasse dient.
Dr. Wilhelm Girnus
Staatssekretar far Hoch- und Fachschulwesen,
Mitglied des Kuratoriums der Forschungsgemein-
schaft der naturwissenschaftlichen, technischen und
mediZinischen Institute der Deutschen Akademie der
Wissenschaften zu Berlin
(Nachdruck nus: ?Neues Deutschland" V. 18. 1. 1958)
Am 13. Januar 1958 legte Dr. H.-J. Bung e, Leiter
des Bertolt-Brecht-Archivs, Berlin N 4, Chaussee-
strafie 125, den. Mitarbeitern der Goethe-Ausgabe
einige Gedanken dar, die er unter nachstehend an-
gefiihrtem Thema zusammenf afite:
Vorausbemerkungen zu einer historisch-kritischen Ausgabe der Schriften
Bertolt Brechts
I. Inhalt und Zustand des literarischen Nach-
lasses
Der literarische NachlaB Bertolt Brechts besteht aus
rund 65 000 Seiten, die als Manuskripte von Schrif-
ten, Notizen oder Briefe seiner Hand anzusprechen
sind. Zu dieser Zahl kommen die Veroffentlichungen.
Im Nachlaf3 beflnden sich auBerdem Materialsamm-
lungen, die Brecht sich zu Studienzwecken far seine
Arbeit anlegte, Manuskripte von Mitarbeitern, Map-
pen mit Rezensionen und eine umfangreiche Bi-
bliothek; weiterhin zahlreiche Fotos vor allem mit
Aufnahmen aus Auffahrungen seiner Stacke, zum
grof3en Teil zu ?Modellbachern" zusammengestellt,
und Bahnenbildentwarfe fur Inszenierungen, die
Brecht selbst leitete. Der Katalog des Nachlasses
umfaBt ftir diesen Teil rund 50 000 Nummern.
Man kann behaupten, daf3 im NachlaB nahezu voll-
standig vorhanden ist, was von Brecht geschrieben
und von ihm fiir aufhebenswert befunden wurde.
Dazu muB man wissen, daB Brecht beinahe nie
auch nur einen Zettel weggeworfen hat ? er hat
schlimmstenfalls etwas verlegt und dann vergessen ?
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und daff die Mitarbeiter der verschiedenen Perioden
seines Lebens ebenso sorgsam mit den beschriebenen
Blattern umgingen. Wieviele Manuskripte und Briefe
sich dennoch in fremden Handen beflnden, laBt sich
noch nicht abersehen, ihre Zahl wird nicht grof3
sem, und die jetzigen Besitzer sind im wesentlichen
Freunde und Mitarbeiter Brechts, die an einzelnen
Projekten beteiligt waren. Fast alle leben noch,
und die Verwalter des Nachlasses stehen mit ihnen
in Verbindung. Erhebliche Schwierigkeiten bei der
Beschaffung dieses Materials werden vermutlich nicht
auftreten.
Der Dank ftir die ungewohnlich vollstandige Auf-
bewahrung seiner schriftstellerischen Produktion ge-
btihrt in erster Linie Helene Weigel und Elisabeth
Hauptmann, die beide auf Wunsch Bertolt Brechts
seinen literarischen NachlaB verwalten. Elisabeth
Hauptmann sorgte dafar, daB nach Brechts Flucht
aus Nazideutschland seine Manuskripte in Sicherheit
gebracht und ihm schlieBlich in die Emigration nach-
geschickt werden konnten. Helene Weigel ktimmerte
sich nicht nur darum, dafs Brecht an jedem Aufent-
..401.11b
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24
MITTEILUNGSBLATT 4. Jahrgang, Heft 1/2/3
haltsort der groBen Reise beinahe ohne Unter-
brechung weiterarbeiten konnte, sondern sie veran-
laBte auch, daf3 vor ellen anderen Dingen die Manu-
skripte verpackt, mitgenommen und wahrend der
Fahrt sorgsam behtitet wurden. Beim Verlassen
Schwedens MuBte em n Tell des Materials zurtick-
bleiben. Ein Arbeiter im Stockholmer Vorort Li-
dingo nahm es in Verwahrung und bei dessen Tode
sein Sohn. Nachdem. Brecht wieder in Deutschland
war, konnten auch die ?schwedischen Manuskripte"
zurtickgeholt werden.
Fur Brechts schriftstellerische Produktion war unter
anderem eine bestimmte SchOnheit des Arbeitsvor-
gangs wichtig. So schreibt er (am 12. 4. 1941) in sein
Tagebuch: ?Merkwilrdig, vie das Manuskript wah-
rend der Arbeit zum Fetisch wird! Ich bin ganz ab-
hangig vom Aussehen meines Manuskriptes. in das
ich immerfort einklebe und das ich asthetisch auf
.der H?he halte." Dieses Prinzip wahrt Brecht nicht
nur, wenn er ? vie er schreibt ? sich immer wieder
dabei ertappt, da3 er ftir eine Anderung mit einer
ganz bestimmten Anzahl von Versen auszukommen
versucht, ?nur damit die Seite ausgeht". Er war auch
abhangig von der Qualitat und Starke des Papiers,
von dessen Format, ja selbst davon, ob das Farb-
band seiner Schreibmaschine neu oder abgebraucht
war.
Heute allerdings sieht man den Manuskripten ihr
wechselvolles Schicksal an. Die Notwendigkeit, sic
zu verstecken, die Hast, mit der eine Reise oft vor-
bereitet werden muBte und die raumlichen Schwie-
rigkeiten wahrend der Fahrt oder auch an den
Aufenthaltsorten sowie andere Fahrnisse haben sic
gestempelt.
Zu den Gedichten: EinschlieBlich der umfang-
reichen Poeme ?Das Manifest", ?Die Erziehung der
Hirse" und ?Herrnburger Bericht" befinden sich
im NachlaB rund 4000 Blatt mit Notizen, Versuchen
und Fassungen. Die ersten Zeugnisse stammen aus
der Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Gedichte lessen
sich fur alle Lebensphasen Brechts datieren und
gehen bis zum Jahre 1956.
Die Zahl der Manuskripte zu Stticken und Filmen
ist auBergewohnlich gro13. Allein fiir die Stticke, die
Brecht in den ?Versuche"-Heften drucken lieB.
?Dreigroschenoper", ?Aufstieg und Fall der Stadt
Mahagonny", ?Die heilige Johanna der Schlacht-
We", ?Die Mutter", ?SpItzkopfe und Rundkopfe"
(mit den Arbeitstiteln ?Mal3 fur MaB" und ?Reich
und Reich gesellt sich gem"), ?Mutter Courage und
ihre Kinder", ?Herr .Puntila und sein Knecht Matti"
.(mit dem frtiheren Titel ?Der Regen fallt immer
nach unten"), ?Leben des Galilei", ?Der kaukasische
Kreidekreis", ?Der gute Mensch von Sezuan" und
t.Tage der 'Commune" zahlt der Archival. tiber
10 000 Nummern.
Dazu kommen die zu Brechts Lebzeiten nicht ge-
druckten Stlicke ?Happy End", ?Der aufhaltsame
Algstieg des Arturo Ui", ?Die Gesichte der Simone
Machard", ?Schweyk" und ?Turandot oder der
Kongre13 der Weif3wascher" mit rund 2000 Nummern.
Man sieht gut, da3 nach Inszenierung eines Sttickes
die Anzahl seiner Manuskriptseiten auf das Dop-
pelte anwachst ? so intensiv wurden die Stticke
dab'ei bearheitet.
Far die frilheren und kleineren Stticke sowie Ein-
akter ?L-- ?Baal", ?Trommeln in der Nacht", ?Im
Dickicht der Stadte", ?Leben Eduards des Zweiten
von England", ?Flug der Lindberghs", ?Das Verhtir
des_Lukullus" und ?Die Verurteilung des Lukullus",
?Die sieben Todstinden". ?Die Gewehre der Frau
Carrar", ?Furcht und Elend des Dritten Belches",
?Die Ausnahme und die Regel", ?Horatier und Ku-
riatier", ?Der Jasager und der Neinsager", ?Die
MaBnahme", ?Das Badener Lehrstiick \rem Ein-
verstandnis" sowie ?Die Hochzeit", ?Er treibt einen
Teufel aus", ?Lux in tenebris", ?Der Bettler", ?Der
Fischzug". ?Alle wissen alles" und ?Aus Nichts wird
Nichts" ? werden rund 5000 Manuskriptseiten an-
gegeben.
Weiterhin die Bearbeitungen und Obersetzungen:
?Ich will em n Kind haben" nach Tretjakow, ,,The
Duchess of Malf1" nach John Webster, ?Antigone"
nach der Holderlinschen Ubertragung, ?Der Hof-
meister" nach Lenz, ?Coriolan" nach Shakespeare,
?Biberpelz und Roter Hahn" nach Hauptmann, ?Der
ProzeB der Jeanne d'Arc zu Rouen 1431" nach Anna
Seghers ?Don Juan" nach Moliere, ?Pauken und
Trompeten" nach Farquhar, ?Der Held der west-
lichen Welt" nach Synge, Johannes R. Bechers
?Winterschlacht" sowie die Mitarbeit an Stritt-
matters ?Katzgraben" umfassen ebenfalls rund 5000
registrierte Manuskriptseiten.
Zu erwahnen sind ferner die Fragmente ?Fatzer",
?Der Brotladen", ?Der Wagen des Ares" und ?Die
Reisen des Glticksgottes", ?Das wirkliche Leben des
Jacob Geherda" und ?Dutch Schulz", ?Dansen",
,.Was kostet das Eisen", ?Dan Drew" und ?Die Darm-
wascher", ?Das internationale Rote Kreuz" und
?Dunant", ?Leben des Konfutse" und ?Die Iden
des Marz", ?Goliath", ?Hannibal", ?Baseler Fast-
nacht", ?Salzburger Totentanz" und schlieBlich ?
ohne Vollstandigkeit zu erreichen ? ?Rosa Luxem-
burg". ?Hans Garbe" und ?Albert Einstein" mit bei-
nahe 2000 Archivnummern.
Und schlief3lich die Filme, Mitarbeit an Filmen und
Filmentwilrfen ? wiederum ohne Anspruch auf
Vollstandigkeit: ?Abendmahl der Krokodile", ?Der
Brillantenfresser", ?Kuhle Wampe", ?Der Mantel",
,.Das Olfeld", ?Der grol3e Clown Emael" und ?Ulen-
spiegel" sowie der ?Courage"- und der ?Puntila"-
Film mit etwa 3500 Manuskriptseiten.
In dieser nicht alle Themen erfassenden Aufstellung
sind Ober 80 Titel genannt, und es wurden fast
30 000 Manuskriptseiten vom Arch iv registriert.
An Prosadichtungen wurden auf3er dem ?Drei-
groschenroman", dem Fragment ?Die Geschafte des
Herrn Julius Caesar", den bekannten und unbekann-
ten ?Keuner"-Aphorismen, zahlreichen verliffent-
lichten und nicht veroffentlichten Kurzgeschichten
eine Reihe erst zum Tell fertiggestellter Arbeiten
aufgefunden: ?Fltichtlingsgesprache", der ?Tui-
Roman", das ?Buch der Wendungen", die ?Me-Ti"-
und die ?Lai-Tu"-Geschichten, der Entwurf ?Tel-
lek-tuel-in", weiterhin essayistische Arbeiten und
philosophische Schriften. Das Archly nennt dal&
rund 5500 Manuskriptseiten.
Wenn in der vorlaufigen Zusammenstellung des
Nachlasses eine Abteilung ?Politische Schriften" ge-
fiihrt wird. bedeutet das nicht, daB die anderen
Abteilungen ?unpolitisches" Material enthielten.
Aber Erklarungen zu tagespolitischen Fragen, etwa
die ?Offenen Bride", die Aufsatze ?Ftinf Schwierig-
keiten beim Schreiben der Wahrheit", ?Eine not-
1
I
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILONGSBLATT
25
wendige Bemerkung zum Kampf gegen Barbarei"
und ?Ober die Wiederherstellung der Wahrheit", die
?Horst Wessel-Legende", Rundfunkkommentare ftir
Sendungen nach Nazideutschland und andere poli-
tische Arbeiten wahrend der Emigrationszeit haben
doch so often pamphletischen Charakter, daB eine
Sonderabteilung gebildet wurde. Sie umfat Manu-
skripte mit rund 1000 Archivnummern.
Bei den Schriften zur Literaturtheorie und zur
Theatertheorie und bei den Aufsatzen fiber Theater-
praxis wurden die ohnehin hohen Erwartungen noch
tibertroffen. Aul3er den umfangreichen Komplexen
?Der Messingkauf" und ?Kleines Organon fUr das
Theater", ?Theaterarbeit" und ?Dialektik auf dem
Theater", den bekannten Veroffentlichungen tiber
?Episches Theater" und Ober die Methode der Ver-
fremdung gibt es zahlreiche Notizen Ober Schau-
spieler und Schauspielkunst, Ober das Theater Sta-
nislawskis, das Shakespeareanische und das chine-
sische Theater, aber auch Ober Literatur und bil-
dende Kunst. Eine Zahlung der Manuskripte dieser
Gruppe ergab iiber 3000 Seiten.
Tagebticher hat Brecht nur wahrend der Emigration,
zwischen 1938 (Dfinemark) und 1948 (Rtickkehr nach
Berlin), verhaltnismaBig ltickenlos gefilhrt. Die
Tagebticher enthalten kaum Aufzeichnungen pri-
vaten Charakters, sondern dienen zur Selbstverstan-
digung wahrend der Arbeit und zur Formulierung
philosophischer sowie politischer Beobachtungen und
Erkenntnisse. Es handelt sich um mehr als 450
Schreibmaschinenseiten. Aus anderen Lebensperio-
den sind tagebuchartige Notizen nur sparlich vor-
handen. Teilweise haben aber die fast 50 Hefte mit
skizzenhaften Aufzeichnungen und Bemerkungen
auf Ober 2000 Seiten Bedeutung als Arbeitsbticher.
Sic stammen aus verschiedenen Jahren, auch aus
ganz friiher Zeit.
Entgegen alien Voraussagen fend sich im Nachla3
eine erstaunlich umfangreiche Korrespondenz an.
Selbst wenn man die rund 16 000 Archivnummern
unberticksichtigt laBt, die ftir geschaftliche Korre-
spondenz, filr Vertrage, Rechnungen, Abrechnungen
und Belege ahnlicher Art gezahlt wurden ? dieses
Material, das zum groBten Teil nicht unmittelbar
von Brecht stammt, ist deshalb keinesfalls unwich-
tig ? so bleiben noch fiber 2000 Seiten mehr oder
minder privater Korrespondenz; zur Halite Durch-
schlage von Briefen Brechts oder Originale, die dem
Archly zurtickgegeben wurden, zur anderen Halfte
Antwortschreiben an Brecht oder auch unbeantwor-
tete Schreiben an ihn. Im wesentlichen sind die
Briefpartner langjahrige Freunde und Mitarbeiter.
Fur die letzten Jahre wird auch eine Korrespondenz
mit Mitgliedern der Regierung der Deutschen Demo-
kratischen Republik und des Zentralkomitees der
Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands verzeich-
net. Daraus geht hervor, wie sehr Brecht neben
seiner schriftstellerischen und praktischen Theater-
arbeit Anteil an tagespolitischen Fragen nahm.
Diese Aufstellung gibt nur einen Oberblick. Auf
Ether 4000 Archivnummern sei abschliefiend ledig-
lich hingewiesen Zeitungsausschnitte. Rezensionen
und Belege; Sammelmappen von Mitarbeitern mit
rund 1000 Nummern, bei denen noch keine Ent-
scheidung tiber den Urheber der Manuskripte ge-
werden konnte; Mappen mit etwa 1000 losen
Blattern, deren Zuweisung in eine der Hauptabtei-
lungen bisher nicht moglich war.
Die Manuskripte wurden in der Regel mit Schreib-
maschine geschrieben. Brecht bediente dieses ihm
vertraute, im Gang etwas schwerfallige Arbeits-
instrument grundsfitzlich selbst und machte beinahe
immer Durchschlage. In den meisten Fallen ent-
halten die Manuskripte handschriftliche Korrek-
turen, im allgemeinen von Brecht, aber auch von
Mitarbeitern, vie vor allem Elisabeth Hauptmann,
Mar garete Steffin und Ruth Berlau. Bezeichnend ftir
die Arbeitsweise Brechts, besonders beim Schreiben
von Stiicken, sind zerschnittene und dann neu-
montierte Manuskripte, die sauber zusammengeklebt
wurden. Brecht bezeichnete sich als ?Meister der
Klebeologie". Die nicht mehr verwendeten Ab-
schnitte wurden ebenfalls aufbewahrt. Eine groBe
Schwierigkeit beim Feststellen einer Reihenfolge
der Arbeitsschichten wird sich daraus ergeben, da13
manchmal nicht am zuletzt fertiggestellten Menu-
skript weitergearbeitet worden ist, sondern ? bei-
spielsweise wenn die Arbeit eine Zeitlang geruht
hatte ? frilhere Fassungen zum neuen Ausgangs-
punkt wurden. Eine weitere Schwierigkeit bereitet
der Umstand, daB Brecht die einzelnen Arbeiten
oder gar Arbeitsphasen beinahe nie datierte, so dal)
auch er selbst spater nur selten in der Lage war,
genaue Angaben Ober den Zeitpunkt des Entstehens
einer Arbeit zu machen. Nur bei den Notizen, die
wahrend der praktischen Theaterarbeit gemacht
wurden, achtete er auf das Datum auch in Nieder-
schriften seiner Mitarbeiter ? beim Auswerten der
Notate gleichsam vie bei einer historisch-kritischen
Arbeit vorgehend. Den Hinweis, diese Methode auch
fur seine eigene schriftstellerische Produktion zu
tibernehmen. belachelte Brecht: ftir kiinftige Philo-
logen solle doch etwas Arbeit bleiben.
Trotz der tiberwiegenden Zahl von Schreibmaschi-
nenmanuskripten ist die Zahl der handschriftlichen
Notizen und auch umfangreicher handschriftlicher
Aufzeichnungen nicht zu unterschatzen ? und auch
nicht die Zeit, die filr ihre Entzifferung erforderlich
ist. In Eile hingeworfen, sind diese Bemerkungen oft
schwer lesbar. obwohl die Handschrift Brechts sich
seit vielen Jahren kaum geandert hat. Die Arbeit,
die bisher investiert wurde, den NachlaB nutzbar
zu machen, erstreckte sich noch selten auf solche
Transkriptionen.
II. Das Bertolt Brecht-Archiv
Allen, die urn Rat gebeten wurden, war es selbst-
verstandlich, daB die letzte Wohnung Bertolt Brechts
nicht zu einem Museum umgewandelt werden diirfe.
Helene Weigel, als Bevollmachtigte der Erben-
gemeinschaft, entschloB sich deshalb, in der
Chausseestraf3e 125 ein Bertolt Brecht-Archiv ein-
zurichten. Brechts Arbeitsraume werden als Arbeits-
raume erhalten. Studenten, die Material ftir ihre
Dissertation suchen, werden es dort flnden, wo
Brecht es benutzt hat. Wissenschaftler, die tiber
Brecht arbeiten, werden es in dem Raum tun Icon-
nen, in dem Brecht gearbeitet hat. Ktinstler, die
eine Anregung in Brechts Schriften fur ihre Arbeit
zu linden hoffen. sollen sic dort bekommen, wo sic
immer Anregungen bekamen. Nach dem endgilltigen
AbschluB der Sichtung, Ordnung und Sicherung des
literarischen Nachlasses soil das Archly f?r wissen-
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MITTEILUNGSBLATT 4. Jahrgang, Heft 1/2/3
schaftliche und ktinstlerische Arbeiten allgemein zu-
ganglich gemacht werden.
Verstandlicherweise wollten sich die Bearbeiter, die
ihre Tatigkeit am 1. Dezember 1956 aufnahmen, zu-
nachst einen Einblick in den NachlaB verschaffen,
urn dann- in Ruhe eine erste Ordnung herzustellen,
und um nach der Ausarbeitung eines allseits ab-
gesicherten Planes an die photographische Aufnahme
des Nachlasses zu gehen. Bei einer ersten, nur fliich-
tigen Durchsicht der nicht geordnet hinterlassenen
Manuskripte wurde jedoch Mar, daB linter den gege-
benen Voraussetzungen selbst bei gtinstigem Arbeits-
verlauf mindestens em n Jahr notig gewesen ware,
bevor auch nur das erste Blatt hatte photographiert
werden konnen.
Es gibt aber zuviele Beispiele empfindlicher Ver-
luste von nicht kopierten Originalen wertvoller
Nachlasse. Das sorgfaltig-systematische Vorgehen
bei der Archivierung hatte sich unter Umstanden
als Sorglosigkeit in bezug auf die Sicherung des
Nachlasses erweisen konnen. Helene Weigel ordnete
deshalb an, vordringlich Mikrofilme anzufertigen
und vervielfaltigte Exemplare an verschiedene Orte
auszulagern. Damit sei gewahrleistet, daB eine spater
geplante Auswertung des Nachlasses niemals zu
spat kommen k6nne.
Die erforderlichen Arbeiten waren ? in diesem Aus-
mall ? ftir die Leitung des Archivs zunachst un-
iibersehbar. Es gab keinen Modellfall. Als mit zwei
Mitarbeitern begonnen wurde, stellte sich heraus,
daB die Mikrofilmierung von rund 100 000 Manu-
skriptseiten bei Berticksichtigung auch nur der not-
wendigsten Vor- und Nacharbeiten mit den zur Ver-
ftigung stehenden Arbeitsmitteln mindestens vier
Jahre gedauert hatte. Der Plan einer raschen Siche-
rung des Nachlasses ware unter diesen Voraus-
setzungen illusorisch. Helene Weigel entschloB sich
deshalb zur Einstellung weiterer technischer Mit-
arbeiter, so da3 etwa. sechs Wochen nach Beginn
der Arbeit sieben und zeitweise acht Personen be-
schaftigt wurden. Die Bildung eines so groBen Ar-
beitsstabes wan f neue, organisatorische Fragen auf.
Denn es war unumganglich, daB alle Manuskripte
durch eine Hand in den ArchivierungsprozeB ge-
langten, damit die Leitung des Archivs nicht den
Oberblick tiber den Fortgang der Arbeiten und tiber
das vorhandene Material verlore.
Bei aller gebotenen Schnelligkeit durften die Mall-
nehmen doch nicht tiberhastet werden. Folgende Re-
geln wurden aus der Erfahrung gewonnen und ein-
gehal ten: grundsatzlich sollte jederzeit die Ordnung
? beziehungsweise die Unordnung ? rekonstruier-
bar bleiben, in der der Nachlaf3 vorgefunden worden
war. Denn niemand kann vor intensiver Durcharbei-
tung des Nachlasses tibersehen, welche Zusammen-
stellung von Brecht willktirlich getroffen wurde und
welche zufallig zustande kam. Schnelle Entschei-
dungen konnten Fehlurteile flxieren. Zurtickhaltung
Ha den Bearbeitern dagegen auch ftir spater die
Moglichkeit, bestehende Zusammenhange zu er-
schlieBen. Systematisch wurde von Schrank zu
Schrank vorgegangen, innerhalb jedes Schrankes
Fach fur Fach und innerhalb jedes Fachs Mappe
ftir Mappe archivalisch aufgenommen. Nur dort, wo
es sofort erkennbar war, daB zusammengehorige
Blatter sich nicht in der richtigen Reihenfolge ?
etwa einer vorhandenen Numerierung ? befanden,
?ar?
wurde die von Brecht bestimmte Ordnung wieder-
hergestellt. Aber auch in diesen Fallen waren die
Feitstellungen eher vorsichtig als voreilig.
Die Bearbeiter vermieden jedes Auswahlprinzip
und merzten nichts-aus, was ? absichtlich oder zu-
faliig ? von Brecht aufbewahrt worden war. Alle
Manuskriptseiten, die zu einer bestimmten Arbeit
geh8ren und geschlossen aufgefunden wurden, wur-
den als geschlossener Komplex behandelt. Sie kamen
zum Durchphotographieren in Archivierungsmappen,
die jeweils den Titel der Arbeit Brechts oder ?
wenn em n solcher nicht gegeben war ? eine ent-
sprechende Kennzeichnung durch das Archly er-
hielten,.
Gemaf3 dem Fortgang der Arbeit wurden die Mappen
laufend numeriert und gleichzeitig unter Angabe
des Inhalts und der Blattzahl in eine Registrante
eingetragen. Diese Obersicht hangt im Archiv auf
Tafeln aus und ermoglicht das schnelle Auffinden
jeder registrierten Mappe und der in ihr enthal-
tenen Arbeit. Bei Einhaltung der Grundprinzipien
ist folgerichtig die Anzahl der Manuskriptseiten in
den -Archivierungsmappen verschieden groB. Im all-
gemeinen wurde aber die Zahl 100 nicht gem n fiber-
schritten, urn die MikrofIlme fur eine spatere Be-
nutzung nicht zu unhandlich zu machen und da-
durch der Gefahr einer Beschadigung auszusetzen.
Ausnahmen wurden nur dann gemacht, wenn Manu-
skripte gebunden waren.
Entsprechend dem bereits Gesagten wurde in diesem
Arbeitsstadium darauf verzichtet, die Entstehungs-
folge von Fassungen festzulegen. Die Identiflzierung
hatte zuviel Zeit gekostet und ohne eingehende Vor-
arbeiten zu Irrtiimern f?hren konnen. Ebenfalls
wurde zunachst auf das exakte Vergleichen der Ori-
ginale mit den Abschriften verzichtet, die vie jede
andere Archivalie behandelt wurden. Durchschlage
von Arbeiten wurden nur dann nicht photographiert,
wenn sic sich unmittelbar bei den Originalen be-
fanden und identisch mit ihnen waren, d. h. keine
Korrekturen enthielten. Es war dies die einzige Kon-
zession zur Einschrankung von Doppelaufnahmen.
Jeder spatere Bearbeiter des Nachlasses mull sich
bei eventuellern Verlust der Originalmanuskripte
darauf verlassen konnen, daB die Mikrofilme eine
vollstandige Kopie des gesamten Nachlasses dar-
stellen.
Wie die Archivierungsmappen wurden auch die ein-
zelnen Blatter innerhalb einer Mappe durchnume-
riert, und zwar jede beschriebene Seite mit einer
neuen Zahl. Die Nummern, mit einem Ziffernstempel
auf einen Streifen Papier aufgedruckt, ? und zwar
so groB, daf3 man sic mit bloBem Auge auf dem
Mikrofilm erkennen kann ? wurden mit Zellophan-
band vorsichtig an der rechten oberen Ecke des Ma-
nuskriptes angebracht. Sic bestehen jeweils aus
zwei Zahlen: vor einem Schragstrich die Mappen-
zahl, dahinter die laufende Nummer innerhalb der
Mappe. Die Registriernummern verbleiben auf den
Originalen, die dadurch ebenso leicht aufzufinden
sind 'vie jedes Duch in einer gut geordneten Biblio-
thek. Von den Filmen angefertigte Photokopien ent-
halten automatisch die Signatur.
Beim Mikrofilmieren wurden zunachst 10 m-, dann
50 m-Rollen Sicherheitsffim verwendet, die Mappen
ohne Unterbrechung photographiert und die Filme
mit jeweils etwa 1000 Aufnahmen maschinell ent-
t),
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILUNGSBLATT
27
wickelt. Anfangs wurde jede Aufnahmeserie wieder-
holt, spater wurden zwei Hochleistungsaufnahme-
gerlite verwendet und bei guter Vorbereitung und
technisch einwandfreien Manuskripten bis zu 2000
Aufnahmen taglich geschafft. Gleichzeitig ent-
wickelte das Archly gemeinsam mit einer Photo-
kopieranstalt em n Verfahren, mit dem schlief3lich
von einem Originalfilm drei Duplikatfllme her-
gestellt wurden, die annahernd von gleicher Qua-
litat sind vie der Originalfilm und auf jeden Fall
einwandfreie RfickvergroBerungen ermoglichen.
Kopien dienen zur Sicherung des Nachlasses, sic
k6nnen und sollen nicht grundsatzlich als vollwer-
tiger Ersatz der Originale angesehen werden. Ftir
wissenschaftliche Arbeiteh werden die Originale zur
Verfiigung stehen. Dennoch konnen nicht von vorn-
herein bestimmte Falle ausgeschlossen werden, in
denen man sich nur mit Mikrofilmen behelfen mull.
Sic mtissen dann so weit vie moglich Anforderungen
erftillen, die bei Editionen gestellt werden. Zu-
mindest sollten die Fehlerquellen ausgeschaltet
werden, die bei routinemaBiger Registrierung er-
fahrungsgemaB zahlreich sind. Bei insgesamt vier
Oberprilfungen wahrend der gesamten Prozedur
kann man wohl damit rechnen, daB kaum Fehler
unentdeckt geblieben sind.
Jede Filmrolle beginnt mit Aufnahmen ihres In-
haltsverzeichnisses und eines Protokolls, das An-
gaben fiber den Zeitpunkt, fiber Art und Weise der
Herstellung, tiber die Ergebnisse der letzten Kon-
trolle sowie Bestimmungen fiber die Benutzung der
Mime enthalt.
Im Friihjahr 1957 begann das Archiv eine Film-
kartei anzulegen, in der mappenweise Blatt far Blatt
der Manuskripte mit Angaben aber den Inhalt auf-
geftihrt wird. Diese Kartei wird mikrofIlmiert den
Filmserien beigegeben. Die Tresorraume mit den
Duplikatffimen werden so mehr und mehr zur Ko-
pie des gesamten Archivs. Sollten also an einem
Aufbewahrungsort Verluste eintreten, konnte an
anderer Stelle jedes einzelne Objekt des Nachlasses
genau bezeichnet werden und ware sofort verffig-
bar. Angefangene Arbeiten mtiBten dann nicht neu
begonnen, sondern konnten weitergefiihrt werden.
Die Kartei ist bereits jetzt eines der wichtigsten
Hilfsmittel fur die laufende Archivarbeit. Das Su-
chen und Auffinden beispielsweise eines Gedichts
mit alien, an vielen Stellen des Nachlasses befind-
lichen Bruchstticken, Entwtirfen, Notizen und an-
deren Unterlagen macht heute kaum noch Mtihe.
Spater bekommt jedes Manuskript eine besondere
Karteikarte. Nach AbschluB der Katalogisierung
soil jedes Objekt in verschiedenen Suchsystemen
auffindbar sem.
Von Beginn der Arbeit an war daran gedacht, die
wertvollen Originalmanuskripte nicht ftir dauernd
in einer Wohnung aufzubewahren, die vielerlei Ge-
fahren ausgesetzt ist. An ihre Stelle sollten die Ko-
pien treten. Deshalb wurden gleichzeitig mit den
bisher beschriebenen Arbeiten RtickvergroBerungen
von den Mikroffimen in einem modern ausgestatteten
eigenen Labor hergestellt. Taglich konnen etwa 400
Photokopien als Ersatz ftir Originalblatter eingeord-
net werden. Aus Raumgriinden und veil die bei
Brecht vorherrschende Schreibmaschinenschrift im
allgemeinen eine Verkleinerung der Originale ge-
stattet, ohne daB sic dadurch an Lesbarkeit em-
bilBen, wurde als Format der Kopien DIN A 5
festgelegt. Im November 195'7 begann die Auslage-
rung der inzwischen registrierten Originalmanu-
skripte in einen Tieftresor, soweit sic augenblicklich
zu speziellen Arbeiten nicht benotigt werden und
sobald Photokopien von ihnen existieren. F?r wissen-
schaftliche Arbeiten stehen die Originale zur Ver-
ffigung.
Der teilweise sehr schlechte Zustand der Originale
bot bei der Arbeit Schwierigkeiten besonderer Art.
Aus dem Rahmen fallende Formate, unterschiedliche
Schriftfarben, verschiedenfarbige und verschieden-
starke Papiere, von Brecht bevorzugte haufig bei-
nahe farblose Farbbander, doppelseitig beschriebene
und durchscheinende Originale, Papiere mit Wasser-
flecken und mit teilweise schweren Beschadigungen
brachten standig neue Probleme. Hinzu kommt, daB
das Bertolt-Brecht-Archiv kein totes Archiv ist.
Standig wurde Material ftir die im Druck befind-
lichen ?Stticke", fiir die Vorbereitung einer Gesamt-
ausgabe der Gedichte und fur andere Veroffent-
lichungen, aber auch fiir die Arbeit des Berliner
Ensembles und andere Theater benotigt und aus-
gezogen. Insofern war eine ungestorte Reihenarbeit
nicht moglich, aber das Archiv trug so schon im
Entstehungszustand Frtichte. ?
Im Verlaufe eines Jahres wurden rund 1200 Archiv-
mappen mit insgesamt etwa 120 000 Textseiten in
der beschriebenen Weise bearbeitet. Dazu zahlen
nun auch schon gedruckte Ausgaben, nicht nur ver-
griffene, sondern teilweise auch gegenwartig erhalt-
liche, sowie Korrekturfahnen aus den Verlagen Bei
dem Streben nach Vollstandigkeit des Archivs wurde
vorausgesetzt, daB dieses Material zu einem spateren
Zeitpunkt ebenso wichtig werden kann, wie die
hand- oder maschinenschriftlichen Archivalien. Fur
die Arbeiten an der historisch-kritischen Gesamt-
ausgabe steht ihre Bedeutung schon heute fest.
Neben diesen als vordringlich behandelten Aufgaben
wurden eine Reihe anderer Arbeiten durch Mit-
arbeiter des Archivs erledigt: im Archiv wurden
alle Schallplatten gesammelt, die mit Darbietungen
aus Werken Brechts bespielt wurden. AuBerdem ist
man berniiht, alle Rundfunksendungen mit Brecht-
Programmen entweder selbst aufzunehmen oder
Umschnitte aus den Rundfunkstudios zu besorgen.
Wegen der Beschaffung fraherer Aufnahmen besteht
Verbindung mit Schallarchiven in. beiden Teilen
Deutschlands. Das Tonbandarchiv enthalt eine
Kopie aller Aufnahmen, die im Berliner Ensemble
hergestellt wurden. Darunter beflnden sich Mit-
schnitte ganzer Auffiihrungen von Stticken Brechts
unter seiner Regie in seinem Theater. Das Berliner
Ensemble ist angeregt worden, weiterhin urkund-
liches Material herzustellen. Denn hier vie auch
bei alien anderen Vorha-ben des Bertolt-Brecht-
Archivs wird der Plan verfolgt, die Sammlung von
Material zur Wirkungsgeschichte der Arbeiten
Brechts fortzusetzen.
Ein besonders wertvoller Besitz des Archivs sind
Tonbandaufnahmen von der Probenarbeit Bertolt
Brechts bei seinen letzten beiden groBen Inszenie-
rungen ?Der kaukasische Kreidekreis" und ?Leben
des Galilei". Diese Art von Dokumentation, bei der
Inszenierung des Sttickes ?Der kaukasische Kreide-
kreis" zum ersten Male ausprobiert ? zum ersten
Male vielleicht auch in der Geschichte des Thea-
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MITTEILUNGS13LATT 4. Jahrgang, Heft 1/2/3
ters wurde bei der Inszenierung von ?Leben des
Galilei" vervollkommnet. Mikrophone standen am
Regietisch und atlf der Biihne, so daB der ganze
Verlauf der Probe akustisch festgehalten wurde.
Beim ?Leben des Galilei" hanen die Bander eine
Laufzeit von insgesamt . rund 140 Stunden. In.
zwischen ist nicht nur eine Kopie angefertigt wor-
den, die getrennt vom Original aufbewahrt wird,
sondern auch em n Umschnitt, wobei aus dem chro-
nologischen Probenablauf eine Reihenfolge nach Akten
und Szenen hergestellt wurde. Damit lessen sich
Veranderung und Entwicklung einzelner Teile des
Sttickes wahrend der Theaterarbeit verfolgen. Der
praktische Wert hat sich bereits erwiesen, als Erich
Engel die Regie tibernahm und sich exakt Ober die
Arbeit Brechts orientieren konnte. Eine grol3e, kom-
plizierte, aber nahezu fertiggestellte Arbeit ist die
Transkription der Tonbander ? mehr als 1000
Schreibmaschinenseiten, wobei die schriftliche Fixie-
rung sich auf Arbeitsanweisungen und Diskussionen
beschrankt, Textstellen des Stackes aber nur an-
merkt.
In der Bibliothek wurde mit der Bestandsaufnahme
und Registrierung eller Bacher begonnen, die sich
in Brechts Besitz befanden. Auf den Karteikarten
werden eventuell vorhandene Notizen Brechts ver-
merkt, auch Angaben, wo sich Lesezeichen, haufig
Bridle, befanden. Ihr Inhalt und besonders ihr Da-
turn kann far die spatere Forschung unter Um-
standen aufschltifireich sein.
Eine besondere Arbeit ist der Aufbau einer Biblio-
thek mit Originalbelegen eller gedruckten Brecht-
Schriften. Er selbst hat leider nur eine unvollstan-
dige Sammlung hinterlassen. Sie konnte erganzt
werden, aber konsequent ist diese Abteilung noch
nicht bearbeitet worden.
Zeitungsausschnittbilros in der Deutschen Demo-
kratischen Republik und in der Bundesrepublik
schicken laufend Kritiken Ober Auffilhrungen
Brechtscher Stacke, Rezensionen ilber erschienene
Bucher und andere Aufsatze oder Notizen ilber
Brecht. Veroffentlichungen in Tagesschriften geraten
erfahrungsgemaB schnell in Vergessenheit und sind
dann verhaltnismaBig schwer zu beschaffen. Diese
Abteilung wird deshalb schon jetzt sorgfaltig be-
arbeitet. Sobald die Mikrofllmierung der Schriften
Brechts abgeschlossen ist. wird auch die Sekundar-
literatur photographiert und ebenso behandelt wie
alle anderen Archivalien.
In der Abteilung Bibliographie wird ? im Augen-
blick nur sporadisch ? an der Zusammenstellung
des Amerikaners Walter Nubel gearbeitet, die im
2. Sonderheft ?Berton Brecht" der Zeitschrift ?Sinn
und Form" 1957 veroffentlicht wurde. Spater soil
eine direkte Zusammenarbeit angestrebt werden.
Beim Aufbau der Photbabteilung hat sich das Archiv
bisher hauptsachlich auf die im Nachlal3 vorhan-
denen Bilder beschrankt. Unterstatzung erhalt es
durch das groBe Photoarchiv des Berliner Ensembles,
in dem jede Auffiihrung in Tausenden von Auf-
nehmen festgehalten wird, und durch die Privet-
archive der Mitarbeiterinnen Brechts, Ruth Berlau
und Gerda Goedhard.
Far die Sammlung von Unterlagen fiber die prak-
tische Theaterarbeit an Stticken Brechts besteht
Verbindung mit den Btihnenvertrieben im In- und
Ausland und mit den Theatern, die Stacke von
Brecht auffahren. Das Archiv laBt sich eingestri-
chene Textbucher, Musikbearbeitungen, Programm-
hefte, Plakate, Photos, Kritiken und anderes Ma-
terial schicken, das Ober die Arbeit unterrichtet.
Immer haufiger wird das Archly von Institutionen
und Einzelpersonen far Ausktinfte in Anspruch ge-
nommen. Obwohl das Archiv voraussichtlich erst
Mitte 1958 far wissenschaftliche und ktinstlerische
Arbeiten allgemein zuganglich gemacht werden
kann, gibt es Ausnahmen doch schon jetzt. Verfasser
von Arbeiten tiber.Bertolt Brecht arbeiten im Ar-
chiv. Soweit moglich, wurden auch Staatsexamens-
kandidaten und Doktoranden in den Kreis jener
Personen eingeschlossen, denen eine Ausnahme-
genehmigung erteilt wird, wenn Veroffentlichungen
tiber Brecht durch Mitteilung von Fakten unter-
stiltzt werden k6nnen.
Selbstverstandlich bestehen enge arbeitsmal3ige Ver-
bindungen mit dem Berliner Ensemble. Regisseure,
Dramaturgen und Assistenten des Theaters konnen
jetzt jederzeit Material oder Informationen aus dem
Bertolt-Brecht-Archiv beschaffen. AuBerdem ist der
Leiter des Archivs gleichzeitig Mitarbeiter des Ber-
liner Ensembles.
Erwahnenswert sind literatur- und theaterwissen-
schaftliche Vortrage fiber Bertolt Brecht bei kul-
turellen Veranstaltungen, in Universitaten, Schulen,
Betrieben, vor Besucherraten der Theater, Theater-
zirkeln und anderen Interessenten. Im Frahjahr
1957 wurden Vortrage und Kurse vor schwedischen,
finnischen und norwegischen Studenten gehalten.
Far 1958 liegt abermals eine Einladung aus Skan-
dinavien vor. Viele Gaste aus dem Ausland, zum
Beispiel aus der Sowjetunion und den Volksdemo-
kratien, aus den skandinavischen Landern. den Ver-
einigten Staaten, aus England, Frankreich, Holland
und sogar aus Landern Stidamerikas, zeigten ihr
Interesse an Brecht durch einen Besuch im Archiv.
Der zusammenfassende Bericht fiber die Arbeit des
Bertolt-Brecht-Archivs schlieSt mit dem 13. Januar
1958 ab, er umfaBt 13 1/..: Monate Arbeit. DaB am
Ende dieser Arbeitsperiode em n so wichtiger und
umfangreicher literarischer NachlaB der Forschung
zur Verftigung gestellt werden kann ? eineinhalb
Jahre nach dem Tode des Autors ? ist in der Ge-
schichte der deutsch-sprachigen Literatur ohne Bei-
spiel.
III. Die Arbeitsgruppe ?Historisch-kritische
Ausgabe' der Schriften Bertolts Brechts"
Nach zahlreichen Vorbesprechungen hatte Helene
Weigel Ende des vergangenen Jahres mit dem Mi-
nisterium far Kultur der Deutschen Demokratischen
Republik, der Deutschen Akademie der Ktinste, der
Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
und dem Akademie-Verlag Ober eine historisch-
kritische Ausgabe der Schriften Bertolt Brechts ver-
hancielt. Gleichzeitig waren die Herren Professoren
Beifiner, T?bingen, und Grumach, Berlin, gebeten
worden, der groBen Aufgabe als editorische Berater
zur Seite zu stehen. Brechts alter Verleger Peter
Suhrkamp stellte uneigenntitzig seine Verlagsrechte
in den Dienst der Sache. Professor Steinitz als
Vizeprasident der Deutschen Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin und Professor Grumach ver-
traten ? nachdem sie sich von den guten Voraus-
setzungen fur eine solche Arbeit tiberzeugt hatten
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILUNGSBLATT
das Vorhaben vor dem Prasidium der Akademie der
Wissenschaften und vor dem Institut far deutsche
Sprache und Literatur. Noch im Dezember 1957 lagen
die Zusagen far Unterstiitzung und direkte Mithilfe
an der Ausgabe vor.
Es ist von historischer Bedeutung, daB anderthalb
Jahre nach dem Tode eines Schriftstellers damit
begonnen wird, einen historisch-kritischen Text her-
zustellen und der Offentlichkeit zu ilbergeben. 1795
hatte Goethe angeregt, durch Vergleichung der
samtlichen Ausgaben Wielands ?allein aus den
slufenweisen Korrekturen dieses unermtidet zum
Bessern arbeitenden Schriftstellers die ganze Lehre
des Geschmacks" zu entwickeln. Aber erst 90 Jahre
spater nahm die Akademie kritische Editionen von
Meisterwerken der neueren deutschen Literatur in
ihr Programm auf, und Goethe selbst war mehr als
fanfzig Jahre tot, als die bertihmte Weimarer
Sophienausgabe begonnen wurde. Der erste Band
der historisch-kritischen Wielandausgabe erschien
sogar fast hundert Jahre nach Wielands Tod. Ahn-
lich viel Zeit verging auch bei den meisten anderen
kritischen Editionen. Die lenge Vorbereitungs- und
Arbeitszeit beruht nicht nur darauf, daB das zu sich-
tende Material von groBem AusmaB war, sondern
eher, (la es verstreut worden, durch politische oder
private Entscheidungen auseinandergerissen oder
jedenfalls nicht zuganglich war und daB es groBer
Mahe und langer Zeit bedurfte, bis die Bearbeiter
es ilberliefert bekamen. Bei der Brecht-Edition tritt
zum ersten Male der besondere Fall ein, daB die
Bearbeiter seine Zeitgenossen, ja seine Mitarbeiter
waren, so vor allem Elisabeth Hauptmann. Sic
kannten ihn und seine Arbeitsweise, und sie wissen
fiber Einzelheiten von Arbeiten Bescheid und Ober
Zusammenhange, die spater unwiederbringlich ver-
loren waren. Ein Versuch, die Entstehung eines Ge-
dichtes zu datieren oder die Folge verschiedener
Korrekturschichten festzulegen, wtirde eine Gene-
ration spater leicht zur Spekulation ausarten.
Es ist ein gliicklicher Umstand fiir die Ausgabe, daB
mit Friedrich Beifiner und Ernst Grumach Fach-
leute als editorische Berater gewonnen wurden, die
sich von der friiheren positivistischen Editions-
methode abgewandt haben und neue Wege gegangen
sind. Gerade an den von ihnen betreuten historisch-
kritischen Ausgaben der Werke Holderlins und
Goethes kann man ablesen, daB zwar bestimmte
Sigeln und Kennzeichen und die Art ihrer Anwen-
dung abernommen werden konnen ? oder fiber-
nommen werden sollten, urn nicht jede Edition zu
einem neuen Geheimbuch zu machen ? daB aber
doch jede Edition auch die Darstellung und Wieder-
gabe des Werkes eines bestimmten Dichters und
seiner Schaffensmethode sein muB. So wird die
Brecht-Ausgabe sich der Erfahrungen Beifiners und
Grumachs bedienen konnen und gleichzeitig den
dialektischen Arbeitsproza Bertolt Brechts wieder-
geben milssen.
Die Herausgabe der Schriften Brechts, deren Urn-
fang zunlichst auf 25 Bande geschatzt wird, sollen
im Auftrage der Deutschen Akademie der Ktinste
und der Deutschen Akademie der Wissenschaften
Helene Weigel und Elisabeth Hauptmann besorgen.
Eine Arbeitsgruppe junger Wissenschaftler und Re-
dakteure wird unter Anleitung einzelne Projekte be-
arbeiten. Die Akademie der Wissenschaften wird
29
auf3erdem Assistenten zur Verfilgung stellen konnen.
Zweimal im Jahre findet eine eingehende Bespre-
chung mit den editorischen Beratern statt. Zu diesen
Beratungen werden auch die Verleger Brechts hinzu-
gezogen. Freunde und Mitarbeiter Brechts werden
um Unterstiitzung hinsichtlich der Lebensperioden
Brechts, in denen sie zusammen mit ihm tatig waren,
gebeten werden. Arbeitsort wird das Bertolt-Brecht-
Archiv sein.
Helene Weigel hat sich vorgenommen, die Arbeiten
Brechts vor spateren Legendenbildungen und vor
Falschungen zu schatzen und sie in einer Weise
vorzulegen, die an Klarheit und Methode Brecht
entspricht.
Es 1st vorgesehen, im Verlaufe dieses Jahres ver-
schiedene Modelle anzufertigen, urn praktikable
Moglichkeiten filr die Form dieses komplizierten
Unternehmens zu linden. Es ertibrigt sich deshalb,
hier auf bisherige Vorschlage, seien sie noch so inten-
siv begrandet, einzugehen. Ob und wie welt chro-
nologisch aufgebaut werden kann ? vomit der histo-
rische Werdegang und die gesellschaftlichen Ein-
fltisse unterstrichen warden ob und wie welt
nach Gattungen gegliedert werden muB ? well an-
dere Einteilungen spekulativ warden ob es mog-
lich ist, Peter Sultrkamps Vorschlag nachzugehen,
der Brechts eigene Anordnung seiner Schriften in
den ?Versuche"-Heften als Modell empflehlt, alles
das muB praktisch erprobt werden und kann vor-
aussichtlich in etwa einem Jahr beantwortet wer-
den. Brecht pflegte, wenn Schauspieler beim Proben
mit theoretischen Auseinandersetzungen begannen,
zu sagen: ?Halt! Machen Sie's vor!"
Die Grundlinie ist klar. Die Prinzipien der Anord-
nung ? also die Form ? massen aus dem Inhalt
entwickelt werden, namlich aus der Art und Weise
Brechts, die Wirklichkeit zu sehen und zu be-
schreiben. Die Notizen Brechts aber Fragen der Dar-
stellung mtissen studiert werden, seine Arbeits-
methode aus den Tonbandern seiner Probenarbeit
abgeleitet werden und ahnliche Versuche dem Unter-
nehmen vorausgehen. In Erinnerung an die Zu-
sammenarbeit mit Brecht schreibt Lion Feucht-
wanger: ?Brecht selber hielt alles, was er geschaffen
hatte, far em n vorlaufiges, im Entstehen Begriffenes.
Bucher, die er langst hatte drucken lessen, Stticke,
die er unzahlige Male aufgefahrt hatte, waren ihm
doch keineswegs fertig, und gerade jene Werke, die
ihm die liebsten waren, Die heilige Johanna der
Schlachthofe'?Der gute Mensch von Sezuan'?Der
kaukasische Kreidekreis`, betrachtete er als Frag-
mente."
Diese Beobachtung Feuchtwangers, die von anderen
Mitarbeitern bestatigt wird, ist nicht eine Fest-
stellung der Bescheidenheit Brechts. Brechts Kenn-
zeichnung seiner Arbeiten als ?Versuche" war eben-
sowenig bescheiden wie etwa die Aufstellung von
?Modellen" anmaBend war. Hier handelte es qich
lediglich um die faktische tbertragung eines be-
wuBt dialektischen Denkvorgangs in die praktische
Arbeit. Insofern kann die Anlage einer historisch-
kritischen Ausgabe der Schriften Bertolt Brechts
nicht einfach die Form anderer philologischer Ar-
beiten kopieren. Es muB eine Form sein, mit der
Brechts textliche Varianten als Prinzip des Andecns,
des Andern-Konnens und des Andern-Wollens demon-
striert werden.
Declassified in Part - Sanitized Copy Approved for Release ? 50-Yr 2014/05/28: CIA-RDP81-01043R002900200003-1
Declassified in Part - Sanitized Cop Approved for Release ? 50-Yr 2014/05/28: CIA-RDP81-01043R002900200003-1
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MITTEILUNGSBLATT 4. jahrgang, Heft 1/213
Dadurch, dal3 die BeaFbeiter der Brecht-Ausgabe
mit Brecht zusammengearbeitet haben, daB sie an
den Arbeitsprozessen teilgenommen haben und wis-
sen, vie sie stattfanden, scheint es moglich, Ansatze
zu gewinnen, die der Literaturwissenschaft neue
Gesichtspunkte in bezug auf die Anwendung der
dialektischen Methode bei historisch-kritischen
Editionen geben konnen.
Voraussetzungen filr das groBe Vorhaben sind: die
tatkraftige Initiative Helene Weigels und vor allem-
die grazilgige und uneingeschrankte Unterstiitzung
aller Arbeiten durch die Regierung der Deutschen
Demokratischen Republik. Nur in einer sozialisti-
schen Gesellschaftsordnung sind solche Voraus-
setzungen, ideeller und materieller Art, gewahr-
leistet. Anfang Dezember 1957 schrieb der Erste
Sekretar des Zentralkomitees der Sozialistischen
-Einheitspartei Deutschlands an Helene Weigel,
?Das Bertalt-Brecht-Archiv, dessen Einrichtung ich
sehr begrilBe, hat eine groBe wissenschaftliche und
kulturpolitische Aufgabe. Die Sammlung, Sichtung
und Systematisierung des reichen literarischen Erbes
des Genossen Bertolt Brecht mu6 letzten Endes da-
zu dienen, die Werke dieses unermildlichen Streiters
fur Frieden, Demokratie und Sozialismus dem deut-
schen Volke immer mehr zuganglich zu machen. ?
Ich wiinsche Ihnen personliches Wohlergehen und
die besten Erfolge fiir die Arbeit des Bertolt-Brecht-
Archivs. Mit sozialistischem GruB!
gez. W. Ulbricht."
Tagungs- und Reiseborichte
Jubilaumskonferenzen ? Herioperationen ? Apparate
Am .16. 11. 1957, als ich zu einer mehrwochigen
Studienreise in Moskau eintraf, herrschte noch ilber-
all die feierliche Stimmung des 40. Jahrestages der
Grol3en Sozialistischen Oktoberrevolution. Der Hohe-
punkt war die Verlaindung des Manifestes des
Friedens der Vertreter von 64 kommunistischen und
Arbeiterparteien, das so tief alle friedliebenden Men-
schen beriihrte.
In dieser Zeit veranstalteten alle wissenschaftlichen
Institutionen, an der Spitze die Akademie der
Wissenschaften der UdSSR, Jubilaumskonferenzen
und Versammlungen, die den Errungenschaften der
sowjetischen Wissenschaft in den letzten 40 Jahren
gewidmet waren. Im Mittelpunkt der Vortrage stan-
den, neben einem historischert Uberblick, die aktu-
ellsten Probleme jeder kulturellen, wissenschaft-
lichen und technischen Fachrichtung. Bemerkens-
wert war bei der sich jeweils anschlieBenden Dis-
kussion der lebhafte Meinungsaustausch und die
Festigkeit, mit welcher jiingere Wissenschaftler
etwaige entgegengesetzte Meinungen vor alteren
Professoren und Akademikern vertraten. Das habe
ich selbst in den zwei Jubilaumskonferenzen des In-
stituts fiir Chirurgie ?A. W. Wischnewski" und des
von Prof. A. N. Bakulew geleiteten Instituts far
Thoraxchirurgie, an denen ich teilgenommen habe,
feststellen konnen.
Diese Konferenzen, an denen sich die hervorragend-
sten Chirurgen aus der Sowjetunion beteiligten,
zeigten, welche Bedeutung dort der sich in voller
Entwicldung befindenden Herzchirurgie beigemessen
wird und welche Riesenfortschritte in den letzten
Jahren erzielt wurden. Am 24. Januar 1958 zeigte
Prof. A. W. Wischnewski in der Moskauer Chirur-
gischen Gesellschaft einen. elfjahrigen Knaben, bei
dem mit Hilfe des neuen sowjetischen Herz-Lungen-
Apparates ?AIK" eine schwierige intracardiale Ope-
ration am ?trockenen Herzen" mit ausgezeichnetem
Ergebnis ausgefilhrt wurde.
Kurz vor meiner Abreise wurde in den Kinotheatern
von Moskau em n neuer Dokumentarfilm ?Filr das
Leben der durch Krankheit zum Siechtum und Tod
Geweihten" gezeigt, der die groBen Erfolge der Herz-
chirurgie popularisiert. Dieser Film, der unter der
Mitarbeit und der wissenschaftlichen Kontrolle der
Leiter der drei grof3en Herzzentren der Sowjetunion
(Bakulew, Wischnewski, Kuprijanow) gedreht wurde,
zeigt nicht nur die hohen medizinischen Laistungen,
sondern auch, mit welchem Verantwortungsgeffihl
dnd Menschentum an die Ausfiihrung und Entwick-
lung der Herzoperationen herangegangen wird. Weg-
weiser ist auch hier, vie in jeder neuen Spezial-
richtung der sowjetischen Medizin, die Ausarbeitung
der physiologischen Grundlagen und die Achtung
vor dem Leben des Einzelnen.
Meine Studienreise hatte eine sehr konkrete und
spezialisierte Aufgabe. Ich wollte die Hauptinstitute
und Laboratorien besuchen, die im Rahmen ihrer
Forschungstatigkeit ? direkt oder indirekt ? das
Problem der chirurgischen Behandlung der In-
suffizienz der KranzgefaBe des Herzens, das das
zentrale Forschungsthema unserer Arbeitsstelle
ist ? bearbeiten. Die Hauptaufmerksamkeit richtete
sich dabei auf die Herstellung von personlichen
Kontakten, die den Weg fur kiinftige Zusammen-
arbeit und regelmaBigen Erfahrungsaustausch an-
bahnen sollten.
In glen groBen medizinischen Forschungszentren
der Welt wird an dem Problem der Entstehung und
.Behandlung der Coronarinsuffizienz, an der jahr-
lich Hunderttausende Menschen ? oft im Hohe-
punkt ihres Schaffens ? sterben, gearbeitet. Nach
der letzten Aufstellung der Forschungsplane der
Akademie der Medizinischen Wissenschaften und des
Ministeriums filr Gesundheitsschutz der Sowjet-
union sind 108 medizinische Forschungsstellen mit
der Bearbeitung von Problemen fiber Atheroskle-
rose, Bluthochdruck und Insuffizienz der Kranz-
gefaBe planmaBig beauftragt.
Die sowjetische Gastfreundschaft, die sich fiberall
und in alien AuBerungen kundgibt, offnet jedem,
der mit bestimmten Forschungsinteressen dieses auf
Hochtouren schaffende Riesenland besucht, alle
Tiiren und gibt ihm jede Moglichkeit, aus der Mlle
und mit alien Details das zu sehen, was ihn inter-
essiert.
4. Jahrgang, Heft 1/213
MITTEILUNGSBLATT
31
Man mull aber vorher gewissermaBen wissen, wo
man suchen mull, was man speziell braucht. Sonst
ist die Zeit ? wenn auch die Studienreise wie die
meinige mehrere Wochen dauert und sich auf Mos-
kau und Leningrad beschrankt, viel zu kurz. Vorher-
gehende ausreichende Orientierung fiber die dies-
beztigliche sowjetische Literatur erleichtert die ge-
stellte Aufgabe sehr.
Die ausfuhrliche Darlegung der Eindracke und der
Ergebnisse meiner Studienreise gehort nicht in den
Rahmen dieser kurzen Mitteilung. Hier will ich vor
allem hervorheben, vie sich auch in den medizi-
nischen Kreisen der Sowjetunion die Bereitschaft
zur Zusammenarbeit und Offenherzigkeit bei der
Besprechung von Forschungsthemata kundgibt. ?Wir
zeigen Ihnen alles, was Sic interessiert." Das war
das Motiv, mit welchem wir empfangen wurden.
Und tiberall begegnete ich der gleichen freundlichen
Aufnahme und der auBerordentlich verpflichtenden
Bereitschaft, auf alle mich interessierenden Fragen
einzugehen.
Ein Beispiel dal& mbchte ich aus dem Forschungs-
institut, das mit der Vervollkommnung, dem Ent-
wurf und der Konstruktion der verschiedensten In-
strumente und Apparate filr die gesamte experi-
mentelle und klinische Medizin beauftragt ist, geben.
Dieses Institut, in dem 450 Mediziner, Ingenieure
und Techniker eng zusammenarbeiten, stellt in
seiner Struktur und in seiner Leistung em n in der
Welt einzigartiges Forschungszentrum dar. Sein
Direktor, M. G. Ananjew, sagte uns charakteristisch:
?Hier entsteht aus der engen Zusammenarbeit des
Mediziners und des Ingenieurs eine neue wissen-
schaftliche ,Hybride`."
Im Institut wird unter vielen anderen ? von den
einfachsten blutstillenden Instrumenten bis zu den
kompliziertesten Apparaten filr extrakorporalen
Kreislauf, fiir Elektronarkose, ftir simultane intra-
kardiale EKG und Blutdruckregistrierung usw. ?
das letzte Modell (Al 625 und Al 635) eines GefaB-
nahapparates entwickelt. Mit ihm kann man nach
einer Vorbereitung, die bei einiger Ubung nicht
langer als 1-2 Minuten dauert, durch einfache Be-
dienung eines Hebels die vollkommen sichere Ver-
einigung von Gefaf3en verschiedenen Kalibers mit
haarfeinen (.er 0,1-0,2 mm) Tantalum-Klammerchen
erreichen. Der Wert dieses GefaBnahapparates ist
filr das Einsetzen von Gefalltransplantaten und Pro-
thesen zur nberbrfickung von GefaBdefekten, die
durch Trauma oder durch Erkrankungen entstanden
sind, zur Blutumleitung bei Behinderung des Kreis-
laufes und vor allem zur Transplantation von lebens-
wichtigen Organen unschatzbar. Als der Direktor
des Instituts von meinem Wunsch erfuhr, die Be-
dienung des Apparates und. seine vielfaltige An-
wendung genau kennenzulernen, ,gab er mir durch
Tierexperiment die Mbglichkeit, mich mit der An-
wendung vertraut zu machen.
Ein anderes Beispiel filr die auBerordentlich freund-
liche Aufnahme war der Empfang im Laboratorium
fur Organtransplantationen des I. Medizinischen
Instituts in Moskau. Leiter dieser Arbeitsstelle ist
der bekannte sowjetische Experimentator W. P. De-
michow, der. sich seit vielen Jahren besonders mit
dem Problem der Herztransplantation an Hunden
beschfiftigt. Ihm ist es gelungen, Hunde mit zwei
arbeitenden Herzen ? dem eigenen und dem trans-
plantierten ? bis zu 32 Tagen am Leben zu er-
halten. Demichow gab mir die Moglichkeit, ihm bei
der Ausfilhrung dieser hochst interessanten Ver-
suche zu helfen und viele methodische und tech-
nische Einzelheiten, die noch nicht veroffentlicht
sind, kennenzulernen.
Ich konnte viele solcher-Beispiele anfiihren. Im In-
stitut fiir normale pathologische Physiologic (Leiter:
Prof. Tschernigowski), f?r Pharmakologie und ex-
perimentelle Chemotherapie (Leiter: Prof. Zakus-
sow) im Institut fiir Therapie (Leiter: Prof. A. Mias-
nikow), im Institut zur Wiederbelebung (Leiter:
Prof. W. A. Negowski) und in vielen anderen In-
stituten der Akademie der Medizinischen Wissen-
schaften setzte man Experimente zur Demonstration
spezieller Methodik 'lir die Bestimmung der Durch-
blutung und der Reaktion der KranzgefaBe des
Herzens bei verschiedenen Versuchsbedingungen an.
Man mull in der Sowjetunion die groBe Anzahl der
wissenschaftlichen Kader bewundern, die sich bei
einer sehr grundlichen allgemeinen medizinisch-
biologischen Ausbildung der Aneignung und Ent-
wicklung ganz spezieller Methodik und experimen-
teller Technik widmen. Infolge der hohen Ent-
wicklung der apparativen GefaBnaht, die wir bereits
erwahnten, der Konstruktion spezieller Apparate,
wie des ?S B ?3" von S. S. Briuchonenko zur Blut-
versorgung isolierter Organe wahrend mehrerer
Tage, sind in der Sowjetunion alle technischen Vor-
aussetzungen fiir die Transplantation lebenswich-
tiger Organe und Extremitaten vollkommen aus-
gearbeitet. Die praktischen Ergebnisse scheitern nur
an den zur Zeit noch uniiberwindlichen Schwierig-
keiten immunbiologischer Natur.
Dieser kurze Bericht sollte an Hand einiger charak-
teristischer Beispiele zeigen, welche ? meiner An-
sicht nach bei weitem noch nicht vollig aus-
genutzte ? Moglichkeiten fiir eine fruchtbare Zu-
sammenarbeit mit unseren sowjetischen Freunden
und Kollegen in den verschiedenen Fachrichtungen
der Medizin vorhanden sind. Dabei glaube ich, daB
es nicht ganz richtig ist, wenn man sich hier ledig-
lich auf die Wege, die durch die offiziellen Ab-
kommen zwischen den zustandigen Institutionen an-
gebahnt werden, beschrankt. .Die perstinliche Ini-
tiative und die Kontakte mit den einzelnen Grup-
pen, die verwandte Probleme bearbeiten, sind emn
ebenso wichtiger, ich mochte fast sagen, uner1513-
licher Weg zur Verwirklichung konkreter, plan-
maBiger Zusammenarbeit. So lernt man sich besser
kennen und vertieft auf reeller Basis die gegen-
seitige Hochschatzung und Freundschaft.
Prof. Dr. Petro Kokkalis
Arbeitsstelle fur Kreislaufforschung
Leiter der Arbeitsgruppe fiir experimentelle
Kreislaufchirurgie
flrI
ssifid in Part SanitizedC Approved for Release ? 50-Yr 2014/05/28 CIA-RDP81-01043R002900200003-1
Declassified in Part- Sanitized Copy Approved for Release ? 50-Yr 2014/05/28: CIA-RDP81-01043R002900200003-1
In!
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MITTEILUNGSBLATT 4. Jahrgang, Heft 1/2/3
5. Arbeitstagung ?Spektroskopie" in Jena
Die Sektion ?Spektroskopie" der Physikalischen Ge-
sellschaft in der Deutschen Demokratischen Repu-
blik (Leiter: Prof. Dr. R. Ritsch/) fahrte vom 14. bis
16. November 1957 in Jena ihre 5. Arbeitstagung
durch, die diesmal unter dem Hauptthema ?Optische
Spektroskopie der Atome" stand. Die spektrosko-
pischen ?Arbeitstagungen in der Deutschen Demo-
kratischen Republik sind nun schon zu einer fest-
stehenden Einrichtung in unserem wissenschaftlichen
Leben geworden, und es hat sich auch bereits emn
gewisser Besucherstamm dieser Tagungen ent-
wickelt, der aber von Mal zu Mal groBer wird. Die
sechs zusammenfassenden Vortrage wurden von
Kollegen aus der Sowjetunion (Prof. Frisch, Lenin-
grad, ?gbergangswahrscheinlichkeiten von Spektral-
linien"), aus der Bundesrepublik (Prof. Kaiser, Dort-
mund, ?Stand der direkten photoelektrischen Emis-
sionsanalyse", Dr. Steudel, Heidelberg, ?Stand der
Hyperfeinstrukturforschung in Atomspektren" und
Dr. Holdt, Stuttgart, ?Statistische Bearbeitung spek-
trochemischer ,Intensitatsmessungen") und aus der
Deutschen Demokratischen Republik (Prof. Dr.
Leutwein, Freiberg, ?Anregungsbedingungen und
Lichtquellen filr die spektrochemische Emissions-
analyse" und Prof. Jager, Potsdam, ?Spektroskopie
solarer und stellarer Magnetfelder") gehalten. Neben
diesen Themen aus der optischen Atomspektro-
skopie einschlieBlich der Astrophysik wurden in den
Einzelvortragen, der Einladung entsprechend, auch
solche tiber Molektilspektroskopie im Ultraviolett,
im Sichtbaren und im Infrarot, Ober Ramanspektro-
skopie, Rontgenspektroskopie, Kristallspektroskopie,
Mikrowellenspektroskopie und paramagnetische
Elektronenresonanz vorgetragen. Von den insgesamt
gehaltenen 35 Vortragen, unter denen Beitrage aus
der UdSSR, aus Polen, der Tschechoslowakei, aus
Ungarn und Bulgarien waren, stammten allein 7 aus
dem Institut filr Optik und Spektroskopie der Deut-
schenAkademie der Wissenschaften zu Berlin in BerlinAdlershof, das Anfang dieses Jahres auf sein 10jah-
riges Bestehen zurtickblicken konnte. Diese Arbeiten
betrafen u. a. Untersuchungen der Linienform und
Intensitatsverteilung im Spektrum von Raman-
brennern mit Hilfe eines der ersten optischen Plan-
gitter aus der Produktion des VEB Carl ZeiB, Jena,
das auf der vorigen Spektroskopie-Tagung dem In-
stitut von Herrn Prof. Dr. P. Gorlich zur Benutzung
ilbergeben worden war. Dieses Gitter zeigt in der
6. Ordnung em n Auflasungsvermagen von fast 200 000,
so daI3 die Hyperfeinstruktur der untersuchten
Quecksilberlinien bereits weitgehend aufgelost wer-
den kann. Die untersuchten Ramanbrenner stellen
eine Neuentwicklung des Instituts in Zusammen-
arbeit mit der Firma Hopfel, Leipzig, dar. Sie
zeichnen sich durch groBe Linienscharfe, hohen
Lichtstrom und em vereinfachtes Zandsystem aus
und erweckten bei ihrer Vorftihrung auf der Ta-
gung lebhaftes Interesse der Wissenschaftler und
Praktiker. Weitere Arbeiten aus dem Institut far
Optik und Spektroskopie, die vorgetragen wurden,
betrafen die Aufzehrung und Diffusion yon Helium
durch Glas, eine Erscheinung, die bei der Spektral-
analyse von Edelgasgemischen eine wichtige Rolle
spielt und auch far die Physik des Glases von Be-
deutung ist. Sto3vorgange in Edelgasgemischen bei
der Glimmentladung wurden im Hinblick auf die
Energietibertragung von angeregten Atomen spektro-
skopisch untersucht. Mit dem neuen selbstregistrie-
renden Infrarotspektrometer UR 10 des Instituts,
das ebenfalls aus der ZeiB-Produktion stammt, wur-
den Banden des OH-Radikals in LIF-Kristallen nach-
gewiesen. Diese Kristalle wurden im Labor far
Kristallspektroskopie des Instituts nach verschie-
denen Ziichtungsverfahren in vorztiglicher Reinheit
hergestellt. Die Aufklarung des Ursprungs dieser
starenden Bande bei 2,8 it ftihrte zur Aufflndung
von Methoden ihrer Vermeidung durch geeignete
Zilch tu ngsb ed ingungen. ?
Interessant waren auch Beitrage fiber Untersuchun-
gen, die im Potsdamer Astrophysikalischen Obser-
vatorium mit einem Beugungsgitter hergestellt wur-
den, das aus dem Optischen Institut Leningrad
stammt und der Deutschen Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin geschenkt worden ist. Mit ihm
konnten u. a. Turbulenzvorgange der Sonne im Detail
untersucht werden.
Aus Platzmangel konnen hier nicht elle Vortrage
referiert werden. Sic betrafen teils apparative, teils
methodische Fortschritte der Spektroskopie, teils auch
Ergebnisse der angewandten und der Grundlagen-
forschung und zeigten die vielseitige Anwendung
der Spektroskopie in Wissenschaft und Praxis. Die
Tagung selbst hatte ihren Wert auBer in der Ver-
mittlung der Forschungsergebnisse spektroskopischer
Art ebensosehr in der Moglichkeit des personlichen
Kontaktes zwischen den Fachkollegen der beteilig-
ten Lander. Wahrend die Sitzungen in dem schonen
neuen physikalischen Institut der Universitat Jena
stattfanden und auch Gelegenheit geboten war, die
Einrichtungen und Erzeugnisse der ortlichen op-
tischen Industrie kennenzulernen, fand die Unter-
bringung der Teilnehmer in Weimar statt, wo bessere
Quartiermoglichkeiten vorhanden sind. Auch von
dieser Stadt und ihren Kulturdenkmalern konnten
die Tagungsteilnehmer einige Eindrticke mitnehmen,
und am letzten Tag vereinte em n gemeinsamer Auto-
bus-Ausflug deutsche und auslandische Kollegen zu
einer anregenden Fahrt durch das Schwarzatal mit
Besichtigung der Heidecksburg in Rudolstadt und
der schonen Klosterruine Paulinzella.
Prof. Dr. Rudolf Ritschl
Institut fur Optik und Spektroskopie
Stellvertretender Direktor
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEIL UN G SBLATT
Eine wissenschaftliche Tagung von weittragender Bedeutung
Das Institut far Ernahrung in Potsdam-Rehbrticke
ist mit seinen Arbeiten auf dem Gebiet der Vitamine
vor em n internationales Forum getreten. Die deutsche
Akademie der Wissenschaften zu Berlin, der das
Institut angehort, veranstaltete in der Zeit vom 20.
bis 22. Januar em n Vitamin-Symposion, zu welchem
Forscher aus ganz Deutschland, aus der UdSSR und
aus den Volksrepubliken CSR, Polen und Rumanien
geladen und erschienen waren. Unter ihnen befanden
sich u. a. die Herren Prof. Dr. W. Stepp (M?nchen),
Prof. Dr. J. Kiihnau (Hamburg), Prof. Dr. Glatzel
(Dortmund), Prof. Bukin (Moskau), Prof. Jefremow
(Moskau), Prof. Jakowlew (Leningrad), Prof. Tsclza-
kowetz (Kiew), Dozent Dr. Malek (Prag), Prof. Dr.
Janicki (Poznan) und Prof. Dr. Nitzescu (Bukarest).
Aus der Deutschen Demokratischen Republik nah-
men an dem Symposion etwa 120 Wissenschaftler
aus Forschungsinstituten, Kliniken und aus der In-
dustrie tell, von denen die Herren Prof. Dr. Neun-
haler (Berlin), Prof. Dr. Weiss (Berlin), Prof. Dr.
Keller (Leipzig), Prof. Dr. Hollmann (Potsdam),
Prof. Dr. Ttiufel (Potsdam-Rehbriicke) und Prof. Dr.
U/mann (Potsdam-Rehbriicke) genannt seien. Zu-
sammen mit den Angehorigen des Instituts fiir Er-
nahrung, die den GroBteil der Vortrage bestritten,
war dieses Forum berufen, in gegenseitigem Er-
fahrungsaustausch em n Bild des heutigen Standes
der Vitaminforschung im Dienste der Volksgesund-
heit zu geben. Die wissenschaftliche Leitung der
Tagung lag in den Handen der Herren Prof. Dr.
K. Lohmann, Sekretar der Klasse fiir Medizin der
Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
und Prasident des Instituts filr Ernahrung und
Dr. H. Gebauer, Institut fiir Ernahrung, Potsdam-
Rehbriicke.
Das Symposion wurde am 20. Januar im Plenarsaal
der Deutschen Akademie der Wissenschaften durch
Herrn Prof. Lohmann mit einer BegrilBungsansprache
eroffnet, in welcher der volkerverbindende Geist
der Wissenschaft zum Ausdruck kam. Ein kurzer
Einfahrungsvortrag des Ersten Direktors des In-
stituts far Ernahrung, Prof. Ttiufel, iiber Vitamine
in Nahrung und Ernahrung umriB nicht nur Ziel
und Zweck des Symposions, sondern unterstrich
auch eindringlich die Wichtigkeit der Vitaminfor-
schung far den Gesundheitszustand der Menschheit.
Nun folgten die speziellen Vortrage des ersten Tages
mit dem Hauptthema ?Vitaminhaushalt und Me-
thodisches". In einem ausgezeichneten Referat be-
handelte Herr Prof. Jefremow (Moskau) das Pro-
blem der optimalen Vitaminversorgung von Ar-
beitern in der Eisenhtittenindustrie. Diese Kategorie
der Schwerstarbeiter bedarf einer besonders sorg-
faltigen arztlichen Betreuung, wobei die richtige
Ernahrung eine entscheidende Rolle spielt. In aus-
gedehnten Reihenuntersuchungen wurden grund-
legende Erkenntnisse daraber in der UdSSR ermittelt.
Herr Dr. Haenel (Institut filr Ernahrung) sprach
Ober die Synthese von Vitaminen durch Bakterien
im Darm von Insekten und Wiederkauern und die
SchluBfolgerungen, die sich daraus ftir den Vitamin-
haushalt des menschlichen Organismus ergeben.
Ober eine selten auftretende Erkrankung, die Sprue,
sprach Herr Dr Gruschwitz (Institut ftir Ernahrung).
33
Da es sich primar um eine Dtinndarminsuffizienz,
sekundar urn Vitaminmangelerscheinungen handelt,
muB bei der Therapie auf zweckentsprechende Er-
nahrung besonderer Wert gelegt werden. Herr Dr.
Selisko (Institut fiir Ernahrung) behandelte das Ge-
biet der Antivitamine im allgemeinen und der Anti-
vitamine E im besonderen. Auf Grund eigener For-
schungen widerlegte er die Anschauung einiger ita-
lienischer und franzosischer Wissenschaftler, wonach
gewisse phenolische Carbonsaureester Anti-E-Wirk-
stoffe sein sollen. Herr Obermedizinalrat Dr. Abs
(Mahlheim/Ruhr) berichtete tiber eine Massenver-
giftung durch Lebern der Eismeerringelrobbe und
Ober die Schaden, die durch eine Hypervitaminose A
verursacht werden. Die Herren Dr. Gebauer, Dr.
Gassmann und Dr. Haenel (samtlich Institut ftir Er-
nahrung) erlauterten in Einzelvortragen die Vor-
und Nachteile der biologischen, der chemischen und
der mikrobiologischen Vitaminbestimmung. Die Vi-
tamine, obwohl im Organismus nur in minimalen
Mengen vorhanden, beeinflussen seine Funktionen
doch in entscheidender Weise. Daher ist die Bestim-
mung dieser Mengen, z. B. fiir diagnostische und
therapeutische Zwecke, unerlaBlich. Die Schwierig-
keit der Messung so kleiner Mengen erfordert die
Heranziehung eller drei genannten Methoden. Im
Institut far Ernahrung sind sowohl Verbesserungen
dieser Methoden, sowie neue MeBmethoden ent-
wickelt worden.
Am Abend des ersten Symposion-Tages vereinte emn
Essen die Vortragenden und die Gaste aus der
Bundesrepublik und dem Ausland im Gastehaus der
Regicrung der Deutschen Demokratischen Republik.
Mehrere Trinksprtiche brachten die Verbundenheit
der Teilnehmer aus Ost und West zum Ausdruck.
Der Vormittag des zweiten Tages war den Vor-
tragen tiber Vitaminversorgung vorbehalten. In
diesem Rahmen sprach Herr Dr. Knapp (Institut far
Ernahrung) aber den Vitamin Bo-Bedarf des gesun-
den und kranken Menschen und kam allgemein zu
dem SchluB, daB in der Ernahrungspraxis die B6-
Zufuhr moglichst hoch zu halten sei. Wegen Er-
krankung des Herrn Dr. Grtife (Institut ftir Ernah-
rung) wurde dessen Vortrag verlesen. Er beinhaltete
Fragen der Vitaminversorgung im Rahmen von Er-
nahrungsbilanzen und stellt Vitaminbedarfsnormen
auf im Sinne der vom Institut angestrebten Ver-
besserung der Volksernahrung im allgemeinen und
der Gemeinschaftsverpflegung im besonderen. Herr
Dozent Dr. Malek (Prag) beleuchtete in aufschluB-
reichen Ausfiihrungen die vielfach umstrittenen Pro-
bleme der Erhaltung des Vitamin C in der Nahrung
sowie der Vitamin-C-Bedarfsnormen. Auf Grund urn-
fangreicher Untersuchungen gibt er den Tagesbedarf
des gesunden, erwachsenen Menschen mit 80-100 mg
an. Herr Dr. Dimitrowski (Moskau) konnte an dem
Symposion nicht teilnehmen, hatte aber gleichwohl
eine Arbeit eingesandt, die zur Vorlesung gebracht
wurde. Sic behandelt den Vitamin A- und Vita-
min D-Bedarf des Menschen. Am Nachmittag des
zweiten Tages wurden spezielle Vitamin-Bestim-
mungsmethoden besprochen. Alle Teilnehmer erhiel-
ten dazu eine Broschtire, die eine Zusammenstellung
der im Institut far Ernahrung ablichen Bestim-
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MITTEILUNGSBLATT
4. Jahrgang, Heft 1/2/3
mungsmethoden (biologisch, mikrobiologisch und
chemisch) der Vitamine A, D, E, B1, B2, Nikotin-
sdureamid und einiger anderer Vitamine der B-Gruppe
enthlilt. 'Ober eine neue chromatographische Me-
thode zur Bestimmung von Rutin (Vitamin P)- in
Buchweizenbldttern sprach Herr Dr. Reinlzercs
(Warschau). AnschlieBend berichtete Herr Dr. Pies-
sing (Institut fiir Ernahrung) fiber die bekanntesten
in der Praxis angewendeten Verfahren zur che-
mischen Bestimmung von Vitamin A sowie fiber
die eigene Arbeitsweise und stellte die gesamte Frage
zur Diskussion. Ober Methoden zur chemischen Be-
stimmung von Vitamin B2 sprach Herr Prof Janicki
(Poznafi), fiber die chemische. Bestimmung von Vita-
min B1, Vitamin B. und Nikotinsdureamid referierte
Herr Dr. Gassmann (Institut fiir Ernahrung). Herr
Dr. Feldheim (Institut f fir Ernahrung) besprach an-
schlieBend die chemische Bestimmung von Vitamin E.
Besonders betonenswert sind die Vortrage von Prof.
Bukin (Moskau) und Prof. Jakowlew (Leningrad)
fiber die Technik der Vitamin-D-Bestimmung im
Serum und fiber den Vitamin C-Bedarf bei Sportlern.
Nach SchluB der Diskussionen bildeten sich jeweils
kleine Gruppen von Teilnehmern, welche die sie
besonders interessierenden Fragen nochmals genau
durchsprachen.
Der dritte und letzte Tag des Symposions sah die
tiberwiegende Mehrzahl der Teilnehmer im Horsaal
des Instituts filr Ernahrung in Potsdam-Rehbriicke.
Nach einleitenden Worten des Herrn Prof. Tituf el,
die mit einer Ehrung des Institutsgriinders Prof.
Scheunert ausklangen, besprach Herr Dipl.-Chem.
Zobet, der Leiter der kochwissenschaftlichen Abtei-
lung des Instituts, Fragen der Ausbildung des Per-
sonals fur Gemeinschaftsverpflegung. Dabei wurde
ilber die Kurse, die das Institut fiir diese Ausbil-
dungszwecke regelmaBig veranstaltet, und fiber
deren Erfolge berichtet sowie die Forderung auf-
gestellt, die Verpflegung arbeitender Menschen aus
Gemeinschaftskiichen miisse laufend und systema-
tisch verbessert werden. Die Herren Tschapke und
Dr. Ackermann (Institut filr Erndhrung) zeigten in
einem Demonstrationsvorgang die chemische und die
biologische Methode zur Vitamin-D-Bestimmung, die
Herren Dr. Haenel und Dr. Knapp (Institut far Er-
nahrung) die mikrobiologische Methode der Bestim-
mung der Vitamin B-Gruppe mit praktischen Vor-
fiihrungen der Testarten und der Auxanographie,
woran sich wieder eine ausfiihrliche und anregende
Diskussion schloB.
In richtiger Erkenntnis des Wertes der Tagung filr
alle Beteiligten wurde beschlossen, von nun an all-
j?lich em n Vitamin-Symposion mit internationaler
Beteiligung und wechselndem Tagungsort abzuhal-
ten. Eine sofort gegriindete Kommission wird die
Voraussetzungen deur schaffen. Informationszentrum
ist das Institut filr Ernahrung in Potsdam-Rehbrucke.
Den Vorsitz bei kiinftigen Tagungen wird jeweils
das gastgebende Land f?hren. Fur 1959 wurde War-
schau als Tagungsort vorgesehen. In jedem betei-
ligten Land wird em n Schriftfuhrer die erforderlichen
Geschafte wahrnehmen. Dai Hauptthema des nach-
Sten Symposions lautet: Die Technologie der Vita-
mine. Mit diesen Beschltissen wurden die wissen-
schaftlichen Erfolge des Symposions gekront und
eine groBangelegte Zusammenarbeit angebahnt, die
dem Geist der Volkerfreundschaft und des Friedens
sowie dem Wohl der Menschheit dienen soil. Diese
Gedanken kamen auch in dem SchluBwort des Herrn
Prof. Dr. Lohmann zum Ausdruck, das mit einem
herzlichen ?Auf Wiedersehen" ausklang.
Dr. Otto Selisko
Institut fiir Ernahrung
Leiter der chemisch-pharmakologischen Abteilung
Gemeinsame Tagung der britischen Clay Minerals Group und der Groupe Francaise
des Argiles
Die Tonmineralforschung hat in den vergangenen
zwei Jahrzehnten vor allem durch den umfassenden
Einsatz rontgenographischer differentialthermoana-
lytischer und elektronenmikroskoPischer Untersu-
chungsmethoden stark an Bedeutung gewonnen. Die
Tonmineralien und ihre Eigenschaften sind dabei
nicht nur vom mineralogischen oder silikatchemi-
schen Standpunkt interessant, sondern von prak-
tischer Bedeutung f?r Bodenkunde, Geologie, Kera-
mik, Erdbau, Zementindustrie und filr verschiedene
Gebiek der chemischen Industrie.
Urn den Erfahrungsaustausch zwischen den auf
diesem Gebiet tatigen Wissenschaftlern zu fordern,
wurden von verschiedenen nationalen mineralo-
gischen Gesellschaften besondere Arbeitsgruppen
fiir Tonmineralfragen gebildet. Die dlteste unter
diesen ist die britische Clay Minerals Group. Mit
dem wachsenden Umfang der Kenntnisse ilber die
Eigenschaften der Tonmineralien ergab sich ? allein
schon wegen der Klarung von Nopenklaturfragen ?
em n dringendes Bedilrfnis nach internationaler Zu-
sammenarbeit. Ein erfreulicher Schritt in dieser
Richtung war nun die gemeinsame Tagung der bri-
tischen Clay Minerals Group und der Groupe Fran-
caise des Argiles, die am 8. November 1957 in den
Raumen der Geological Society of London im Bur-
lington House stattfand. AuBer den Mitgliedern der
beiden veranstaltenden Gremien waren zu der Ta-
gung auch mehrere Vertreter der Tonmineralfor-
scbung aus anderen europaischen Landern erschienen
? Der Chairman, Dr. A. F. Hallimond, ertiffnete die
Tagung und begrilBte die Teilnehmer auf das herz-
lichste. AnschlieBend wurde in zwolf Vortragen fiber
neue Arbeiten auf dem Gebiet der Tonmineralien
berichtet. nber die Einzelheiten der behandelten
PrObleme ist an anderer Stelle schon berichtet wor-
den. Hier sei auf die lebhaften Diskussionen hinge-
wiesen, die sich jedem der Vortrage anschlossen. Da-
bei zeigte sich deutlich, vie wichtig der personliche
Kontakt zwischen den Wissenschaftlern einer ge-
meinsamen Arbeitsrichtung zur Kldrung ihrer Pro-
bleme ist. Es ist dabei em n Vorteil der Tagungen mit
rechtzspezieller Thematik, daB sie, mehr als dies bei
graen Kongressen mtiglich ist, zu einer engen Filh-
lungnahme der Teilnehmer f?hren.
lin in oar+ - nflltl7d CODV Aooroved for Release
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILUNGSBLATT
35
Den Abschluf3 der Vortragssitzung bildete eine Dis-
kussion iiber ?die Klassiflkation der Tonmineralien,
wobei die Benennung einzelner Gruppen und die
Zuordnung der verschiedenen Mineralien erortert
wurden. Klassiflkationsvorschlage waren sowohl von
der britischen vie auch von der,franzosischen Gruppe
erarbeitet worden. Beide Vorschldge wurden zundchst
erldutert. Die Unterschiede in den Ordnungssystemen
wurden sodann nailer er6rtert und von den Ver-
tretern der Gruppen begriindet. Eine endgilltige
Einigung auf eine einheitliche Nomenklatur wurde
jedoch einem internationalen KongreB vorbehalten.
Filr eine internationale Zusammenkunft wurde das
Jahr 1958 in Aussicht genommen.
Nach den Vortragen trafen sich die Teilnehmer zu
einem-gemeinsamen Abendessen im Regents Palace
Hotel.
Am 9. 11. 1957 fand im Zusammenhang mit der Ta-
gung eine Exkursion zu den Tongruben in Surrey
statt. Bei?lanfanglich gutem Wetter ging die Fahrt
im Autobus von London aus iiber Croydon, Epsom
nach Holmwood. Hier; wurden die Tongruben tind
Fabrikationsanlagen der Holmwood Works der Sussex
and Dorking United 'Brick Comp. Ltd. besichtigt.
Das Werk produziert Mauersteine und Dachziegel
in sehr verschiedenen Formaten. Besonders bei den
Steinen fiir Kaminausmauerungen war em n groBer
Formenreichtum zu verzeichnen. Dem englischen
Geschmack entsprechend werden Steine mit ver-
schiedenen Brennfarben hergestellt, so daB man in
den Ausstellungsraumen des Werkes eine ganze
Palette verschiedenfarbiger Steine.bewundernkonnte.
Die Produktionsanlage des schon alten Werkes war
nur teilweise modernisiert worden. So fand man
neuzeitliche Tonaufbereitungsanlagen, Strangpressen
und Tunneltrockner neben traditionellen Ringofen
und einer Handformerei.
Im Gegensatz hierzu arbeiten die Clockhouse Works
der London Brick Comp. Ltd., die im Anschlul3 be-
sichtigt wurden, nach modernsten Methoden. Die
Clockhouse Works, die fiber sehr groBe Tongruben
verfiigen, fertigen ausschlieBlich Hohlblocksteine. Der
ProduktionsprozeB ist soweit vie moglich auto-
matisiert.
Filr die meist geologisch bzw. mineralogisch inter-
essierten Exkursionsteilnehmer gaben einige Mit-
arbeiter der besichtigten Werke Erlduterungen zu
den geologischen Verhdltnissen des Gebietes.
Nach der Besichtigung, die erst bei beginnender
Dunkelheit beendet wurde, kehrten die Teilnehmer
voll von neuen Eindriicken und Anregungen nach
London zuriick.
Insgesamt l?t sich sagen, daB die Tagung vorbild-
lich organisiert war, waiUr vor allem den englischen
Kollegen besonderer Dank gebiihrt.
Besonders erfreulich war, daB durch die zwanglose
Art des Zusammenseins sowohl wahrend des ge-
meinsamen Abendessens als auch wahrend der Ex-
kursion neben dem wissenschaftlichen Meinungs-
austausch auch die personlic.he Fuhlungnahme zwi-
schen den' Menschen der verschiedenen Nationali-
taten gefordert wurde.
Dipl.-Ing. Joachim Wiegmann
Institut fur angewandte? Silikatforschung.
Leiter der Physikalischeri Abteilung ?'
Jena?Moskau--Peking
V om 7. Oktober bis zum 23. November 1957 konnte
ich mit dem Direkhor des Akademie-Instituts fiir
Mikrobiologie und experimentelle Therapie in Jena,
Akademiemitglied Prof. Dr. Hans Knoll, nach Ver-
einbarung der Deutschen Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin mit der Akademie der Wissen-
schaften der UdSSR und der Academia Sinica in
Peking eine Studienreise nach Moskau und China
unternehmen. Der Zweck dieser Studienreise war,
insbesondere auf dem Gebiet der Mikrobiologie und
BCG-Schutzimpfung gegen Tuberkulose, vie auf
dem Gebiet der Geschwulstforschung (vor allem der
experimentellen Geschwulstforschung) nabere Fiih-
lung mit den entsprechenden Forschungsinstituten
aufzunehmen, deren Einrichtungen und Arbeits-
weisen nailer kennenzulernen und vor allem auch
weiteren personlichen Kontakt mit den sowjetischen
und chinesischen Forschern aufzunehmen.
Diese Studienreise ist von den in Betracht kommen-
den Organisationen, vor allem den oben genannten
Akademien, gut vorbereitet und organisiert worden,
so daB, von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen,
die Durchfiihrung des Planes auf beste' erfolgen
konnte. Die Aufnahme in Moskau und in China war
tiberaus herzlich; es kam hinzu, daB zum Beispiel in
Moskau, personliche Bekanntschaft mit einigen For-
schern bestand, die zum Teil schon friiher das In-
stitut' filr-Mikrobiologie und experimentelle Therapie
in Jena besucht hatten. In China kam uns der Urn-
3*
4/05/28 ? CIA RDP81-01043R002900200003-1
stand sehr zugute, dal) in Peking, Hankau und
Shanghai eine grof3ere Anzahl ehemaliger Absolven-
ten der friiheren Tung-Chi-Universitat in Shanghai
? groBtentells sogar meine Schiller aus meiner
frilheren Tatigkeit an dieser Universitat in Shanghai
(1913 bis 1919 und 1935), jetzt in leitenden Stellun-
gen an den Medizinischen Fachschulen tatig waren,
die sich unserer in ganz' besonders herzlicher Weise
annahmen. Wenn auch die' Verstandigung oft in
mehreren Sprachen (besonders Englisch, aber auch
manchmal in Franzosisch) erfolgte, so war doch
in Moskau durch eine vorziiglich deutsch sprechende
Dolmetscherin, in China durch eine englisch sprechende
(die uns auf der ganzen Reise in China begleitete)
die Verstandigung recht gut.
In Moskau haben wir 9 Forschungsinstitute, die teils
der Akademie der Wissenschaften, tells der Aka-
demie der Medizinischen Wissenschaften oder dem
staatlichen Gesundheitswesen unterstehen, besich-
tigen konrien; vor allem die Institute fiir Mikro-
biologie, fiir Antibiotika, vie auch das onkologische
Institut, dem eine kleine klinische Abteilung an-
gegliedert ist. Wenn ich unsere Eindriicke, die wir
bei der Besichtigung dieser Institute und in manch-
mal ausgedehnten Diskussionen mit den sowjeti-
schen Kollegen gewonnen haben, ganz kurz zu-;
sammenfassen darf, so' mochte ich sagen:
Die verschiedenen von uns besichtigten Institute
sind fast alle nicht allzu neuen Datums und im all-
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MITTEILUNGSBLATT
4. Jahrgang, Heft 1/2/3
gemeinen alles andere als iippig eingerichtet, auch
oft im Raume recht beschrankt: Aber wir konnten
feststellen, daB vielfach mit einfachen Mitteln er-
folgreich gearbeitet werden kann. Im Vergleich mit
den Verhaltnissen in der Deutschen Demokratischen
Republik fiel besonders die groBe Anzahl der wissen-
schaftlichen Arbeiter, bei relativ geringer Anzahl
der technischen Hilfskrafte, auf. In vielen Abtei-
lungen werden die Aufgaben von durchschnittlich
wohl viermal so viel akademisch ausgebildeten For-
schern vie etwa im Institut fiir Mikrobiologie und
experimentelle Therapie in Jena durchgefUhrt. Die
Ausrtistung mit Apparaten, Instrumenten usw. ist
fast durchweg gut; aber eine Ausstattung mit mo-
dernsten und kostspieligen Apparaten, vie man sie
beispielsweise in vielen Abteilungen des Karolinska
Instituts in Stockholm flndet, ist nirgends vorhan-
den. Wer etwa nach der Besichtigung der impo-
santen Lomonossow-Universitat mit ihren prunk-
vollen Raumen auch fur die Universitatsinstitute,
zum Beispiel filr die Abteilung fiir allgemeine Mikro-
biologie, iippigste Ausstattung der Arbeitsraume er-
wartet hatte, ware wohl einigermaBen enttauscht
gewesen! Der Raummangel hat tibrigens in einem der
Forschungsinstitute sogar dazu gefiihrt, daB dort in
zwei Schichten von den Forschern am Arbeitsplatz
gearbeitet werden mufll Das ware bei uns in der
Deutschen Demokratischen Republik kaum denkbar!
Wir konnten bemerken, vie sehr die sowjetischen
Kollegen an unseren Arbeitsmethoden und unseren
Forschungsstellen interessiert waren, vie sich das
besonders bei der Vorfiihrung von Farbffimen aus
dem Institut fur Mikrobiologie und experimentelle
Therapie, Jena, durch Prof. Knoll zeigte. Trotz der
zum Teil etwas mangelhaften Projektionsapparate
gelang es dem Geschick der Techniker, rasch mit
den einfachsten Mitteln die Vorfilhrung von Klein-
bild-Farbphotos zu improvisieren und iiberhaupt
moglich zu machen.
Wir dilrfen wohl sagen, daB der Besuch in Moskau
uns vielerlei Anregung gegeben hat, nicht zum min-
desten auch schon vorhandene personliche Be-
ziehungen zu Kollegen intensiviert und manche
neue ermoglicht hat, was kiinftig vermutlich zu
langerem Studienaufenthalt einzelner Forscher hier
und dort f?hren wird. Beim Vergleich etwa des
Instituts f?r Mikrobiologie und experimentelle
Therapie, Jena, mit entsprechenden sowjetischen In-
stituten konnen wir sicher sagen, daB wir einem
solchen Vergleich standhalten; aber bei uns wird der
Mangel an Wissenschaftlern imer mehr das tatsach-
lich Entscheidende ftir unsere Arbeit ? trotz der in
mancher Hinsicht idealen Arbeitsmoglichkeiten!
Der Flug-von Moskau nach China erfolgte mit dem
groBen neuen Dilsen-Flugzeug T 104, das bei einer
Geschwindigkeit von etwa 800 km pro Stunde (im
allgemeinen in einer Mlle von 8000 Metern) die
etwa 7000 km bis Peking mit Zwischenlandungen in
Omsk und Irkutsk in weniger als 24 Stunden be-
waltigt. Die Witterungsverhaltnisse gestatteten leider
eine Landung in Omsk nicht, vielmehr muBten wir
gleich hinter dem Ural in Swerdlowsk landen. Friih
am nachsten Morgen flogen wir aber mit der glei-
chen Maschine weiter bis Irkutsk. Am nachsten
Tag iiberflogen wir den Baikal-See, nach kurzer
Zwischenlandung in Ulan-Bator, der Hauptstadt der
Mongolei, die Wilste Gobi, bis wir schlieBlich auf
dem am FuBe der Westberge, nahe dem bertihmten
Sommerpalast und der Edelsteinpagode gelegenen
Fl-ugplatz von Peking landeten.
Bei unserem Aufenthalt in China verbrachten wir
17 -Tage in Peking, 3 in Wuchang (= Hankau), 8 in
Shanghai und einen Tag in Hangtschau. In den erst-
genannten drei GroBstiidten haben wir insgesamt
15 Institute besichtigen konnen. Nach mehrfachen
Vortragen und Filmvorfiihrungen von Prof. Knoll
und mir ergaben sich oft ausgedehnte anregende
Diskussionen und Besprechungen mit Akademiemit-
_
gliedern, mit Fachkollegen und insbesondere auch
mit meinen ehemaligen Schillern. Ich will ver-
suchen, das, was sich uns als wichtigstes Ergebnis
des Besuchs in China darstellte, hier kurz anzu-
deuten.
Ohne die Bedeutung des vielen Wertvollen, das in
China seit der Revolution von 1912 auf dem Gebiet
der Medizin geleistet warden ist, zu unterschatzen,
kann man sagen, daB die moderne Medizin in For-
schung und Praxis in China erst vom Jahre 1948,
dem Jahr der Befreiung, dem Jahre der Kommu-
nistischen Verfassung und man darf wohl sagen,
auch der Einigung Chinas, datiert. Das heutige China
mit seinen 620 Millionen Einwohnern hat etwa
70 000 in moderner Medizin ausgebildete Arzte ?
das ware etwa em n Arzt fiir 9000 Einwohner. Das ist
ungefahr nur 1/15 dessen, was wir in Deutschland
filr erforderlich halten. F?r deren Ausbildung sic-
hen zur Zeit 38 ?medical colleges" zur Verftigung.
Das ist langst nicht gentigend. (Bedenken wir, daB
uns in der Deutschen Demokratischen Republik mit
fast 18 Millionen Einwohnern insgesamt 9 Medizi-
nische Fakultaten zur Verfilgung stehen, also
dreiBigmal mehr als in China.) Der jahrliche Zu-
gang an Medizinstudierenden ? unter denen das
weibliche Geschlecht nicht ganz so stark vertreten
ist vie bei uns, in Peking mit 40 ?/0, in Jena sind es
z. Z. 470/s Medizinerinnen ? betr? an den gra-
Beren Hochschulen 600-800; die Zahl der quali-
flzierten Lehrer und Professoren sowie Dozenten ist
langst nicht ausreichend, so daB zum Beispiel in
Kanton der Unterricht in drei Parallelvorlesungen
und Kursen erfolgen muB, was nattirlich eine un-
geheure Belastung der Professoren durch die Unter-
richtsaufgaben bedeutet und die Forschungstatigkeit
dieser Dozenten auBerst erschwert.
Es existieren in China eine Menge ganz neuer, mo-
derner und gut ausgerilsteter Krankenhauser, Kli-
niken, Universitats- und Forschungsinstitute. Viele
schon etwas altere Institute sind neuerdings er-
weitert und Neubauten teils schon begonnen, teils
geplant. Hier bleibt die Medizin, mindestens in Pe-
king, doch einigermaBen zuriick hinter dem, was
an Instituten far Land- und Forstwirtschaft und
Technik im weitesten Sinn geschaffen ist, Riesen-
komplexe, die zum Teil noch gar nicht von ge-
schulten Fachkraften betreut werden k6nnen. Die
Einrichtung in den alteren vie den neuen medi-
zinischen Instituten ist tiberall gut, mindestens den
wichtigsten Anforderungen durchaus entsprechend;
auch Instrumente und Apparate deutscher Herkunft
sind reichlich vertreten. Aber vie in Moskau, so
konnten wir auch hier sehen, daB mit relativ ein-
fachen Methoden Gutes geleistet werden kann. In
China ist die Zahl der wissenschaftlichen, akade-
misch gebildeten Arbeitskrafte im Verhaltnis zum
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILUNGSBLATT
technischen Arbeitspersonal ebenfalls recht erheb-
lick Ganz ausgezeichnet sind offenbar die Instituts-
bibliotheken: daB in einer solchen 1000 und mehr
Zeitschriften aus aller Welt bezogen werden, ist
keine Ausnahme. Uberall in den Bibliotheksraumen
wurde eifrig gearbeitet, wohingegen die Laborato-
riumsraume oft etwas verodet schienen.
Die allgemeine hygienische Erziehung der Bevol-
kerung hat ungeahnte Fortschritte gemacht, nicht
zum wenigsten dank einer wirklich vorbildlichen
Propaganda in Wort und Bild. Der Kampf gegen
die Tuberkulose und gegen das Spucken mag hier
erwahnt sem, der Kampf gegen die ?vier Ubel"
(Ratten, Spatzen, Stubenfliegen, Moskitos) hat dank
der verstandnisvollen Zusammenarbeit der Haus-
und Wohngemeinschaften solche Erfolge erzielt, daB
zum Beispiel das Erscheinen einer Fliege im Speise-
saal des groBen Peking-Hotels die stiirmischsten
GegenmaBnahmen ausloste!
Die Bekampfung der wichtigsten Volksseuchen, spe-
ziell auch der Tuberkulose, ist ungemein erfolgreich
gewesen; Schutzimpfungen werden in groBtem Ma13-
stab durchgeftihrt. So werden zum Beispiel gegen
die Tuberkulose in Peking fiber 90 0/0 der Sauglinge
mit BCG-Impfstoff geimpft.
Der ungeheure Fortschritt des neuen China, eigent-
lich auf alien Gebieten, der nur mit groBter Be-
wunderung anerkannt werden muB, hat zum Gluck
nicht dazu gefart, daB das viele GroBe, Gute und
Sch6ne der alten chinesischen Kultur und Tradition
aufgegeben oder zerstort worden ware. Das ist schon
rein auBerlich daran zu erkennen, daB zum Beispiel
die schonen alien Tempel, Kaiserpalaste usw. in
wirklich vorbildlicher Weise renoviert und gepflegt
werden. Auch die groBe Stadtmauer in Peking ist
nicht niedergerissen und nur da, wo es der Verkehr
unbedingt erfordert, wurde neben den Stadttoren eine
kleine Bresche in die Mauer geschlagen; und selbst
in der Medizin ist man bestrebt, das wirklich Gute
und Brauchbare der alten chinesischen Medizin auf
seine Wirksamkeit und therapeutische Anwendung
mit den Methoden der modernen Medizin zu prilfen
und zu vergleichen.
In sehr verstandiger Weise wird auch durch Zu-
sammenarbeit der Gesundheitsbehorden mit den
Arzten und Forschern eine gewisse Planung der
dringendsten medizinischen Forschungsaufgaben
durchgefiihrt, zur Zeit beispielsweise Untersuchun-
gen ilber die Arteriosklerose, Ober das Magen- und
Zwolf fingerdarmgeschwiir, iiber die in China sehr
verbreitete Infektion mit einem in Darm und Leber
lebenden Egel (Schistosomum japonicum). Speziell
die Erforschung dieser letztgenannten parasitaren
Erkrankung schien uns im Parasitologischen Institut
in Shanghai in groBztigiger und vorbildlicher Weise
nach den verschiedensten Gesichtspunkten (Biologie
der Parasitenilbertragung durch Schnecken im
Wasser, Versuch der Immunisierung von Affen)
durchgefiihrt zu werden.
Grip& Bedeutung kommt auch dem Problem der
b6sartigen Geschwiilste in China zu. Ein erster
tastender Versuch zu einer umfassenden Krebs-
statistik ist jetzt durch Zusammenarbeit von 33
pathologischen Instituten aus ganz China gemacht.
Es war mir eine besondere Genugtuung, fiber diese
Probleme auf Grund der eigenen Erfahrungen spe-
ziell in Thiiringen mit den Fachkollegen zu sprechen
z
37
und in Vortragen in verschiedenen Orten berichten
zu k6nnen.
Dem, der die friiheren Zustande in China karmic,
wird, allermindestens in den Grofistadten, auffallen,
vie viel besser die Bevolkerung jetzt gekleidet ist
als fr?her. Zwar ist beim mannlichen Geschlecht
fiir die jiingere Generation eine gewisse Uniformie-
rung der Kleidung in die Augen fallend, nicht ganz
so beim weiblichen Geschlecht; und die altere Ge-
neration ist wohl durchweg der traditionellen Klei-
dung treu geblieben. Da3 das Analphabetentum
stark zurtickgegangen ist und in wenigen Jahren
wohl ganz verschwunden sein wird, ist beim mann-
lichen Geschlecht ohne weiteres an dem sichtbar in
der Brusttasche getragenen Fillifederhalter (emn
einem amerikanischen Modell nachgebildeter sehr
preiswerter und brauchbarer Gegenstand) erkenn-
bar; die individuelle Note kommt bei den jiingeren
Mannern, der Uniformitat zum Trotz, in der er-
staunlichen Buntfarbigkeit und Musterung der
Socken zum Ausdruck. GroBartig wirkt die Diszi-
plin, aber auch die freundliche Unbefangenheit der
Schulkinder, die man ilberall klassenweise in den
zahlreichen Parkanlagen der Stadte, wohlwollend
betreut, beobachten kann.
Der StraBenverkehr in den GroBstadten ist vorziig-
lich geregelt, aber auch die Verkehrsdisziplin ge-
radezu vorbildlich. Wenn man erwagt, daB Peking
mit seinen 3 Millionen Einwohnern immerhin 430 000
Fahrrader besitzt, dazu die auf Fahrradbetrieb um-
gewandelten alten 40 000 Rikschas, ?pedicab" ge-
nannt, und dazu noch etwa 5000 Autos, so ist das
eine beachtliche Leistung. Personenkraftwagen eige-
ner chinesischer Produktion sind wohl erst Ende
dieses Jahres zu erwarten; uns stand in Peking und
Shanghai zumeist das 1956er Modell des groBen Mer-
cedes zur Verfilgung.
Dank der Zunahme der Agrarproduktion um ca.
23 0/0 ist die Ernahrung far ganz China aus der
Eigenproduktion unbedingt gesichert. Rationiert
sind meines Wissens zur Zeit nur noch Schweine-
fleisch und (SI, sowie in gewissem Umfang Baum-
wollstoffe und Getreide. Die Einwohnerzahl des
Landes nimmt infolge der wirksamen Bekampfung
der groBen Volksseuchen, aber auch infolge des
Riickgangs der Kindersterblichkeit, rasch und stetig
zu, nach den mir gemachten Angaben um min-
destens 16 Millionen pro Jahr!
Wenn wir das sozusagen dienstliche wissenschaft-
liche Programm unserer Reises so erfreulich er-
ledigen konnten und dazu, stets begiinstigt vom
schonsten Sonnenschein und milder Temperatur, die
Stadte mit all ihren Kunstschatzen em n wenig
kennenlernten (oder in meinem Fall em n Wieder-
sehen mit ihnen feierten), stets aufs freundlichste
betreut, so wird man verstehen, daB die Erinnerung
gerade an die Zeit in China uns unvergef3lich sein
wird.
Prof. Dr. Walther Fischer
Institut filr Mikrobiologie und experimentelle
Therapie
Leiter der Abteilung fiir Krebsforschung
Korrespondierendes Mitglied der Deutschen Akademie
der Wissenschaften zu Berlin
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Erforschung der Vergangenheit als Dienst an Gegenwart und Zukunft
Vom 25.-30. November 1957 veranstaltete die seit
Fefiruar 1957 bestehendc Kommission der Historiker
der Deutschen Demokratischen Republik und der
UdSSR in Leipzig ihre erste wissenschaftliche Kon-
ferenz. ?Der Einfluf3 der GroBen Sozialistischen Ok-
toberrevolution auf Deutschland" und ?Die wich-
tigsten Richtungen der reaktionaren Geschichts-
schreibung Ober den zweiten Weltkrieg" ? das
waren die beiden groBen Themen der Tagung.
Anwesend waren etwa 350 Teilnehmer aus der
Deutschen Demokratischen :Republik und etwa 50
auslandische Gaste: Historiker aus der Sowjetunion,
aus Volkspolen, aus der CSR, aus Ungarn, Ruma-
nien; Bulgarien, Albanien, Italien, Frankreich; Japan
und Osterreich.
Durch die Teilnahme einer so betrachtlichen Zahl
auslandischer marxistischer Wissenschaftler, die
nicht nur zuhorende Gaste waren, sondern die Be-
ratungen der Konferenz durch instruktive Referate
und Diskussionsbeitrage bereicherten, verwandelte
sich die Konferenz aus einer deutsch-sowjetischen
Tagung in eine kameradschaftliche Diskussion mar-
xistischer Historiker aus vielen Landern ? sozia-
listischen und kapitalistischen. Si'e wurde, vie die
beiden Vorsitzenden der Kommission, Prof. Dr.
L. Stern (Halle) und Prof. Dr. A. S. Jerussalimski
(Moskau) in ihren Schluf3ansprachen iibereinstim-
mend und mit berechtigter Freude feststellten, zu
einer Demonstration des sozialistischen Internatio-
nalismus. Es entsprach dem echten Bediirfnis aller
Teilnehmer und ergab sich aus dem Geist der wis-
senschaftlichen Diskussionen, die in Leipzig gefiihrt
wurden, daB die Konferenz einmiltig einer Erlda-
rung zum Moskauer Friedensmanifest der Kom-
munistischen und Arbeiterparteien zustimmten, in
der alle fortschrittlichen Historiker aufgerufen wer-
den, in Wort und Tat den Volksmassen die Geheim-
nisse der Entstehung von Kriegen zu erklaren und
in, ihnen das BewuBtsein zu starken, daB sie die
entscheidende Kraft sind, Kriege zu verhindern.
Programmatischen Charakter trug ferner em n Schrei-
ben, das die deutsch-sowjetische Historikerkommis-
sion an die Zentralkomitees der SED und der
KPdSU richtete und in dem sie versicherte: ?Wir
sind fest entschlossen, in unserer weiteren wissen-
schaftlichen Arbeit uns von den unbesiegbaren Ideen
des Marxismus-Leninismus leiten zu lessen und
viele neue Beitrage im ideologischen Kampf fiir
Frieden und Sozialismus zu leisten."
Die Historiker begniigten sich aber nicht mit De-
klarationen und Versicherungen, sondern gestalteten
die Konferenz durch eine Fiille interessanter und
gehaltvoller Beitrage zu einem wichtigen Ereignis
in der Entwicklung der marxistischen Geschichts-
forschung, sowohl hinsichtlich ihres wissenschaf t-
lichen Niveaus als auch hinsichtlich der Scharfe
und Uberzeugungskraft der ideologischen Aussage.
Das erste Hauptreferat der Tagung hielt Prof. Dr.
A. Schreiner (Berlin) Ober das Thema ?Der EinfluB
der Gro3en Sozialistischen Oktoberrevolution auf
Deutschland". Nach einer eindrucksvollen Wiirdigung
der weltgeschichtlichen Bedeutung der Oktober-
revolution schilderte Prof. Schreiner den EinflUB
der -russischen Februarrevolution auf Deutschland
und verglich damit den EinfluB der Oktoberrevo-
lution, der sich besonders in dem machtvollen Ja-
nuarstreik 1918, in der auBerordentlich raschen Ver-
breitung der bolschewistischen Agitation unter den
deutschen Truppen, im Kieler Matrosenaufstand und
schlieBlich in der Novemberrevolution ausdriickte.
In einem bedeutenden Teil seines Referates be-
schliftigte sich Prof. Schreiner mit dem Charakter
der deutschen Novemberrevolution, einem Thema,
Ober das seit einiger Zeit unter deutschen und sowje-
tischen Historikern diskutiert wird. Seiner Meinung
nach war die Diskussion Ober diesen Gegenstand
frilher durch die Feststellung im Kurzen Lehrgang
der Geschichte der KPdSU (B) behindert, wonach
die deutsche Novemberrevolution eine biirgerliche
Revolution gewesen sei. Demgegenilber vertrat der
Redner die A,uffassung, daB man dem hero,ischen
Kampf der deutschen Arbeiterklasse am Ende des
ersten Weltkrieges nur gerecht werden Winne, wenn
die Novemberrevolution als eine blutig erstickte
proletarische Revolution charakterisiert werde.
Als zweiter Hauptreferent sprach das korrespondie-
rende Mitglied unserer Akademie, Prof. Dr. A. S.
Jerussalimski (Moskau), Ober .?Die Grofle Sozialisti-
sche Oktoberrevolution und ,das Problem der
deutsch-sowjetischen Beziehungen", Er ging in sei-
nem grundsatzlichen Referat von der Tatsache aus,
daB die Oktoberrevolution auch filr die Gestaltung
der AuBenpolitik prinzipiell neue Bedingungen-ge-
schaffen hat, da der sozialistische Staat seinem We
sen nach eine. Politik des Friedens fiihrt. Die Be-
zi ehungen zwischen dem imperialistischen Deutsch-
land und der Sowjetunion charakterisiert, der Red-
ner unter Heranziehung zahlreicher historischer Bei-
spiele als Beziehungen, die einerseits durch die lenin-
sche Politik der friedlichen Koexistenz von Staaten
mit verschiedenen Gesellschaftssystemen bestimmt
waren. Andererseits waren sie gepragt durch die
Prinzipien des proletarischen Internationalismus, in-
sofern es sich namlich urn die Beziehungen der sieg-
reicher.' russischen Arbeiterklasse zur deutschen Ar-
beiterldasse handelte, die noch unter dem Joch des
Kapitalismus leben und kampfen muBte.
Scharf und sachlich ilberzeugend vies Prof. Jena-
salimski die Entstellungen und Verfalschungen zu-
riick, die von der bilrgerlichen und der sozialdemo-
kratischen Historiographic und Publizistik Ober die
deutsch-sowjetischen Beziehungen verbreitet wer-
den. Mit einem Bekenntnis zur Freundschaft mit
der Deutschen Demokratischen Republik, die bei-
spielgebend sei filr die Gestaltung der Beziehungen
zwischen dem ganzen deutschen Volk und der
Sowjetunion, schloB der sowjetische Gelehrte seine
Ausfiihrungen, die seine Zuhorer nicht nur durch
ihren Ernst und Wahrheitsgehalt beeindruckten, son-
dern auch durch die leidenschaftliche und kraftvolle
Art des Vortrags zu starkem Beifall hinrissen.
Zahlreiche Kurzreferate erganzten die Ausfiihrungen
der beiden Hauptreferenten. Brachten diese Kurz-
referate einerseits eine Fulle Von historischen Tat-
4. Jahrgang, Heft 112/3 MITTEILUNGSBLATT
sachen und bisher unbekanntem Material, was die
intensive Arbeit erkennen MIR, mit der in der Deut-
schen Demokratischen Republik und der Sowjet-
union, aber auch in den volksdemokratischen Lan-
dern Ober die Probleme der Oktoberrevolution ge-
arbeitet wird, so entspann sich andererseils fiber
die Thesen Prof. Schreiners zur Charakterisierung
der Novemberrevolution eine lebhafte Diskussion.
Die Leipziger Tagung vereinigte zum ersten Male
eine grof3ere Zahl von Teilnehmern aus verschie-
denen Landern an der Diskussion Ober die Frage,
ob die Novemberrevolution als biirgerlich-demokra-
tisch oder als proletarisch zu kennzeichnen 1st. Beide
Auffassungen wurden in wohlfundierten Diskus-
sionsbeitragen vertreten, so daB jetzt eine feste
Grundlage geschaffen ist, urn die Diskussion welter-
zufiihren und zu einem AbschluB zu bringen.
Den zweiten Teil der Konferenz eroffnete Akademie-
mitglied Prof. Dr. L. Stern (Halle) mit einem Re-
ferat iiber ?Die Haupttendenzen der reaktionliren
Geschichtsschreibung Ober den zweiten Weltkrieg".
Nachdem er einleitend die deutsche biirgerliche Ge-
schichtsschreibung Ober den zweiten Weltkrieg mit
derjenigen iiber den ersten Weltkrieg konfrontiert
und dabei festgestellt hatte, daB es sich dem Wesen
nach in beiden Fallen darum handelt, daB die Ideo-
logen des deutschen Imperialismus versuchen, die
Aggressivitat und die Verbrechen des deutschen Im-
perialismus und Militarismus zu beschonigen oder
gar offen zu rechtfertigen, gab Prof. Stern einen aus-
fiihrlichen, hochst instruktiven kritischen Uberblick
r die Rine der in Westdeutschland nach dem
..ten Weltkrieg erschienenen Kriegsliteratur. Als
wichtiges Mittel der reaktionaren Geschichtsschrei-
ber fiir die Rehabilitierung des deutschen Imperia-
lismus und Militarismus brandmarkte er ihre Me-
thode, Hitler als Alleinschuldigen und die deutschen
Generale als Unschuldige oder gar als Oppositionelle
hinzustellen. Auf diese Weise, so zeigte Prof. Stern,
werden die Aufriistungspolitik der Bonner Bundes-
regierung und ihre leitenden Manner rehabilitiert
und den neuen Verbiindeten als bewahrte Vor-
kampfer in einem dritten Weltkrieg empfohlen.
Mit Nachdruck vies der Redner darauf hin, daB
die marxistische Geschichtswissenschaft in der Er-
forschung des zweiten Weltkrieges ungebiihrlich
weit zurilckgeblieben ist. Er forderte dazu auf, diesen
Tempoverlust durch vereinigte Bemilhungen der mar-
xistischen Historiker verschiedener Lander mog-
lichst bald aufzuholen, da die wahrheitsgetreue Dar-
stellung des zweiten Weltkrieges em n wichtiger Bei-
trag zur Verhinderung eines dritten Weltkrieges und
em n entscheidender Schlag gegen die Kriegstreiber
in der Bundesrepublik sein wiirde.
Das wichtige Thema der Rolle der Sowjetunion im
zweiten Weltkrieg und ihrer Darstellung in der
bilrgerlichen Geschichtsliteratur behandqlte im vier-
ten und letzten Hauptreferat Prof. Shilin (Moskau).
Seine Ausfiihrungen waren besonders dadurch inter-
essant, daB er eine Reihe von Zahlen iiber die Ver-
teilung der deutschen Truppen auf die verschiedenen
Kriegsschauplatze sowie Ober die Menge der von
den USA an die Sowjetunion gelieferten Kriegs-
materialien und Lebensmittel nannte, Zahlen,_ aus
denen im Gegensatz zu den herabsetzenden Ver-
drehungen der reaktionaren Historiker und Publi-
Declassified in Part - Sanitized Copy Approved for Release ? 50-Yr 2014/05/28: CIA-RDP81-01043R002900200003-1
39
zisten hervorgeht, daB die Sowjetunion die Haupt-
last des Krieges zu tragen hatte und sich in ihrem
Kampf im wesentlichen auf ihre eigenen Krafte
stiitzen muf3te.
Kurzreferate und Diskussionsbeitrage deutscher,
sowjetischer, polnischer, tschechischer, ungarischer,
rumanischer, bulgarischer, italienischer und fran-
z6sischer Historiker beleuchteten unter den Gesichts-
punkten der Vorbereitung des zweiten Weltkrieges,
seines Verlaufs und der Geschichte der antifaschisti-
schen Widerstandsbewegung das hochaktuelle Thema
von den verschiedensten Seiten aus und vertieften
die? Ausfiihrungen der beiden Hauptreferenten. So
machte der sowjetische Historiker Boltin inter-
essante Angaben fiber die in der UdSSR zur Zeit
im Gange befindlichen Arbeiten Ober die Geschichte
des zweiten Weltkrieges. Er teilte mit, daB em n groBes
Kollektiv die Herausgabe eines vielbandigen wissen-
schaftlichen Standardwerkes sowie eines popularen
Buches 'Ober den GroBen Vaterlandischen Krieg von
1941-1945 vorbereitet. Boltin sprach auch fiber emn
Thema, das durch die Thesen des ZR der KPdSU
zum 40. Jahrestag der Oktoberrevolution neu auf-
geworfen worden ist: fiber die Einschatzung der
ersten Etappe des zweiten Weltkrieges (1939 bis
Juni 1941). Wahrend bisher die marxistische Ge-
schichtswissenschaft, einer Rede Stalins aus dem
Jahre 1946 folgend, diese Etappe des Krieges von
seiten der von Hitlerdeutschland tiberfallenen Lander
als einen antifaschistischen Befreiungskrieg cha-
rakterisiert hat, vertrat jetzt Boltin im Einklang mit
den ZK-Thesen die Meinung, der Krieg sei in seiner
ersten Etappe ein imperialistischer Krieg gewesen,
der erst durch den Eintritt der Sowjetunion in den
Krieg den Charakter eines antifaschistischen Be-
freiungskrieges angenommen habe. In der Diskus-
sion hatte Akademiemitglied Prof. Dr. A. Meusel
(Berlin) ebenfalls zu dieser Frage gesprochen. Nach
seiner Meinung bildete der Fall Frankreichs den
Wendepunkt vom imperialistischen zum antifaschi-
stischen Befreiungskrieg der von Hitler ilberfallenen
Volker. Sicher wird diese Diskussion, die in Leipzig
mit diesen beiden Beitragen nur begann, in der
nachsten Zeit fortgesetzt werden miissen. Einen wich-
tigen Hinweis gab in der Debatte zum zweiten
Thema der Tagung schlieBlich Dr. 112ieli (Rom). Er
mahnte zur sorgfaltigen Differenzierung in der
Polemik gegen die biirgerliche Geschichtsschreibung.
Gerade Ober den zweiten Weltkrieg, so sagte er,
arbeiten neben reaktionaren Verleumdern und Ver-
falschern der Geschichte, die wir unnachsichtig und
scharf bekampfen miissen, fortschrittliche burger-
liche Wissenschaftler, die unseren Anschauungen
nahestehen, wenn sie sie auch heute noch nicht
teilen. Ihnen miissen wir durch eine sachliche Kritik
helfen, die Richtigkeit unseres Standpunktes in
vollem Umfange zu erkennen und ihn vielleicht
morgen anzunehmen.
Im ganzen war der KongreB em n voller Erfolg. Die
Kenntnis von den wissenschaftlich und politisch
gleichermanen bedeutenden Themen ist durch zahl-
reiche Beitrage, die erfreulicherweise zum groBen
Tell von jungen Wissenschaftleyn gehalten wurden,
bere.ichert worden. Eine Reihe wich tiger _Probleme
wurde in der Diskussion der Klarung- nahergefiihrt
Die Freundschaftsbande der internationalen mar-
Declassified in Part - Sanitized Copy Approved for Release ? 50-Yr 2014/05/28: CIA-RDP81-01043R002900200003-1
40
MITTEILUNGSBLATT
xistischen Geschichtswissenschaft sind noch fester
gekniipft worden. Vor allem aber: die Beratungen
atmeten den Geist leidenschaftlicher Parteinahme
fOr Frieden und Sozialismus, verbunden mit erfolg-
reichem Bemilhen urn Sachlichkeit und Erh6hung
des wissenschaftlichen Niveaus. Sie wiesen dadurch
4. Jahrgang, Heft 1/2/3
der kiinftigen Arbeit der Historiker der Deutschen
Demokratischen Republik die Richtung.
Dr. Fritz Klein
Institut fiir Geschichte
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Eindriicke von einer Bibliotheksreise nach Moskau, Leningrad und Kiew
Im Vordergrund des Interesses standen bei dieser
Bibliotheksreise in die UdSSR im Oktober 1957 die
Akademie-Bibliotheken in Moskau, Leningrad und
Kiew. Es wurden nattirlich auch eine Anzahl Biblio-
theken aus dem Bereich des Ministeriums filr Kul-
tur, z. B. die Lenin-Bibliothek in Moskau und die
Saitykow-Stschedrin-Bibliothek in Leningrad besucht.
AuBerdem wurden die Universitats-Bibliotheken in
Moskau, Leningrad und Kiew, die dem Ministerium
fOr Hochschulweseri unterstehen, besichtigt. Der
Ausgangspunkt filr diese Besichtigungen war die
Fundamentalbibliothek f?r gesellschaftswissenschaft-
liche Literatur der Akademie der Wissenschaften
der UdSSR in Moskau. Hier wurden auch in einer
SchluBbesprechung die Erfahrungen ausgetauscht.
Diese Fundamentalbibliothek filr gesellschafts-
wissenschaftliche Literatur ist jedoch nicht die Ulteste
Bibliothek der Akademie der Wissenschaften. Alter
ist vielmehr die Akademie-Bibliothek in Leningrad.
Daher soil diese als erste besprochen werden.
1. Die Akademie-Bibliothek in Leningrad
Direktor: Prof. Dr. Tschebotarjow
Diese Akademie-Bibliothek, eingerichtet auf Grund
eines Erlasses Peters I. im Jahre 1714, ist alter als
die seit dem Jahre 1725 bestehende Akademie der
Wissenschaften in Petersburg. Sie war bis zum Jahre
1936, in dem die Akademie in Moskau mit ihrer
Bibliothek in die Akademie der Wissenschaften ein-
gegliedert wurde, die zentrale Bibliothek der Aka-
demie der UdSSR. Seit dieser Zeit trat die Mos-
kauer Akademie-Bibliothek, die zunachst nur klein
gewesen war, starker in den Vordergrund und wurde
zur Fundamentalbibliothek f?r gesellschaftswissen-
schaftliche Literatur ausgebaut. In der Akademie-
Bibliothek in Leningrad wurde nunmehr das Schwer-
gewicht auf die Sammlung der naturwissenschaft-
lichen Literatur gelegt.
Die Akademie-Bibliothek in Leningrad wird von
einem Direktor und einem stellvertretenden Direk-
tor ,geleitet.. Ihnen steht em n wissenschaftlicher Se-
kretar zur Seite. In ihr sind 420 Mitarbeiter tatig.
Ferner ist der Akademie-Bibliothek em n Beirat zu-
geordnet. Ohne in das Einzelne zu gehen, seien doch
einige Worte zur Struktur dieser Bibliothek gesagt.
Die Akademie-Bibliothek in Leningrad verftigt tiber
folgende Abteilungen: die Erwerbungsabteilung, die
zugleich die Beschaffungen der Institute mit be-
sorgt, die Abteilung fiir Bearbeitung, in der die Zu-
gangsstelle und die Kataloge (alphabetischer und
systematischer Katalog sowie eine Anzahl HiIfs-
kataloge) vereinigt sind und die mit der Abteilung
fiir Systematisierung zusammenarbeitet, die Be-
nutzungsabteilung, der die Leihstelle, die Magazine
und die Lesesale unterstehen, die Handschrif ten-
und Inkunabelabteilung, die orientalische Abteilung,
wo nur orientalische BUcher gesammelt werden und
schlieBlich eine Abteilung f?r wissenschaftliche Bi-
bliographie. Die Bibliothek fart einen Schrif ten-
tausch mit 2000 wissenschaftlichen Instituten in
84 Landern durch, der ebenfalls in einer gesonderten
Abteilung bearbeitet wird.
Der Bestand der Akademie-Bibliothek in Leningrad
betr? 5 Millionen Bande. In den in Leningrad be-
findlichen Akademie-Instituten sind aufierdem
31/2 Millionen Bande gesammelt.
Eine besondere Abteilung der Akademie-Bibliothek
ist em n Depot, in dem em n Bestand von Akademie-
schriften aufbewahrt wird. Von jeder Akademie-
schrift werden 25 Exemplare zurtickgelegt, so daB
sich em n Depotbestand von 1 Million BUnden an-
gesammelt hat. Ein eiserner Bestand von 10 Exem-
plaren mull von jeder Schrift zuriickgehalten wer-
den. Die ilbrigen Exemplare konnen bei der Neu-
griindung von Bibliotheken als Grundstock aus-
gegeben oder als Ersatz fiir verlorengegangene
Bucher eingestellt werden.
2. Die Fundamentalbibliothek f?r Gesellschafts-
wissenschaf ten in Moskau
Direktor: Dr. Schunkow
Diese Fundamentalbibliothek wird ebenfalls von
einem Direktor und einem stellvertretenden Direktor
geleitet, denen em n wissenschaftlicher Sekretar zu-
geordnet ist. Sie hat etwa 300 Mitarbeiter. Die Ab-
teilungen der Fundamentalbibliothek zerfallen in
zwei grol3e Gruppen, deren eine die bibliothekari-
schen Funktionen der Bibliothek ausilbt, wahrend
die andere die wissenschaftlichen Sektoren umfaBt
und die Zusammenarbeit mit einzelnen Wissen-
schaftsgebieten wahrnimmt. Die bibliothekarischen
Abteilungen sind: die Erwerbungsabteilung, die Ab-
teilung fiir Systematisierung, die Abteilung Alpha-
betischer Katalog, die Benutzungsabteilung (Aus-
leihe, Lesesaal und Magazine) und die Auskunfts-
abteilung. In der Erwerbungsabteilung wird auch
der Tauschverkehr mit anderen wissenschaftlichen
Instituten geregelt. Die Aufgaben der wissenschaft-
lichen Sektoren sind. Bibliographische Arbeiten, Er-
schliel3ung der Bestande (Aufsatze in Zeitschriften
und Sammelwerken), Hilfe bei der Erwerbung. In
diese Arbeit sind folgende Wissensgebiete ein-
geschlossen: Wirtschaftswissenschaften, Geschichte,
Philosophic, Literaturwissenschaft, Sprachwissen-
schaft, Orientalistik, Slawistik. Die Bibliothek ver-
ffigt ferner tiber eine zusatzliche Abteilung, in der
die personlichen Bibliographien von Gelehrten zu-
sammengestellt werden, wahrend der Sektor Wissen-
schaftskunde sich speziell mit Wissenschaftskunde
und Geschichte der Wissenschaften befaBt. Ferner
ist hier die Gruppe Sovietica angeschlossen, die die
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILUNGSBLATT
ausliindische Literatur fiber die UdSSR mit gesell-
schaftswissenschaftlicher Thematik registriert.
Die Fundamentalbibliothek verfilgt Ober 4 Lesesale.
An erster Stelle ist der groBe Lesesaal zu nennen,
der alle Wissenschaftsgebiete umfaBt. Speziallese-
siile fOr Geschichtswissenschaft, Slawistik und Bi-
bliographic kommen noch hinzu.
Die bibliographische Arbeit der Fundamentalbiblio-
thek erstreckt sich auf die bibliographische Infor-
mation Ober Neuerwerbungen sowie Ober retrospek-
tive Bibliographien der Sowjetliteratur auf verschie-
denen Gebieten. Ferner ist sic eingeschaltet in die
internationale bibliographische Arbeit, steht z. B.
in Zusammenarbeit mit dem bibliographischen In-
stitut in Sofia und arbeitet mit an der ?Internatio-
nalen Bibliographic der Geschichtswissenschaften".
Da die Fundamentalbibliothek sich vorwiegend mit
gesellschaftswissenschaftlicher Literatur befaBt und
daher nur die gesellschaftswissenschaftlichen In-
stitute in Moskau betreuen kann, mate eine Lo-
sung gefunden werden, urn die naturwissenschaft-
lichen Institute in Moskau zu erfassen. Zu diesem
Zwecke wurde eine Organisation eingerichtet, die
von einer Funktionsabteilung aus die naturwissen-
schaftlichen Institute in 5 Abteilungen betreut. Diese
5 Abteilungen, die unseren Klassen entsprechen,
sind, analog den 5 naturwissenschaftlichen Abtei-
lungen der Akademie der UdSSR: Geologic, Physik/
Mathematik, Biologie, Chemie und Technik. Fur
jede der 5 Abteilungen ist eine Art Zentralbibliothek
eingerichtet, die wiederum die Institutsbibliotheken
betreut, von denen 66 in Moskau mit Bilcherbestiin-
den von 3 Millipnen Einheiten insgesamt vorhanden
sind. Diese Organisation geh6rt ihren Bestanden
nach zur Akademiebibliothek in Leningrad. Sie ist
zugleich die Vorbereiterin einer zentralen Akademie-
Bibliothek in Moskau, die eines Taps aus der
Fundamentalbibliothek zuzi.iglich der genannten na-
turwissenschaftlichen kleineren zentralen Biblio-
theken der 5 Abteilungen entstehen wird.
Bei der Akademie-Bibliothek in Leningrad war er-
wahnt worden, daB ihr em n Bibliotheksrat zugeordnet
ist. Einen solchen wissenschaftlichen Beirat gibt es
auch bei der Fundamentalbibliothek in Moskau. Er
bestimmt die allgemeine Richtung der Bibliotheks-
arbeit, nimmt den Jahresbericht des Direktors ent-
gegen und ist zustandig fur die Fiihrung der wissen-
schaftlichen Titel der Mitarbeiter.
Von besonderer Wichtigkeit ist jedoch die Biblio-
thekskommission der Akademie, die von einem Vize-
prasidenten der Akademie geleitet wird und eben-
falls in Moskau ihren Sitz hat. Sie fart die Ko-
ordinierung der Bibliotheksarbeit aller Akademie-
Bibliotheken durch.
3. Die Akademie-Bibliothek in Kiew
Direktor: Dr. Dontschak
Diese Akademie-Bibliothek ist seit dem Jahre 1918
aufgebaut worden. Ihre Grundbestande stammen aus
der Ukrainischen Volksbibliothek, der Universitats-
bibliothek, Privatbibliotheken und der Bibliothek
des Ersten Gymnasiums. Sie verfugt z. Z. iiber
5112 Millionen Bande. Sie hat im Jahre 1922 mit
300 000 Banden angefangen. An Pflichtexemplaren
erhalt sic jetzt zwei in russischer Sprache und zwei
in ukrainischer Sprache. Ihre Eigenart ist, daB sic
41
auf der einen Seite die Fundamentalbibliothek der
Ukrainischen Akademie der Wissenschaften ist, auf
der anderen Seite zugleich als offentliche Biblio-
thek dient. Da es in Kiew wenige wissenschaftliche
Bibliotheicen gibt, war es fiir die Akademie-Biblio-
thek notig, diese offentliche Aufgabe zu tibernehmen.
(Eine Republikbibliothek der Ukraine ist allerdings
im Entstehen, die eines Tages diese Funktion haben
wird.)
Die Struktur der Akademie-Bibliothek ist die fol-
gende: Neben dem Direktor und dem stellvertreten-
den Direktor fiir die wissenschaftliche Arbeit gibt
es einen wissenschaftlichen Sekretar. Ferner ist der
Verwaltungsdirektor als stellvertretender Direktor
Mr die Verwaltung der Direktion zugeordnet. In
dieser Akademie-Bibliothek sind 224 Mitarbeiter
tang. Die Abteilungen der Bibliothek sind zahlreich,
so daB 19 Struktureinheiten gezahlt werden konnen.
Es gibt 2 Erwerbungsabteilungen, eine fiir ein-
heimische Literatur, eine zweite f?r auslandische
Literatur. Hier wird auch der Tauschverkehr be-
arbeitet, so da13 eine besondere Tauschabteilung nicht
vorhanden zu sein braucht. Es folgt die Katalogab-
teilung. Ferner ist zu gennen die Benutzungsabtei-
lung, die Abteilung fiir Massenarbeit, die Abteilung
far Rara, die Handschriftenabteilung, die Zeitungs-
abteilung, eine Abteilung, die die Filiale der Bi-
bliothek bearbeitet, die sich im Arbeiterviertel von
Kiew, im Podol, befindet. Es gibt ferner die biblio-
graphische Abteilung, die methodischen Kabinette
und die Abteilung fiir auswartige Benutzung. F?r
die Akademie-Bibliothek existiert em n wissenschaft-
licher Rat, der aus 19 Mitgliedern besteht, die sich
aus einigen Abteilungsleitern, Kabinettsleitern und
Wissenschaftlern zusammensetzen. Er tagt etwa zehn-
mal j?lich und berat laufende Fragen, die die
Plane der Bibliothek betreffen.
Die Akademie-Bibliothek gibt einen Gesamtkatalog
fiir die auslandischen Zeitschriften heraus, die sich
bei ihr und in den Instituten befinden. Bemerkens-
wert ist u. a. ihre Handschriftenabteilung, in der
sich Briefe ukrainischer Wissenschaftler mit aus-
landischen Gelehrten beflnden, ferner historische
Handschrif ten und auBerdem Handschriften von
Dichtern und Schriftstellern, insbesondere eine
Sammlung von Dokumenten Gogols. 1st sic zwar
nicht mit der in Leningrad vergleichbar, so ist diese
Sammlung im Hinblick auf das geringe Alter dieser
Akademie-Bibliothek in Kiew doch zu schatzen.
Wertvolle Schatze an Biichern, Karten, Handschrif-
ten und Inkunabeln sowie Zeitschriftenreihen in be-
neidenswerter Vollstandigkeit konnten bei dieser
Studienreise festgestellt, besichtigt und bewundert
werden. Hinsichtlich des Reichtums an Handschrif-
ten hat Dr. Trait im Mitteilungsblatt Jg. 1957, S. 167
bis 169 und 190-192, Treffendes gesagt, was nur be-
statigt werden kann. In den dargestellten Akademie-
bibliotheken wird ferner eine bemerkenswerte bi-
bliographische Arbeit geleistet, zu der diese Biblio-
theken auf Grund ihrer Bestande und Zugange und
mit Hilfe ihres groBen Mitarbeiterstabes in der Lage
sind. Wir haben hier darauf verzichtet, diese biblio-
graphischen Arbeiten aufzuzahlen, veil diese Dar-
stiellung eine Wiedergabe von Titeln gewesen ware,
die obendrein der Annotation bedurft hatten. Auch
das Studium der Kataloge wurde auf dieser Reise
nicht unterlassen. Diese Instrumente der Erschlie-
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MITTEILUNGSBLATT
4. Jahrgang, Heft 1/2/3
Bung der Bilcherbestande werden in der Sowjet-
union mit besonderer Sorgfalt gepflegt, wobei neben
dem alphabetischen Katalog der systematische Kata-
log sich einer besonderen Bevorzugung erfreut.
Fiir die Vertreter der Akademiebibliothek in Berlin
war nattirlich der Unterschied zwischen diesen gro-
Ben Akademiebibliotheken enzyklopadischen Cha-
rakters und der eigenen kleinen Spezialbibliothek
besonders auffallig. Die Akademiebibliothek in
Leningrad zum Beispiel war zur Zeit ihrer Ent-
stehung die einzige universal sammelnde Biblio-
thek des Landes, wahrend die Akademiebibliothek
in Berlin neben sich bereits die ehemalige Konig-
liche Bibliothek hatte, die die Aufgabe der Uni-
versalbibliothek zu ilbernehmen sich anschickte.
Ahnlich vie in Leningrad liegen die Verhaltnisse in
Bukarest, so daB der Akademiebibliothek in Berlin
mit ihrem scharf abgegrenzten Sammelgebiet zu-
mcist im Auslande universal sammelnde Akademie-
Bibliotheken entsprechen.
Reiche Erfahrungen wurden gesammelt und viele
Anregungen aufgegriffen. UnvergeBlich wird die Er-
innerung an die liebenswtirdige und gastliche Auf-
nahme und Betreuung durch die sowjetischen Fach-
kollegen bleiben, die nicht versaumten, Ober die
Bibliotheken hinaus Stadte, Land und Leute zu
zeigen.
Dr. Otto Weng
Direktor der Akademie-Bibliothek
Ober eine epigraphische Reise nach Samos
Am 28. Juli vorigen Jahres reiste ich nach Samos.
Ich war auf Antrag der Leitung des Instituts fiir
griechisch-romische Altertumskunde von der Deut-
schen Akademie der Wissenschaften zu Berlin be-
auftragt worden, dip' filr die- Edition des Corpus der
samischen Inschriften (IG XII 6) notige Arbeit an
den Originalen durchzuftihren. Meine Aufgabe war
folgender Art:
1. Es gait, die bisher publizierten Inschriften an den
Originalen auf richtige Lesung zu prtifen und die
fur die Steinbeschreibung notwendigen Data (Her-.
kunft, Inventarnummer, MaBe, Bruch usw.) zu er-
ganzen. Ftir diese Aufgabe war die Vorarbeit, die
Erfassung aller bereits veroffentlichten Inschriften,
soweit man davon ilberzeugt sein kann, geleistet
worden.
2. Es gait, die Abklatschsammlung zu vervollstan-
digen, d,enn die kritische Behandlung einer Inschrift
steht und fallt mit der Einsicht in eine original-
getreue, Reproduktion. Die Inscriptiones Graecae
besaBen bereits eine Anzahl von Abklatschen, be-
sonders aus dem NachlaB A. Rehms, des frilher f?r
die samischen Inschriften bestimmten Bearbeiters.
3. Es gait, neues Material zu finden.
Die bereits gefundenen samischen Inschriften sind
an drei Stellen der Insel deponiert: im Heraion,
dem einige Kilometer westlich von der antiken
Hauptstadt gelegenen Heiligtum der Hera; in Ti-
gani, heute Pythagoreion genannt, dem modernen
auf der Stelle der antiken Hauptstadt gelegenen
Orte; in Vathy, der heutigen Hauptstadt der Insel
An diesen drei Stellen habe ich gearbeitet.
Zu Punkt 1. Fast jede bereits publizierte Inschrift
erforderte bei der Neulesung Korrekturen, von un-
bedeutenden Interpunktionen bis zum Nachtrag
einer ganzen tibersehenen Zeile. Die schwierigste
Aufgabe ftir den bisherigen Schreibtigchepigraphiker
war die archaologische Deutung des Steines. Ftir
die Interpretation eines mit Buchstaben bedeckten
fragmentierten Steines und damit fill- die Er-
ganiung ist die Deutung des Steines als Weih-
geschenktrager, Grabstein oder Stele, ferner die Er-
kennung der Bruchflachen bzw. der AnschluB-
flachen, falls der Stein im Verband mit einem
anderen stand, auBerst wichtig. Ich habe mich hier
der Photographic bedient, die das Aussehen des
Steines festhalten soil, wahrend der Abklatsch ja
nur die abgezogene Schriftflache bewahrt. Die
Photographic soil damit an der Stelle umstandlicher
Steinbeschreibungen stehen; bei der Edition wird
sic wieder in eine deskriptive Steinbeschreibung
umgesetzt, da die Inscriptiones Graecae grundsatz-
lich keine Photographien geben.
Zu Punkt 2. Von alien Inschriften, ob bereits publi-
ziert oder neu, wurden Abklatsche angefei:figt, so-
fern das Archly der Inscriptiones Graecae von' den
betreffenden Inschriften noch keine besa13.
Zu Punkt 3. Von alien nicht publizierten Inschriften
wurden auBer dem Abklatsch auch Abschriften an-
gefertigt. Da die Menge dieser bescliriebenen Arbeit
sehr groB war, bin ich zu Entdeckungsreisen .n,ur
in der nachsten Umgebung der drei genannten Orte
gekommen und habe einige bisher nicht magazi-
nierte Inschriften 'gefunden.
In Zahlen ausgedrtickt sieht das. Ergelinis vie folgt
aus:
Es wurden 454 Abklatsche angefertigt (Heraion 267,
Tigani 52 (Demarcheion) + 91 (*stro) = 143, Vathy
34, auBerhalb der genannten Orte 10); 27 X 36 = 972
Aufnahmen gemacht und ca. 350' Abschriften von
bisher nach meinen vorlauflgen Feststellungen un-
ver8ffentlichen Steinen.
Dann ist aber noch em n sehr wesentliches Ergebnis
zu nennen, das sich nicht in konkreten Zahlen aus-
drticken laBt, jedoch, so hoffe ich, seinen Nieder-
schlag im Corpus linden wird: ich meine die leben-
dige Vorstellung jenes Stiickchens Erde, das Samos
heifit, klein an Umfang, aber em n bedeutsamer Mit-
spieler im Konzert der griechischen Stamme und
Stadte. Nur aus der genauen Kenntnis des antiken
Sehauplatzes heraus ist es moglich, die mit Buch-
staben bedeckten Steine wieder das werden zu
lassen, was sic ursprtinglich waren: hochst leben-
dige Dokumente eines Geschehens, das sich an
einem bestimmten Orte und an einem bestimmten
Zeitpunkt der Menschheitsgeschichte ereignet hat.
Meinen vorlauflgen aufrichtigen Dank an die Lei-
tung unseres Institutes und die Akademie fUr die
mir gewahrte Hilfe hoffe ich bald durch die Vor-
lage des Corpus der samischen Inschriften ersetzen
zu 'airmen.
Dr. Giinter Dunst
Institut ftir griechisch-romische Altertumskunde
Wissenschaftlicher Oberassistent
It
4. Jahrgang, Heft 1/2/3 MITTEILUNGSBLArl
Die Stimme des Volksvertreters
Meine Arbeit im Magistrat von Gro13-BerIin
Dr. Karl-Heinz Segel, wissenschaftlicher
Mitarbeiter der Arbeitsstelle filr Kreislaufforschung
In Berlin-Buch, ist als Stadtverordneter Vorsitzen-
der der Standigen Kommission f?r''Gesundheits-
und Sozialwesen der Stadtverordnetenversammlung
von Grof3-Berlin.
Er wurde. am 11. Oktober 1927 in Krakow am Sec
(Mecklenburg) geboren. In Leipzig absolvierte er
Grund- und Oberschule und schlof3 1951 an der dor-
tigen Karl-Marx-Universitat em n Chemiestudium ab.
Filnf Jahre leitete er die Ausbildungsstiitte ?Freund-
schaft" des VEB Berlin-Chemie, wo Chemiefach-
arbeiter und Laboranten erzogen wurden. Fur seine
gute Arbeit ehrte man ihn mit der ?Medaille fur
ausgezeichnete Leistungen". Daneben promovierte
er 1955 an der Karl-Marx-Ilniversittit. Seit 1956 ist
er an der oben genannten Arbeitsstelle beschaftigt
und gleichzeitig wissenschaftlicher Aspirant der
Humboldt-Universitilt in Berlin.
Im Mitteilungsblatt W10 1957 wurde mit der Vor-
stellung von Mitarbeitern der Deutschen Akademie
der Wissenschaften zu Berlin, die Volksvertreler
sind, begonnen. So ist es nicht verwunderlich, wenn
mich die Redaktion urn einen Beitrag bat, der meine
Erfahrungen, besonders Ober die Tatigkeit dei Stan-
digen Kommission ftir Gesundheits- und Sozial-
wesen, beinhaltet. Ich bin dieser Aufforderung urn
so lieber nachgekommen, veil ich weiB, daB bei
der Bevolkerung em n groBes Interesse fin die Pro-
bleme des Gesundheitswesens besteht.
Das hochste Gremium, das sich fiber das Leben
unserer Hauptstadt Gedanken macht und filr den
demokratischen Tell entscheidet, ist die Stadt-
verordnetenversammlung von GroB-Berlin -180 von
der Berliner Bevolkerung gewahlte Vertreter, von
denen 126 Arbeiter sind, gehoren ihr an. Ihre Poli-
tik richtet sich nach den Grundprinzipien unseres
Arbeiter-und-Bauern-Staates, der Deutschen Demo-
kratischen Republik. So zeigt der Charakter der
Stadtverordnetenversammlung, daB der Wille der
Werktatigen, als der iiberwiegenden Mehrheit der
Bewohner der Hauptstadt, verwirklicht wird.
Eines der wesentlichsten Merkmale unserer Demo-
kratie ist die standige und stets verstarkte Teil-
nahme der Werktatigen an der Lenkung und Lei-
tung des Staates. Der Erste Sekretar des 2entral-
komitees der SED und Erste Stellvertreter des Vor-
sitzenden des Ministerrates, Walter Ulbricht, sprach
auf der letzten Volkskammersitzung ilber die Ver-
vollkommnung der Arbeit des Staatsapparates und
die Anderung des Arbeitsstils. Er zeigte, daB wir
eine neue Etappe beginnen mtissen, in der die Arbeit
der Staatsorgane auf einer hoheren Stufe steht. Dabei
begrtindete er das vom ZK der SED und vom Mi-
nisterrat vorgelegte Gesetzeswerk. ?Das Neue", so
ftihrte Walter Ulbricht aus, ?liegt in der einheit-
lichen Planung und Leitung sowie in der besseren
Zusammenarbeit der zentralen Staatsorgane, in der
weitgehenden Verlagerung der operativen Leitung
der Produktion an die Basis und der bedeutenden
43
_
Erhohung der Verantwortung der statitlichen Or-
gane in den Bezirken, Kieisen und Stadten. Da-
durch Wird es .zugleich moglich, die Werktatigen
selbst in noch umfassenderer Weise in die Mitarbeit
zur Leitung des Staates und der Wirtschaft ein-
zubeziehen." Die -'sich ergebenden groBeren Rechte
und-Pflichten auch des Magistrats von GroB-Berlin
werden die Initiative unserer Bevolkerung fordern.
Ihre weitere, verantwortungsvollere Einbeziehung
in die Staatsgeschafte ist die Folge. Die tiefgreifende
Anderung der Arbeitsweise wird uns einen weiteren
Schritt zur Entwicklung und Festigung der sozia-
listischen Demokratie tun lassen. Diese Erkennt-
nisse erfordern .itieh von der Stadtverordneten-
versammlung einen verbesserten, auf h?herer Stufe
stehenden Arbeitsstil. Gerade deshalb wird jetzt die
neue Arbeitsordnung diskutiert.
Die Stadtverordneten der Stadtverordnetenver-
sammlung von GroB-Berlin sind in 14 Standige
Komrhissionen apfgeteilt. Eine davon ist die Stan-
digd Korrimission Gesundheits- und Sozialwesen.
Die Standigen Kommissionen unterstiitzen die
Stadtverordnetenversammlung bei der Losung ihrer
Aufgaben auf den einzelnen Gebieten des poli-
tischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens
und suchen sich Burger, die zur dauernden oder
zeitweiligen 1Vlitarbeit bereit, befahigt und inter-
essiert sind. Sic arbeiten mit den Ausschussen der
Nationalen Front des demokratischen Deutschland
zusammeh und schaffen so eine enge Verbindung
zwischen der Stadtverordnetenversammlung und der
Bevolkerung. Die Tatigkeit der Standigen Kom-
miSsionen erfolgt auf der Grundlage von Be-
schlussen oder Auftragen der Stadtverordneten-
versammlung. Sic ftihren auch solche Aufgaben
durch, die sic sicli im Rahmen ihrer Zustandigkeit
selbstandig stellen. Sic werten die Wtinsche, Vor-
schlage und Kritiken der Bevolkerung aus und
schlagen MaBnahmen zur weiteren Verbesserung
der Arbeit des Staatsapparates und der staatlichen
Einrichtungen auf ihrem Arbeitsgebiet var.
Die Standige Kommission ftir Gesundheits- und So-
zialwesen der Stadtverordnetenversammlung von
Grail-Berlin'befaBt sich mit der Gesundheits- und
Sozialpolitik di deutschen Hatibtitadt. Insbeson-
dere setzt sic sich ftir die Entwicklung eines sozia-
listischen -Gesundheitsschutzes em. Hierzu gehort
die ganze Problematik? der. prophylaktischen
Mall-
nahrnen, vie etwa Arbeitsschutz, Hygienetiber-
wachung, medizinische Aufklarung der Bevolke-
rung; ferner die Verbesserung und Entwicklung
der Krankenhauser, Polikliniken, Ambulatorien,
Ftirsorgestellen tind' Bezirksschwesternstationen. Sic
unterstiltzt und sorgt ftir die Durchfiihrung fort-
schrittlicher Gesetze, ' vie das Gesetz Ober den
Mutter- und Kinderschutz, und fordert Einrich-
tungen vie die Sauglingsheime und Kinderkrippen
Auf dem Gebiet des Sozialwesens geht es urn eine
humanistische Sozialftirsorge, die den alten
BUr-
gem einen angenehmen Lebensabend garantiert Die
Declassified in Part - Sanitized Copy Approved for Release ? 50-Yr 2014/05/28: CIA-RDP81-01043R002900200003-1
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.411,
44
MITTEILUNGSBLATT
Standige KommissiOn unterstiltzt die Errichtung
und Entwicklung von Feierabend- und Pflege-
heimen. Sie setzt sich auch filr eine Eingliederung,?
der Schwerbeschadigten und Sozialairsorge-Emp-
ranger in den Arbeitsprozei3 em.
Vielleicht ist es interessant, wenn ich noch an zwei
Beispielen aus unserer Arbeit ilber die Probleme,
aber auch gleichzeitig ilber die GroBe und
Sch?n-
heit unserer Tatigkeit berichte:
Schon vor Monaten wurde in unserer Standigen
Kommission festgestellt, daB die Entwicklung der
prophylaktischen Aufgaben, des Betriebsgesund-
heitswesens, die Einrichtung von Bezirksschwestern-
stationen nur schleppend vorangeht. Die jungen
Arzte sehen oft noch ihr Ideal in einer eigenen
Praxis. Eine gute Einstellung zum staatlichen Ge-
sundheitswesen besteht oft nicht. Bei der naheren
Untersuchung dieser Dinge stellte es sich bald her-
aus, daB es in Berlin an einer klaren Perspektive
der Entwicklung des Gesundheitsschutzes fehlte.
Somit war der Zeitpunkt herangereift, von der Ab-
teilung Gesundheitswesen mit Hilfe der Gr trerkschaft
und unserer Standigen Kommission einen Plan zur
Entwicklung des sozialistischen Gesundheitswesens
auszuarbeiten. Heftig wurde fiber diesen Plan ge-
stritten und diskutiert, aber schlieBlich wurde er in
diesem Jahr vom Magistrat von GroB-Berlin be-
schlossen und damit angenommen. Dieser Plan heot
klar die Rolle und Zielsetzung des Gesundheits-
schutzes beim sozialistischen Aufbau hervor. Er
fordert vom medizinischen Personal eine starkere
Beschaftigung mit der sozialistischen Ideologie
und eine breite Organisierung der medizinischen
Volksaufklarung. Der Plan macht den Unterschied
unseres Gesundheitsschutzes gegentiber dem im Ka-
pitalismus deutlich.
Entsprechend der Rahmenkrankenhausordnung wer-
den die Fachabteilungen der Krankenhauser all-
mahlich zum medizinischen Zentrum des Versor-
gungsbereiches. Urn sich dieser Aufgabe richtig wid-
men zu konnen, sollen die arztlichen Direktoren
und Chefarzte, sowie die hauptamtlich angestellten
Arzte des staatlichen Gesundheitswesens keine
nebenamtlichen Praxen mehr austiben. Nat?rlich
mull bier eine neue, den jeweiligen Leistungen ent-
sprechende Vergiltung einsetzen. Im Betriebsgesund-
heitswesen wird der Blick der Arzte auf die Pro-
phylaxe und Dispensaire-Methode gelenkt. In
Berlin-Buch son em n Rehabilitationszentrum mit
Umschulungswerkstatten und geschilizten Betriebs-
abteilungen fur besondere Krankheitsgruppen ent-
stehen.,Dem steigenden Alkoholismus und dem Uber-
maBigen NikotingenuB wird em n entschiedener
Kampf angesagt. Eine besonders filisorgliche Be-
treuung wird ftir die Mutter und Kinder vor-
geschlagen. Die Zusammenarbeit mit den nieder-
gelassenen Arzten ist zu fordern, denn die bisherigen
Kontakte etwa zum Arzte-Kollektiv des Bezirks-
krankenhauses sind sehr lose. Diese Auswahl der
Probleme zeigt, daf3 der Plan die Aufgabe hat, das
staatliche Gesundheitswesen zu starken und die
medizinische Betreuung unserer Bevolkerung zu
verbessern.
4. Jahrgang, Heft 1/2/3
In einer zweiten Untersuchung befaBt sich die Stan-
dige Kommission gegenwartig mit der Betreung der
alien Menschen. Natiirlich ist es Pflicht jeder Fa-
,
mine, sich urn die alteren Angehorigen zu sorgen.
Aber doch sind dem Sozialwesen zahlreiche Falle
bekannt, wo altere Burger keine Angehorigen mehr
haben oder aus gesundheitlichen GrUnden der Air-
sorge des Staates bedtirfen. Fiir die gesunden alten
Menschen haben wir in unserer Stadt sch6ne Feier-
abendheime, vie etwa das neue in der Erich-
Weinert-StraBe, eingerichtet. Bei den kranken alten
Menschen unterscheiden wir drei Kategorien:
1. Pflegefalle. Das sind vorwiegend alte Burger mit
chronischen Leiden, die zwar eine standige Be-
treuung, aber keine dauernde arztliche Behand-
lung brauchen. Sie gehoren in em n Pflegeheim,
wenn sic keine Angehorigen haben, die diese
Pflege Obernehmen konnten.
2. Chronisch Kranke. Das sind vorwiegend alte
Menschen mit chronischen Leiden, die auf lan-
gere Zeit einer standigen arztlichen Hilfe be-
dilrfen (z. B. groBere Dekubitus, dekompensierte
Vitien, Diabetes).
3. Akut Kranke. Das sind Patienten, die auf Grund
medizinischer Indikation in stationare Behandlung
gebracht werden miissen.
Ftir die Pflegefalle gibt es in Berlin Pflegeheimc,
deren Platzzahl allerdings leider noch nicht aus-
reicht. 'Ober die Betreuung der beiden anderen Ka-
tegorien gibt es im wesentlichen zwei verschiedene
Auffassungen. Die einen pladieren f?r ?Langlieger-
Stationen" fi3r die chronisch Kranken in den all-
gemeinen Krankenhausern. Die Standige Kom-
mission neigt dagegen mehr zu der Meinung, in
Berlin zwei oder drei Anstalten in ?Alterskranken-
hauser" mit einigen Abteilungen fUr akutkranke
alte Menschen und vorwiegend Abteilungen fi3r
Chronischkranke umzuwandeln. In diesen Zentren
konnte sich die Altersmedizin entwickeln und viel-
leicht nach der Moglichkeit zur Verlangerung des
Lebens geforscht werden. Allerdings berilcksichtigt
dieser Vorschlag nicht die psychische Belastung des
Pflegepersonals und der Arzte. Noch ist der Mei-
nungsstreit im Gange. Noch ist keine Entscheidung
gefallen. Aber daf3 dieses Problem mit Hilfe unserer
Standigen Kommission im Sinne einer verbesserlen
Betreuung der kranken alten Burger gelost wird,
ist sicher.
Zum SchluB eine kritische Bemerkung. So vie die
stadtischen Krankenhauser bei der Durchfuhrung
ihrer okonomischen Konferenzen den Kliniken der
Charlie und Akademie der Wissenschaften em n gutes
Beispiel fortschrittlicher Arbeit gaben, so sind auch
die vielen ehrenamtlichen Helfer unserer Standigen
Kommission meist Fachleute der stadtischen Ein-
richtungen. Warum ist es nicht gerade umgekehrt?
Wir wiinschten verstarkt Meinungen und Gedanken
der Mitarbeiter der Deutschen Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin zum Wohle unseres Volkes, zur
Festigung der demokratischen Ordnung und fur
den Aufbau des Sozialismus auch auf den Gebieten
des Gesundheits- und Sozialwesens.
4. Jahrgang, Heft 1/2/3
Miszellen
MITTEIL UN GSBLATT
45
. alle ihre Kenntnisse, Begabungen und Krafte fiir die Gestaltung der sozialistischen
Demokratie einzusetzen
In den Junitagen 1945 hatten sich in Berlin-Dahlem
eine Reihe von Wissenschaftlern, Kiinstlern und
Schriftstellern auf Vorschlag von Johannes R. Becher
zusammengefunden, urn den ?Kulturbund zur demo-
kratischen Erneuerung Deutschlands" zu grUnden.
Der Tag der GrUndung war der 4. Juli 1945. Das
GrUndungsmanifest wandte sich an alle ehrlichen
Deutschen, Manner und Frauen, urn die hochsten
Giiter unserer deutschen Kultur wieder zu Ansehen
zu bringen. Die deutschen K1assik6r der Dichtung,
der Musik, der bildenden Kunst, der Philosophic
maten wieder zu Ehren gebracht werden, die frei-
heitlichen Traditionen und em n echter Kulturwille
sollten wieder zu neuem Leben erwachen, eine neue
Ethik sollte geboren werden und Freundschaft und
Frieden mit unseren Nachbarlandern, insbesondere
mit der Sowjetunion, sollte die humanitare Grund-
lage unserer Kulturepoche sem. Ein solches Ziel in
den ersten Nachkriegsjahren zu erreichen, war nicht
leicht, denn es gait auBerdem, riesige okonomische
Aufgaben nach dem Zusammenbruch des zweiten
Weltkrieges zu bewaltigen. Aber mit Hilfe der
Sowjetunion, der sowjetischen Militaradministration
in Deutschland, deren Zentrale sich in Karlshorst
befand, ging es Schritt fur Schritt vorwarts. Ober-
all, wo es gall, kulturelle Fragen und Belange im
Aufbau zu meistern, war der Kulturbund eine wirk-
same Kraft: bei Fragen der Schulreform, der Kultur-
verordnung der deutschen Wirtschaftskommission,
der Begegnungen der KulturschalTenden ganz
Deutschlands, der Griindung des Verbandes Deut-
scher Schriftsteller, bildender Kiinstler oder des
Verbandes der Komponisten und Musikwissen-
schaf tier.
Nicht zu vergessen sind auch die groBen Kultur-
veranstaltungen in Weimar 1949 anlaBlich des
Goethejahres und 1950 die grol3e Ehrung Johann
Sebastian Bachs in Leipzig. Bedeutende Anregungen
des Kulturbundes sind auch auf den Friedens-
konferenzen (1948 in Wroclaw, 1949 in Paris, 1950
in Berlin) aufgenommen worden. Johannes R.Becher,
langjahriger Prasident des Kulturbundes, mani-
festierte in alien seinen Reden die Verantwortung
der Geistesschaffenden fur die Erhaltung des Frie-
dens als die Grundlage jeder Kulturpolitik. Immer
nahm der Kulturbund Stellung zur Einheit Deutsch-
lands, immer setzte er sich mit aller Energie gegen
die Bedrohung durch Atom- und Massenvernich-
tungswaffen em, die im Falle eines Krieges zur Ver-
nichtung unseres Volkes f?hren warden. Diese ein-
deutige Tatigkeit des Kulturbundes gegen den im-
perialistischen Krieg und ftir die Gewinnung der
Intelligenz fur die Ziele der Demokratie, des Fort-
schrittes und des Friedens haben leider dazu ge-
fiihrt, daB der Kulturbund 1947 im amerikanischen
Sektor und kurze Zeit darauf auch im englischen
Sektor Berlins verboten wurde Verschwiegen
braucht aber dennoch nicht zu werden, daB der
Kulturbund seine Wirksamkeit in mehr oder minder
groBem Umfang in der Bundesrepublik entfaltet,
wozu die Impulse wesentlich beitragen, die z. B.
aus Ost-West-Gesprachen hervorgingen und hervor-
gehen.
Aus dem Gesamtprogramm des Kulturbundes, zu
dem sich die Griinder des Kulturbundes bekannten,
sollen hier nur Leitsatz 6 und 7 angeffihrt werden:
?Verbreitung von Wahrheit und Wiedergewinnung
objektiver MaBe und Werte", ?Kampf urn die mo-
ralische Gesundung unseres Volkes, insbesondere
EinfluBnahme auf die geistige Betreuung der deut-
schen Jugenderziehung und der studentischen Ju-
gend", ?Tatkraftige Forderung des Nachwuchses und
Anerkennung hervorragender Leistungen durch Stif-
tungen und Preise".
Einer der ersten Vizeprasidenten des Kulturbundes
war der verstorbene Prasident der Deutschen Aka-
demie der Wissenschaf ten zu Berlin, Prof. Dr.
J. Stroux. Es wiirde zu weit f?hren, bier die Ge-
schichte des Kulturbundes abzuhandeln, aber ruck-
blickend darf ich sagen, daB das Ziel, die Kultur in
das werktatige Volk hereinzutragen, in seinem drei-
zehnjahrigen Dasein in weitem MaBe erfiillt worden
ist. Die Zahl der Teilnehmer an Veranstaltungen
des Kulturbundes geht in die Millionen und die Zahl
der Vortragenden in die Zehntausende; die The-
matik umfaBte und umfaBt nicht nur naturwissen-
schaftliche Probleme, sondern ebenso auch ktinst-
lerische und literarische.
Der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung
Deutschlands arbeitete nicht losgelost von den Be-
langen, Erfordernissen und BedUrfnissen unserer
sich entwickelnden Staatsmacht. Auf dem IV. Bun-
destag im Februar 1957 wurden die Fragen unserer
Zeit von Alexander Abusch unter dem Thema
?Restauration oder Renaissance! ? eine Frage an
den Geist", zusammengefaBt.
Der V. Bundestag, der am 8. und 9. Februar in
Berlin-Wilhelmsruh tagte, beschaftigte sich mit der
weiteren Starkung und Festigung der Deutschen
Demokratischen Republik, wobei unsere Republik
als Vorbild eines einigen, demokratischen und fried-
liebenden Deutschlands gekennzeichnet wurde. Jetzt
erwachst dieser groBen Organisation der Kultur-
schaffenden und der Intelligenz die Aufgabe, bei
alien ihren Mitgliedern im Sinne der sozialistischen
Weltanschauung zu wirken.
An dieser Stelle darf ich wiederum zwei Leitsatze
aus dem neuen Programm anfiihren:
1. Der Deutsche Kulturbund vereint, unabhangig
von Parteizugehorigkeit oder Konfession, die In-
telligenz und alle kulturell Interessierten in der
Deutschen Demokratischen Republik. Fest ver-
bunden mit der Arbeiterklasse, der fiihrenden Kraft
unseres Staates, und mit den werktatigen Bauern
arbeitet er fiir den Aufbau des Sozialismus. Der
Kulturbund erblickt im Sozialismus die historisch-
gesetzmaBige Weiterentwicklung der Menschheit zu
einer neuen hoheren Form ihres okonomischen, ge-
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46
MITTEILUNG SL ATT
sellschaftlichen und kulturellen Lebens. Er setzt
seine ganze Kraft ftir das Wachsen und Werden der
sozialistischen Gesellschaft in der Deutschen Demo-
kratischen Republik em, die in untrennbarer Ver-
bundenheit mit dem weitweiten Lager sozialisti-
scher Staaten unter der Ftihrung der Sowjetunion
ftir einen dauerhaften Frieden und ftir die 'Ober-
legenheit des Sozialismus im friedlichen Wettstreit
der Gesellschaftssysteme kampft.
2. Der Deutsche Kulturbund sieht eine besondere
Aufgabe darin, der Intelligenz zu helfen, sich das
theoretische Verstandnis des gesamten historischen
Prozesses anzueignen, so daB sie befahigt ist, alle
ihre Kenntnisse, Begabungen und Krafte filr die
Gestaltung der sozialistischen Demokratie einzu-
setzen. Der Kulturbund wirk,t filr eine neue Lebens-
4. Jahrgang, Heft 1/2/3
-
\vise: filr die sozialistische Erziehung im taglichen
Leben aller schaffenden Menschen unserer Republik
zur sozialistischen Moral und Ethik. Das sind nur
zwei Grundaufgaben aus dem neuen Programm.
Aber sic umreiBen im ganzen genommen die neuen
Aufgaben, vor denen jetzt der Deutsche Kulturbund
steht. Die Annahme von neuen Kulturaufgaben ge-
schah emnrn?tig vor dem Bundestag, nachdem Prti-
sident Johannes R. Becher in einem glanzenden
Vortrag die kulturelle Situation unserer Deutschen
Demokratischen Republik gekennzeichnet hatte.
Prof. Dr. Theodor Brugsch
Akademiemitglied
Vizeprasident des Deutschen Kulturbundes
Als Gast auf dem V. Bundestag des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung
Deutschlands
Der in Berlin vom 7. bis 9. Februar 1958 veranstal-
tete Bundestag des Deutschen Kulturbundes, der bis
zu diesem Kongre13 Kulturbund zur demokratischen
Erneuerung Deutschlands hieB, leitete eine neue
Etappe sch6pferischer, von den Ideen des Sozialis-
mus erfillIter Arbeit unter seinen Mitgliedern und
Freunden der Kultur em.
1m Prasidium des Bundestages saBen Volkskammer-
prasident Dr. Johannes Dieckmann, der Erste Se-
krettir des ZK der SED, Walter Ulbricht, der Mi-
nister fur Kultur, Dr. h. c. JohanUes R. Becher,
die Staatssekretare Alexander Abusch und Dr. Wil-
helm Girnus, Arnold Zweig, von der Deutschen
Akademie der Wissenschaften zu Berlin die Aka-
demiemitglieder Prof. Dr. h. c. Walter Friedrich,
Prof. Dr. Dr. h. c. Theodor Brugsch, prof. Dr. Hans
Heinrich Franck, Prof. Dr. Allred Mdusel, Prof.
Dr. Dr. h. c. Erich Correns, Prof. Dr. GUnther men.-
ticker und Vertreter anderer Akadernien, Universi-
taten, Hochschuleri und Institute.
Zum Prasidialrat des Kulturbundes geh6ren U. a.
auBer den genannten Herren die Akademiemitglieder
Prof. Dr. Hans Ertel, Prof. Di Werner Hartke, Prof.
Dr. Viktor Klemperer, Prof. Dr. Jurgen Kuczynski,
Prof. Dr. Peter Adolf Thieflen soivie die Sektions-
mitglieder Prof. Dr. Heinz Barwich, Prof. Dr. Ernst-
Joachim Gief3mann, Prof. Kurt Hager und Prof. Dr.
Fritz Jung.
Das Thema des Bundestages: ?Die sozialistische
Kultur und" ihre nationale Bedeutung" behandelte
der Prasident des Kulturbundes. Dr. h. c. Johannes
R. Becher. Die sozialistische Kulturrevolution un-
serer Gegenwart ist das nationale Ereignis im Be-
reich der Kultur. Es gilt,_ bei der Intelligenz neue
Interessen zu wecken. Das Ilnpolitische mull fiber-
wunden werden. Die Verfremdung der Berufe ftihrt
zu einer Art unpolitischem Verhalten. Es fehlt noch
das geistige Kollektiv verschiedener Berufe und viel-
faltiger Berufsrichtungen. Hied& mull die echte
geistige Auseinandersetzung noch viel mehr gepflegt
werden. Der Kulturbund soil maBgeblich zu der
offentlichen Meinungsbildung auf kulturellem Ge-
biet beitragen, damit er wieder eine aktiver gesell-
schaftlich wirkende Kraft wird.
Hauptgegenstand der Beratungen waren die Grund-
aufgaben, die neu formuliert wurden.
Der sozialistische Humanismus allein ist der reale
Humanismus unseres Jahrhunderts; deshalb be-
kennt sich der Kulturbund als Organisation der In-
telligenz und der kulturell Interessierten in der
Deutschen Demokratischen Republik zum Kampf
fiir eine sozialistische deutsche Kultur, fur den
neuen, den sozialistischen Humanismus. So sieht der
Kulturbund seine besondere Aufgabe darin, der In-
telligenz zu helfen, sich das theoretische Verstand-
nis des gesamten historischen Prozesses anzueignen,
so daB sic befahigt ist, elle ihre Kenntnisse, Be-
gabungen und Krafte filr die Gestaltung der sozia-
listischen Demokratie einzusetzen. Er mull sich urn
die enge Verbindung der Wissenschaft und For-
schung mit der Praxis bemtihen. Der Kulturbund
tritt ftir die Wahrung und Weiterentwicklung aller
fortschrittlichen, freiheitlichen und sozialistischen
Traditionen unserer nationalen Kultur em. Er ar-
beitet im Geiste des sozialistischen Patriotismus. In
der Deutschen Demokratischen Republik sieht er
die Grundlage filr die friedliche Wiedervereinigung
Deutschlands. Der Deutsche Kulturbund kampft fiir
die Freundschaft zwischen den Volkern und gegen
das Verbrechen der Vorbereitung eines Atom-
krieges.
Zum SchluB des Bundestages bat Prof. Dr. h. c.
Th. Brugsch die Versammlung der fast 700 Dele-
gierten und Gaste im Namen von Dr. h. c. J. R. Becher
um dessen Entlastung von der Funktion des Prasi-
denten, damit sich J. R. Becher neben dem Minister-
amt wieder mehr seinem schriftstellerischen Werk
widmen kann. Dr. h. c. J. R. Becher wurde zum
Ehrenprasidenten gewahlt und schlug Max Bur g-
hardt, den Intendanten der Deutschen Staatsoper,
zum Prasidenten vor, dessen Wahl einstimmig unter
groBem Beifall erfolgte. ? Wie am Vortage Prof.
Dr. A. Meuse' die Versammlung in Ablosung anderer
Bundesfreunde geleitet hatte, so schlon am Sonn-
tag Prof. Dr. G. Rienticker als Versammlungsleiter
nach Annahme der Grundaufgaben und nach den
Wahlen mit einem Dank an alle, die den Bundestag
vorbereitet und zu einem eindrucksvollen, weit-
wirkenden kulturpolitischen Ereignis gestaltet
hatten.
4. Jahrgang, Heft 1/2/3
MITTEILUNGSBLATT
Es bleibt noch tibrig, an diesem Ort die Frage aufzu-
nehmen, inwieweit in den Instituten und Einrich-
tungen unserer Akademie jene notwendige Auf-
geschlossenheit wachst, die unsere Mitarbeiter zahl-
reicher in den Deutschen Kulturbund fart. Dean
er vereint gema13 seinen Satzungen, unabhangig von
Parteizugehorigkeit oder Konfession, die Intelligenz
und alle kulturell Interessier1en unserer Republik.
Tief tiberzeugt von der geschichtlichen Oberlegen-
Prof. Dr. Ernst-Joachim GieBmann, Mit-
glied der Sektion fiir .Physik der Deutschen Aka-
demie der Wissenschaf ten zu Berlin, Vizepriisident
47
heit der sozialistischen Gesellschaft und ihrer Kul-
tur, halt es der Kulturbund fur die hohe patriotische
Aufgabe auch der Intelligenz, unser Volk vom So-
zialismus als der wahrhaft nationalen Perspektive ftir
ganz Deutschland zu ilberzeugen.
Prof. Dr. Werner Radig
Redaktion des Jahrbuches der
Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin
des deutschen Kulturbundes, sprach in der Diskus-
sion auf dem V. Bundestag des Deutschen Kultur-
bundes fiber
?Kultur, Technik, Humanitat"
In der Technik kommt viel deutlicher als in der
Kunst zum Ausdruck, in welchem-MaBe die Praxis
das entscheidende Kriterium ist. Was zu den Fragen
der Dekadenz gesagt wurde ? das Kokettieren mit
der Verzweiflung, ohne verzweifelt zu sein, das Ko-
kettieren mit der Ausweglosigkeit, wahrend man
sich eine gesicherte Existenz schafft spielt auch
in der Diskussion urn die Technik eine bedeutende
Rolle.
Ktirzlich las ich bei einem Besuch in Westdeutsch-
land em n Plakat mit der Uberschrift ?Goldene
Worte". Es war em n Wort von Henri Bergson, das
besagte: ?Die Menschheit seufzt, halb zermalmt unter
der Last der Fortschritte, die sic gemacht hat." Er-
leben wir nicht immer wieder, dell Auffassungen
dieser Art auch zu uns hereingetragen werden? Das
zeigt, daB auch Mittel der Massenpropaganda ein-
gesetzt werden, urn solche Theorien zu verbreiten.
Wir milssen fragen, warum solche Propaganda be-
trieben wird. Sic dient denen, die an der Aufrecht-
erhaltung einer dem Untergang geweihten Ordnung
interessiert sind. Sic lahmen damit die Initiative
und verbreiten Skeptizismus.
Der Aufgabe und Tatigkeit der schaffenden In-
telligenz stehen solche Auffassungen diametral
gegentiber. Sowohl die forschende vie auch die tech-
nisch-sch6pferische Tatigkeit ist unlosbar mit dem
Oberzeugtsein vom Fortschritt der Menschheit ver-
knilpft. Glaube an einen Fortschritt zum Unter-
gang warde den Untergang einer sinnvollen Tatig-
keit tiberhaupt bedeuten. Der Ingenieur vie der
Wissenschaftler sind sich bei unvoreingenommenem
Denken dartiber klar, daB die Befreiung des Men-
schen von dilsteren Urgewalten und seine Erhebung
zum bewaten Denken Ergebnisse seiner bewuBten
praktischen Tatigkeit sind.
Der bekannte Mtinchner Atomphysiker und Unter-
zeichner des Gottinger Appells, Professor Walter
Gerlach, hat in einer Rede in D?sseldorf gesagt: ?Es
bleibt nur noch die Hoffnung, die jedem Schaffenden
Kraft und Mut zu neuer Arbeit geben mull, daB in
der Zukunft Wissenschaft und Technik in wechsel-
seitiger Verbundenheit Kultur und damit Humani-
tat weiter fordern und verbreiten werden ? viel-
leicht in groBerem Umfang, als es die christliche
Nachstenliebe bisher vermocht hat."
Hoffnung auf Forderung der Kultur .und damit der
Humanitat, Verhiitung des MiBbrauchs materieller
Macht Wer wiirde solchen Zielen nicht be-
dingungslos zustimmen? Wir mtissen jedoch etwas
daftir tun, daB sich these Hoffnung auch erfillIt. Bei-
spiele solchen aktiven Eingreifens waren der Got-
tinger Appell und die nachfolgenden Erklarungen.
Wir sind uns dartiber klar, daf3 der MiBbrauch ma-
terieller Macht nur dadurch ausgeschlossen werden
kann, wenn wir gesellschaftliche Verhaltnisse schaf-
fen, die keine Moglichkeiten dazu geben. Das sind
Verhaltnisse, vie sic der Sozialismus verwirklicht,
indem personlicher Besitz an Macht und Produk-
tionsmitteln beseitigt ist und Eigentum eller schaf-
fenden Menschen wird. Dazu gehort auch das cage
Biindnis der Arbeiter, Bauern und der Intelligenz.
Nur dann kann der Angehorige der Intelligenz er-
folgreich arbeiten, wenn diese Voraussetzungen er-
filllt sind.
Die auf dem Gebiet der Wissenschaft mod Technik
Tatigen haben auf Grund ihrer Stellung in der so-
zialistischen Gesellschaft neben der Verantwortung
filr ihre unmittelbare Aufgabe eine hohe politische
Verantwortung. Gerade f?r sic gilt es; die Zusam-
menhange zwischen der gesellschaftlichen und der
technischen Entwicklung zu erkennen. Wie wir mit
den Mitteln der Technik teilhaben konnen am Welt-
geschehen, so milssen wir auch selbst aktiv Anteil
nehmen. Und unser Anteil ist die Mitarbeit beim
Aufbau des Sozialismus.
Gelehrter und Patriot
Am 10. Februar 1958 beging em n Freund unseres
Landes und Verehrer deutscher Kultur, Professor
Dr Zdenek Nejedlg, Prasident der Tschechoslowa-
kischen Akademie der Wissenschaften, korrespon-
dierendes .Mitglied der Deutschen Akademie der
Wissenschaften zu Berlin, seinen 80. Geburtstag. Als
Sohn eines tschechischen Lehrers in Litmygl ge-
boren,. studierte er in Prag" Musik und Musikwissen-
schaft. Nach seiner im Jahre 1900 erfolgten Pro-
motion habilitierte er sich 1905 fur Musikwissen-
schaften an der Tschechischen Universitat Prag, an
der er 1909 a. o. .Professor und spater Ordinarius
wurde.
Nejedlg hat eine Vielzahl in der wissenschaftlichen
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MITTEILUNGSBLATT 4. Jahrgang, Heft 1/2/3
Welt anericannter Werke verfallt, In umfangreichen
Untersuchungen Ober die tschechische musik-
gesenicIao hat er vor allem die Zusammenhiinge
dieser DiszIplin mit der Gesamtgeschichte des tsche-
eltischen Valium ericannt und betont. So schuf er in
gruncllegenden Studien Ober den vorhussitischen und
hussitIschen Gesang (1004-1913) ein plastisches Mid
nicht nur des Gcsanges, sondem auch der Kultur
seines Volices im 14. und 15. Jahrhundert. Im Mittel-
punkt tvelterer Forschungen, an die skit ausgedehnte
Betrachtungen Ober die neuere tschechische Musik-
gest:Weide anschlossen, stand clic Gestalt Friedrich
SI1101.1111118. Ntlell olner Rollie von Monographien Ober
&tetanus Opera (1909), Ober J. 13. F?rster (1910), Ober
die modern? tschechisehe Oper (1911) und fiber Vites-
hw Novak (1921) folgte in den Jahren 1924 bis 1933
die broil angelegte vierblinclige Biographic Smetanas,
die den internationalen Ruf Naiadlgs begaindete.
Br wandle sick aber auch der deutschen Musik-
geschichte zu und veroffentlIchte Arbelten Ober
Richard Wagner, Ludwig van Beethoven, Gustav
Mahler und Richard Strauf3, clic in seinen bedeu-
tungsvollen WerIcen ?Die Oper des tschechischen
Nationaltheaters sell 1900" (1930) und ?Geschichte
der Oper des Nationaltheaters" (1949) ihre Kronung
random Diese musilchlstorischen Publikationen er-
weiterte Nejedlg mit Beitragen zur tschechischen
Nationalgeschichte, und seine Forschungen ver-
weisen auf die Zeiten der Blilte der tschechischen
Volicskultur sowie die revolutioniiren Traditionen
des tschechischen Volkes. So erschien auch 1949 der
erste Band seiner ?Geschichte der tschechischen Na-
tion".
Nejed1S? widmete sein Interesse auch der tschechi-
schen Literaturgeschichte, die er durch kritische
literaturhistorische und kulturpolitische Beitrage be-
reicherte. AuBer Untersuchungen Ober die tsche-
chische Dichterin Bozena Nirnov?nd fiber Jan
Kollar logic er auch eine Reihe von Schriften Ober
Alois Jirasek vor, ohne die das Studium des tsche-
chischen historischen Romans nicht zu bewaltigen'
ist. Neben der wissenschaftlichen Produktion steht
Nejedlgs rege publizistische Tatigkeit, die sich von
Aufsatzen und Vortragen Ober Fragen des tsche-
chischen, deutschen und sowjetischen Geisteslebens
bis zu den groBen Monographien T. G. Masaryks und
Lenins erstreckte.
Nejedlg gehort zu jenen Historikern, die die Be-
cleutung der GroBen Sozialistischen Oktoberrevolu-
lion fiir das tschechische Volk anerkannten. Er steht
heute als Priisident der Tschechoslowakischen Aka-
demie der Wissenschaften leitend und ratend an der
Spitze der hochsten wissenschaftlichen Institution
seines Landes. Bleibende Verdienste erwarb er sich
auch als Minister urn die tschechische Schulreform,
urn die Griindung von Universitdten und die Schaf-
fung vieler sozialer Errungenschaften seines Landes.
Dr. Gerhard Dunken
Wissenschaftlicher Referent des Prasidiums
und personlicher Referent des Prasidenten
Eine Beratung des Komitees zur VerMitung des Krebses
tkkuunttieh milssen die Arzte und Wissenschaftler
in fast alien Teilen der Welt eine geradezu er-
sehreckende Zunahme der Lungenkrebssterbefalle
registrieren. Wiihrend in England 1945 nur 188 von
einer Million Menschen am Lungenkrebs starben,
waren es zehn Jahre sputer, 1955, schon 388. Noch
immer liegen keine Anzeichen datiir vor, daB diese
steil ansteigende Kurve ihr Maximum erreicht hat;
Statistiker der American Cancer Society errechneten,
datl int 3altre 1970 von je vier bis acht Mfinnern
einer an Lungenkrebs erkranken wird.
Andererseits haben wir es im Rine des Lungen-
krebses mit ether malignen Geschwulst zu tun. die
wie keine mv-42ite mil best tmm ten umweitfriktoren
urskhlich in Verbindung gebracht werden kann.
Obereinstimmend zeigen alle statistischen und die
Mehrzahl der experimentellen Untersuchungen, claB
dem Zigarettenrauchen, oder besser; dem Inhalieren
des Tabakrauches die Hauptschuld filr die Verur-
sachung des Lungenkrebses zukommt.
Ohne Zw?elfel sind anal :Indere Faktoren filr die
Laing-enkrvbsentstehutv verantwortlich. bestimmte
Metallslaube und industrielle Reize, zu einem go-
aber nach ni.tuesten Untersuchungen recht
unerheblichen ? Pi?tlrentsatr. die zunehmende Ver-
utweinigung tier Luil, sehlieBlich endog-ene, uns mach
unbekantde ?1?`akttren in Verbinduag mit der ja bei
fast .edttr Krt11111,101. entscheidenden individuellen
Dispositim Mit Aus.nahme der Berufskrebse kann
abet gewnwArtigt, keiner tiler Pal:toren wirksum
41k9WA'11.14110 Wi`.11.101, IN.S.11:111) sei gestatiet. daB im
folgenden nur vom Zigarettenrauchen gesprochen
wird.
Es wiirde an dieser Stelle zu weit filhren, all die in
den letzten Jahrzehnten zusammengetragenen zahl-
losen Beweise fiir die Tabakatiologie des Lungen-
krebses auch nur zu streifen. Wer sich naher fur
diese Fragen interessiert, sei auf zwei Schriften
Prof. Lickints hingewiesen: ?Atiologie und Prophy-
laxe des Lungenkrebses", Dresden/Leipzig 1953,
?Zigarette und Lungenkrebs", Hamm (Westf.) 1957.
Jedenfalls wissen wir heute eindeutig, daB in fast
alien Landern die Lungenkrebssterblichkeit ziem-
lich genau dem 20 bis 40 Jahre vorherliegenden
Zigarettenkonsum entspricht,
daB Zigarettenraucher sehr wesentlich haufiger als
Nichtraucher an Lungenkrebs erkranken,
clan das Risiko mit dem individuellen Tabakkonsum
steigt,
dna mi Zigarettenrauch eine Reihe stark cancero-
gener Verbindungen enthalten sind,
daB man mit Tabakrauchkondensaten im Tierver-
such bosartige Geschwiilste erzeugen kann, und
daB man bei noch nicht an Lungenkrebs er-
krankten Rauchern im Tracheobronchialbaum zu
einem viel groBeren Prozentsatz degenerative Zell-
verlinderungen findet als bei Nichtrauchern. Und
auf der anderen Seite milssen wir uns nach vie
vor damit ablInden, trotz Einsatz aller iirztlichen
Kunst und trotz Verwendung der heute so fortge-
schrittenen Operationstechniken nicht mehr als 5 'to
der Lungenkrebspatienten retten zu konnen.
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In verschiedenen Staaten wurde bereits vor Jahren
von offIzieller, halbamtlicher sowie von arztlicher
Seite auf dieses Problem hingewiesen. Gegen Ende
des Jahres 1956 veranlaBten die Herren Professoren
Graf/1 und Gummel sowie der Verfasser, auch in
unserer Republik Gesprache dariiber zu f?hren, wie
man baldmOglichst und mit groBem Nutzeffekt auch
unsere Bevolkerung vor dieser ernsten Gefahr
warnen kann. Weitere Gesprachspartner kamen hin-
zu, es wurden Verbindungen mit dem Miriisterium
filr Gesundheitswesen gesucht und dort nicht nur
voiles Verstandnis, sondern auch weitgehende Hilfs-
bereitschaft gefunden, so daI3 sich dann am 16. Marz
1957 in Berlin unter dem Vorsitz von Herrn Prof.
Dr. Fritz Lickint, Dresden, em n ?Komitee zur Ver-
hiltung des Krebses" konstituieren konnte.
Diesem Komitee geh8ren nunmehr an: Prof. Lickint,
Dresden, (1. Vorsitzender), Prof. Holstein, Berlin
(2. Vorsitzender), Prof. Bahrmann, Dipl. Phys. Deg-
ner, Prof. Dobberstein, Oberarzt Dr. Dorffel, Prof.
Felix, Prof. Gietzelt, Prof. Graffi, Prof. Gummel,
Prof. Hetznemann, Prof. Jung, Prof. Kraatz, Prof.
Krautwald, Oberarzt Dz. Dr. Kunz, Prof. Unser,
Prof. Redetzky, samtlich Berlin; Prof. Freimuth,
Prof. Friedeberger, Prof. Ganse, Prof. Schumann,
samtlich Dresden; Prof. Neubert, Jena; Prof. Lahm,
Karl-Marx-Stadt; Prof. Peiper, Prof. Schr?der,
Leipzig; Prof. Kathe, Prof. Schmid, Rostock. Ferner
Dr. Rautenberg (1VIinisterium ftir Gesundheitswesen),
Frau Dr. Bobek, Stellvertreter des Ministers fur
Volksbildung, Dr. Ludwig, Prasident des DRK,
Dipl. Biol. Kressner, Prasidium der Gesellschaft zur
Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse, je emn
Vertreter des Bundesvorstandes des DFD und des
Zentralrates der FDJ, sowie Dipl. Biol. Geifiler als
Sekretar des Komitees.
Wenngleich das Komitee nach wie vor der Meinung
ist, dal) die Prophylaxe des Lungenkrebses, d. h.
also die Aufklarung der Bevolkerung iiber die Ge-
fahren des Tabakrauchens das Hauptanliegen sein
soli, entschloI3 es sich doch, auch alle anderen Krebs-
lokalisationen mit in das Arbeitsprogramm aufzu-
nehmen, die sicher oder vermutlich durch irgend-
welche exogenen Reize verursacht werden. AuBer-
dem beschloB das Komitee auch die Frage der Friih-
erkennung ? vor allem der weiblichen Krebslokali-
sationen ? mit in sein Programm aufzunehmen, so-
weit diese Probleme nicht schon erschopfend von
der Sektion Geschwulstforschung der Akademie
oder vom Ministerium bearbeitet werden. Zur Er-
ftillung dieses weitreichenden Arbeitsprogrammes
wurden mehrere Fachrichtungen gebildet? Innere
Medizin, Gynakologie"Chirurgie, Padiatrie/Hamato-
logic, Pharmakologie/Lebensmittelhygiene, Dermato-
logie/Arbeitsmedizin, Radiologie und Exekutive.
Wahrend die im vergangenen Jahr vom Komitee
durchgefiihrten Sitzungen in erster Linie organi-
satorischen Fragen gewidmet waren und zunachst
einen Uberblick dariiber verschaffen sollten, welche
Aufgaben vordringlich zu bearbeiten sind, fand ktirz-
lich die erste ?Arbeitssitzung" des Komitees statt.
Bis dahin hatte sich der Zentralrat der FDJ trotz
mehrerer Einladungen recht uninteressiert an der
Arbeit dieses Gremiums gezeigt, obwohl wir stets
ausdriicklich betonten, dafi wir uns bei unseren Be-
milhungen urn die Prophylaxe des Lungenkrebses
in erster Linie an die Jugend wenden miiBten und
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?
dabei unbedingt auf eine Zusammenarbeit mit den
leitenden Organen der FDJ angewiesen waren. Des-
halb wurde filr den 15. Februar 1958 eine gemein-
same Besprechung mit Funktionaren des Zentral-
rates fiber das Lungenkrebsproblem vereinbart. Prof.
Dr. Lickint, wohl der weltbeste Kenner dieser Ma-
terie, hatte sich bereit erklart, in einem einleitenden
Vortrag fiber die Lungenkrebs-Atiologie zu sprechen
und so die Basis. fiir eine Diskussion zu schaffen, in
der dann in erster Linie die wirksamsten Methoden
der Aufklarung der Jugend gefunden werden
sollten.
Diese gemeinsame Veranstaltung ist als em n ? wenn
auch nur bescheidener ? Erfolg zu werten. Wir
glauben, zunachst eine eingehende Diskussion fiber
dieses Problem im Zentralrat der FDJ. angeregt zu
haben. Dies .ist vor allem em n Verdienst Prof. Lik-
kints, der mit seinen Worten und mit seinem in-
struktiven Bildmaterial vielen die Augen zu offnen
verstand, sowie des Jenaer Sozialhygienikers Prof.
Neubert, der in seinem Diskussionsbeitrag den An-
wesenden erste wirksame MaBnahmen vorschlug.
Prof. Neubert ging davon aus, daB die Funktionare
der FDJ den anderen Jugendlichen mit gutem Bei-
spiel vorangehen miiBten und schlug ihnen deshalb
unter anderem vor:
1. Wahrend der Arbeitszeit wird im Gebaude des
Zentralrates nicht mehr geraucht,
2. auf Veranstaltungen der FDJ wird nicht mehr
geraucht,
3. in den Jugendherbergen wird nicht mehr geraucht,
4. wahrend der Verbandsarbeit, besonders im Ge-
sprach mit Jugendfreunden, rauchen die Funk-
tionare nicht.
?
Derartige MaBnahmen milf3ten natiirlich begriindet
werden, wiirden aber ?wie eine Fanfare wirken"
und dadurch eine Diskussion unter den Mitgliedern
der FDJ auslosen.
Die Meinungen der Jugendfreunde waren recht ge-
teilt. Einerseits wurde die Notwendigkeit drastischer
und energischer MaBnahmen anerkannt, anderer-
seits erhitzen sich die Gemiiter jedoch an der Frage,
inwieweit sic den Vorschlagen Prof. Neuberts ent-
sprechend ?administrativ" durchgesetzt werden soll-
ten. Hier stellte aber Prof. Redetzky ? als der Be-
griff des Administrierens gar nicht mehr aus den
Beitragen weichen wollte ? grundsatzlich klar, daB
in den Fragen der Sauberkeit, der Hygiene, der Ge-
sundheit und der Ordnung eine derartige Argumen-
tation fehl am Platze ist.
Einer der erfreulichsten Diskussionsbeitrage stammte
von Werner Hen gst, der etwa meinte: Was niitzen
alle Bemiihungen urn eine sozialistische Erziehung
der Jugend, alle Anstrengungen zur Schaffung ma-
terieller Werte, wenn nicht gleichzeitig Sorge daftir
getragen wird, dal3 Krankheiten, die noch dazu zum
groBen Tell vermeidbar, andererseits kaum heilbar
sind, alle Anstrengungen praktisch sinnlos werden
lassen? Wir glauben, daB dies eine Meinung ist, die
auch bei den Mitgliedern der FDJ Gehor und An-
erkennung linden mull.
Erhard Geifiler
Institut filr Medizin und Biologie
Wissenschaftlicher Assistent
(Sekretar des Komitees zur Verhtitung des Krebses)
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MITTEILUNGSBLATT 4. Jahrgang, Heft 1/2/3
Und wieder eine Jahreshauptversammlung
Am 15. 1. 1958 fiihrte die FDJ-Gruppe der Akademie-
Zentrale und der wissenschaftlichen Institute ihre
Jahresversammlung durch.
Der erste Sekretar, Heinz Vater, wissenschaftlicher
Assistent am Institut fur deutsche Sprache und Lite-
ratur, gab den Rechenschaftsbericht fur 1957:
Im vergangenen Jahr regte die FDJ-Gruppe zahl-
reiche interessante Veranstaltungen an. Die Teil-
nahme war besser als 1956, doch blieben mach
immer zu ? viele Jugendfreunde diesen Veranstaltun-
gen fern, und mancher horte wohl erst durch den
Rechenschaftsbericht von den Ausspracheabenden
tiber politische Tagesfragen, von Theaterbesuchen
oder Reiseberichten und Bunten Abenden, die ihm
seine FDJ-Gruppe geboten hatte. Warum interessiert
sich em n groBer Teil der Mitglieder so wenig f?r
diesen Teil der FDJ-Arbeit ? eine Frage, die sich
jedem einigermaBen verbandsverbundenen FDJ-
Mitglied aufdrangt. Mtihelos kann man zahlreiche
Grtinde daftir anfiihren: fachliche Weiterbildung,
vie sie mit Recht von uns verlangt wird, die Arbeit
an Dissertationen usw., nehmen einen groBen Teil
der Freizeit in Anspruch; aber auch die verschieden-
artige Zusammensetzung der FDJ-Gruppe (von
14jahrigen technischen Kraften bis zu 27jahrigen
wissenschaftlichen Assistenten) scheint em n Hinder-
nis fiir em n reges Gruppenleben zu sein.
Ein weit grtif3erer, uns ernsthaft beschaftigender
Mangel ist das fehlende Zusammengehorigkeits-
geftihl unter den Jugendfreunden, von denen manche
das Einzelgangertum nur allzugern pflegen.
Wie manche Alten sungen, so zwitschern manche
Jungen, konnte man hier etwa sagen. Was hindert
uns, darner miteinander zu sprechen, je nach
Temperament, nach Neigung, Lust und Laune. Die
Desinteressierten, die ?Apolitischen" und die Aus-
nahmen, die sich so gem als etwas Besonderes
betrachten, konnten in einem Gesprach viel ans
Tageslicht bringen, was der gemeinsamen Arbeit
und den gemeinsamen Zielen sehr von Nutzen ware.
Denn es ist doch so, dem ersten ist es bei uns an-
geblich nicht interessant genug, dem zweiten ist es
zu ?politisch", die dritten meinen, ihrer ?Besonder-
heit" wird nicht gentigend Rechnung getragen.
Aus dem Organisationsbericht von Gerda Henckel
ging hervor, daB die Gruppe 88 Mitglieder umfal3t,
wovon 61 Angestellte und 27 junge Wissenschaftler
(63 Madchen und 25 Jungen) sind. Der Wanderleiter,
Gottfried Rilbenach, wissenschaftlicher Assistent am
Institut fiir Wirtschaftswissenschaften, berichtete von
acht Fahrten, die im letzten Jahre veranstaltet wur-